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# taz.de -- Die Wahrheit: Massaker im Morgengrauen
> Seit die Weihnachtsbaumbranche steigende Tannenpreise angekündigt hat,
> eskaliert der Konkurrenzkampf in deutschen Wäldern.
Bild: Die Waldesruhe trügt. Über den Tannenwipfeln sieht man bisweilen Messer…
„Ich hatte eine Marihuanaplantage im Westerwald“, erinnert sich der Mann
mit dem Sturmgewehr wehmütig an friedlichere Zeiten. Auch Kokapflanzen und
Schlafmohn hat der Spezialist für illegale Landwirtschaft schon auf
versteckten Lichtungen in den dichten Wäldern zwischen Beulskopf und
Fuchskaute angebaut.
„Aber solche Sauereien sind mir im Drogengeschäft nie untergekommen“,
erklärt der verzweifelte Weihnachtsbaumfarmer und lässt seinen Blick über
die blutigen Tannenstümpfe wandern. Im Morgengrauen hatte uns der Mann, den
wir „Charlie“ nennen sollen, die Koordinaten seiner geheimen Pflanzung
geschickt.
Die unbekannten Axtmörder kamen gut drei Monate vor Weihnachten – und haben
ganze Arbeit geleistet: Hunderte Nordmanntannen wurden hinterrücks
abgeholzt und sind in elend in ihrem eigenen Harz verreckt.
## Schösslinge im Naturschutzgebiet
„Die gesamte Ernte ist verloren“, bekennt der hartgesottene Pflanzer, der
im Naturschutzgebiet illegal Tannenschösslinge gepflanzt und zu
kerzengeraden und wohnzimmertauglichen Jungbäumen für das
Weihnachtsgeschäft ziehen wollte. Doch jetzt kann er nicht einmal das
Tannengrün für Adventskränze ausschlachten.
„Dabei reden wir hier eigentlich über Weihnachtsbäume mit einem
Straßenverkaufswert von fast zwanzig Millionen Euro“, klärt uns der
klandestine Forstwirt über die wirtschaftlichen Dimensionen des Massakers
auf. Der Meterpreis für Nordmanntanne lag im vergangenen Jahr noch bei
dreißig Euro, aber für die kommende Saison kündigte Benedikt Schneebecke
vom deutschen Weihnachtsbaumverband steigende Preise an. Trockenheit und
Spätfröste als Folge des Klimawandels haben den empfindlichen Bäumchen
zugesetzt und das Angebot verknappt.
„Da wird sich der Verbraucher wohl entscheiden müssen: Geschenke oder Baum
zum Fest. Beides wird nicht gehen“, glaubt auch Charlie, der zum
Weihnachtsgeschäft mit einem Preis von hundert Dollar für die Feinunze
Feinholz kalkuliert hatte.
## Gefechte um die besten Anbauflächen
Zusätzlich beklagte Weihnachtsbaumfunktionär Schneebecke einen
„Branchenwandel“, den man im Westerwald schon beobachten kann. Im
strukturschwachen Bergland haben die Behörden jede Kontrolle verloren,
kriminelle Clans liefern sich Gefechte um die besten Anbauflächen, denen
auch unbeteiligte Laubbäume und Wanderer zum Opfer fallen.
Im Schwarzwald werden ganze Tannenhaine entführt und in Niedersachsen
hetzten skrupellose Weihnachtselfen hungriges Damwild auf die blutjungen
Triebe der Konkurrenz.
„Die Methoden der Weihnachtsbaummafia werden immer brutaler“, bestätigt der
Insider Charlie. Kein Wunder, wo der Meter Nadelholz mehr Profit verspricht
als das Gramm Koks, drängen immer skrupellosere Player in Schonungen und
Baumschulen. Längst versuchen mexikanische Narco-Kartelle, den lukrativen
deutschen Weihnachtsbaummarkt zu übernehmen. In zwielichtigen
Fußgängerzonen werden bereits Pferche aufgestellt, in denen im Advent weiß
bepuderte Tijuana-Tannen gedealt werden sollen. Zur bitteren Wahrheit
gehört aber auch, dass sich Deutschland zu lange abhängig vom Import
billiger russischer Sachalin-Fichten gemacht hatte.
## Strategische Tannenreserven
„Die deutsche Weihnacht ist in Gefahr“, schlug jüngst eine Studie der
Bundeswehruniversität für Wald- und Wehrwirtschaft Alarm, die erstmals die
strategischen Tannenreserven in europäischen Wäldern durchforstet hat.
Unter dem NATO-Kommando „Nordmann“ sollen finnische und deutsche Truppen
wenigstens die wichtigsten Schonungen an der russischen Grenze sichern.
An der Heimatfront ist ein verpflichtendes Wachdienstjahr für Jugendliche
in den Staatsforsten im Gespräch, das übergangslos in den freiwilligen
Wehrdienst übergeht, wenn es vom Rekruten nicht rechtzeitig gekündigt wird.
„Ho, ho, ho!“, unterstützt der konservative Waldschrat Wolfgang Bosbach
diese Initiative. Für die CDU leitet der erfahrene Hinterwäldler den
einflussreichen „Arbeitskreis Weihnachtsdeko“, der unter anderem die
Adventskalender der Bundestagsfraktion kuratiert und den Baum im
Adenauer-Haus schmücken darf. Um den christlich-abendländischen Charakter
der Festbegrünung zu erhalten, soll jeder Bürger zur Aufzucht und Hege
eines Tannenbäumchens verpflichtet werden, fordert der Feiertagspolitiker
aus dem Bergischen Land.
Sein eigener Fraktionsvorsitzender widerspricht vehement. „Die Lage ist
unter Kontrolle, die Versorgung gewährleistet“, erklärt der wie immer
festlich geschmückte Jens Spahn. Der gewiefte Logistikfreund hat bereits
eine mittelständische Baumschule in seinem Wahlkreis mit Anzucht und
flächendeckender Verteilung der Gewächse betraut.
## Machtwort zur Weihnacht
Nun wird eines der gefürchteten Machtworte des Kanzlers erwartet. „Das
Weihnachtsfest kommt mit Frieden, Freude und Sicherheit“, kündigte der
stets zu allem Möglichen entschlossene Sauerländer bisher bloß an. Folgt
Friedrich Merz der alternativen Festtagspolitik anderer Alleinherrscher?
„Als Dank an das kämpferische Volk werde ich Weihnachten per Dekret auf den
ersten Oktober vorziehen“, hatte Venezuelas autoritärer Präsident Maduro
jüngst dekretiert, um von wenig besinnlichen Unruhen in seinem Land
abzulenken. US-Imperator Trump will das Wiegenfest des Heilands künftig auf
seinen Geburtstag legen.
Im Westerwald eskaliert derweil der Tannenkrieg, Charlie sinnt auf Rache.
Mit seinen Sicarios will er die Plantage im Nachbartal überfallen. Doch
nicht nur Bäume sollen den Äxten und Macheten zum Opfer fallen, auch auf
die meist jugendlichen Weihnachtsbaumverkäufer haben die Männer es
abgesehen. Auf unsere Frage, ob solche Grausamkeiten überhaupt noch mit dem
friedvollen Geist der guten alten Weihnacht vereinbar sind, schweigt
Charlie. „Früher war mehr Lametta“, spricht der kriminelle Waldbauer
schließlich, doch hinter den Spiegelgläsern seiner Pilotenbrille können wir
keine Gemütsregung erkennen.
15 Sep 2025
## AUTOREN
Christian Bartel
## TAGS
Bäume
Weihnachten
Wald
Volkswagen
Freibad
Hexenverfolgung
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