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# taz.de -- Die Wahrheit: Koloniales Aroma mit Geschmäckle
> Die Philippinen-Woche der Wahrheit: Hugo Röppner, Olaf Scholz und die
> International Manila Envelope Society. Eine wahre investigative
> Recherche.
Bild: Merkel, als sie noch weg musste, mit Westerwelle (li.) und Pofalla: alles…
Diese Woche widmet sich die Wahrheit fast und gänzlich den Philippinen.
Denn jener turbulente Archipel ist dieses Jahr Ehrengast der am Mittwoch
beginnenden Frankfurter Buchmesse.
„Riechen Sie mal“, fordert uns Hugo Röppner auf und entfaltet die gummierte
Lasche eines beigefarbenen Briefumschlags im DIN-A4-Format. Der
pensionierte Leiter einer Postfiliale in Waltrop ist passionierter Sammler
historischer Briefumschläge und Vorsitzender der International Manila
Envelope Society mit Sitz in Röppners Wohnzimmer.
Ihren Namen trägt die weltweit verbreitete hellbraune Versandverpackung
nach dem Manilahanf, aus dem sie traditionell hergestellt wurde, auch wenn
die philippinische Abacá eigentlich zu den Bananengewächsen gehört.
Eine eigentümliche Note steigt uns aus der Papphülle in die Nase; die Süße
der gelben Frucht, gemischt mit würzigen Harzen und dem staubtrockenen
Geruch gut abgehangener deutscher Bürokratie. „Das ist die preußische
Erstfaltung eines Manila-Umschlags im Auftrag der Deutschen Reichspost aus
dem Jahr 1885. Handgeschöpft aus der Pulpe philippinischer Faserbananen,
mit einer delikaten Gummierung aus afrikanischem Akazienharz, Rübenzucker
aus der Voreifel und ostelbischer Kartoffelstärke“, erklärt der Kenner und
saugt mit geschlossenen Augen den Duft des exklusiven Kuverts ein.
„Im Vordergrund steht das koloniale Aroma dieser Zeit, kunstvoll montiert
auf einem bis aufs Blut ausgebeuteten Körper von Tropenfruchtfasern,
angereichert mit bitteren Aschenoten, die vom Ausbruch des Vulkans Krakatau
im Jahr 1883 herrühren dürften. Deswegen gelten Faltbriefe dieser Jahrgänge
als besonders ausdrucksvoll. Auch wenn die ungewöhnlich expressive
Gummierung damals wie heute nicht den Massengeschmack traf.“
## Schmalz aus Güstrow
Sogar den Namen des Gummierers hat Röppner parat: Der legendäre
Reichspostrat Arthur Schmalz aus Güstrow war in diesen Jahren für die
Rezeptur preußischer Postleime zuständig. In bürokratischen Kreisen gilt
die „Schmalzer Melange“ bis heute als Nonplusultra, was Geschmack,
Haftfähigkeit und Zungenführung angeht, auch wenn Schmalz’ spätere
Experimente mit Koriander und Schlachtabfällen den eigenwilligen Leimkoch
zum Enfant terrible der postalischen Szene machten.
„Einen echten Schmalz erkennt man schon auf der Zungenspitze“, weiß
Röppner, der die Echtheit des Umschlags für ein berühmtes Auktionshaus
feststellen soll. Da die wertvolle preußische Erstfaltung unbeleckt bleiben
muss, lädt uns der Umschlags-Aficionado ein, wenigstens einen
amerikanischen Manila-Envelope aus den 1920er Jahren zu degustieren.
„Das ist natürlich bereits ein standardisiertes Industrieprodukt, das in
hoher Auflage hergestellt wurde“, doziert Röppner, während er uns die
Falzlasche wie eine Oblate auf die Zunge legt. Allerdings dürfen wir erst
kosten, nachdem der Fachmann das vor Generationen abgelutschte Gummi
arabicum neu eingespeichelt hat. „Um auch kleinste Geschmacksspuren aus dem
Restleim zu lösen“, erklärt unser Vorkoster fachmännisch sabbernd und
schmatzend. Wir schlucken den Ekel herunter und schmecken die Röstaromen
des amerikanischen Knochenleims aus texanischen Longhorn-Rindern, den
pazifischen Seewind in den Abacá-Plantagen und die Miasmen der
philippinischen Millionenstadt auf der Hauptinsel Luzon, aber davor schiebt
sich etwas Dunkles. Ein Hauch von Eisen und Schmutz. Die Ahnung wird zur
Gewissheit, als wir unsere Nase tief in den Umschlag stecken. Der
Manila-Envelope riecht nach Blut und Geld.
„Der Umschlag stammt aus dem Nachlass eines korrupten
US-Prohibitionsagenten, wahrscheinlich hat er darin sein erstes
Bestechungsgeld erhalten. Immerhin wurde der Umschlag nachweislich in einem
Schreibwarengeschäft auf der Prairie Avenue in Chicago erworben“, klärt uns
Röppner mit glänzenden Augen auf. „In der Nähe hat Al Capone gewohnt.“
Der Sammler bekennt, seine Leidenschaft für die beigefarbenen Briefhüllen
schon als Heranwachsender im Kino seiner Heimatstadt entdeckt zu haben.
„Wenn im Film ein Manila-Umschlag überreicht wird, steckt immer etwas
Interessantes drin: kompromittierende Fotos, dicke Geldbündel, belastende
Unterlagen oder Bekennerschreiben.“
## Waltrop on top
Im aktiven Postdienst seiner Waltroper Filiale habe er diese romantischen
Vorstellungen allerdings aufgeben müssen. „Wenn mir ein Umschlag verdächtig
oder wenigstens interessant vorkam, habe ich ihn schon mal über Wasserdampf
geöffnet“, bekennt der ehemalige Postler. „Aber pikante Fotos waren nie
drin.“ Auch das organisierte Verbrechen habe trotz mehrmaliger Aufforderung
wenig Interesse an einer Brieffreundschaft gezeigt, stattdessen
überschwemmten Steuerkanzleien den hiesigen Manila-Briefverkehr mit
sterbenslangweiligen Sendungen. „Ich habe jedenfalls immer nur öde
Steuerunterlagen gefunden und enttäuscht weggeworfen“, plaudert Röppner
sein wohl exklusivstes Briefgeheimnis aus, bevor er uns weiter durch seine
Sammlung führt.
Wir besichtigen einen vergilbten Schutzumschlag vom Telegrafenamt Bad Ems,
der einen fettigen Daumenabdruck des ewig fressenden Reichskanzlers trägt,
einen breiten Manila-Folder, in dem Schriftsteller Dashiell Hammett die
ersten Kapitel seines „Malteser Falken“ an das Black-Mask-Magazin geschickt
hatte, und einen ausgebeulten Umschlag mit eingerissenen Ecken. Er stammt
aus dem Jahr 1972 und soll das erste Tonband des Watergate-Skandals aus dem
Oval Office getragen haben.
In der Garage dürfen wir sogar einen Blick auf den riesigen, noch
unkatalogisierten Teil der Sammlung werfen. Die Schwerlastregale biegen
sich unter hohen Stapeln noch verschlossener Manila-Umschläge. Über
Jahrzehnte muss der eifrige Postler Tausende der eitrig gelben Sendungen
aus dem Briefverkehr gezogen haben. „Da guck ich bei Gelegenheit mal
drüber“, meint der Ruheständler, echte Schätze seien aber nicht mehr zu
heben. „Die Gummierungen schmecken heutzutage alle gleich. Und im digitalen
Zeitalter werden brisante Unterlagen ohnehin nicht mehr in Papphüllen
versendet“, meint er resigniert.
Zum Abschied schenkt uns Hugo Röppner einen prall gefüllten Umschlag, den
er für „hübsch, aber wertlos“ hält. Laut Aufschrift retourniert eine
„Warburg Bank“, sesshaft in Hamburg, in dem Kuvert irgendwelche Unterlagen
an einen gewissen „O. Scholz“.
13 Oct 2025
## AUTOREN
Christian Bartel
## TAGS
Briefe
Sammeln
Merkel muss weg
Bürgermeister Olaf Scholz
Kolonialgeschichte
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