| # taz.de -- Musikfest Berlin: Singen von Sterben und Tod | |
| > Beim Musikfest Berlin zeigt das Ensemble Les Cris de Paris, wie nah sich | |
| > alte und neue Musik sein können. Und Arvo Pärt wird 90. | |
| Bild: Das Vokalensemble Les Cris de Paris | |
| „Amor, hilf Du mir / Oder nimm mir das Leben.“ – „Ach Tod, gib Hilfe / … | |
| dieses Leben!“ – „Und habe außer dem Sterben keinen anderen Ausweg als d… | |
| Tod.“ Die Kunst des Madrigals ist eine eigenwillige. Im 16. Jahrhundert | |
| aufgekommen, fehlte diesen Gedichten alles, was diese Form sonst | |
| erforderte. Keine Reime, kein Versmaß, keine Strophen. Und in den Texten | |
| spiegelte sich das schwierige Verhältnis der Geschlechter ihrer Zeit wider, | |
| von Liebe ist dort in der Regel nur in Gestalt von Qualen die Rede. Die | |
| vorangestellten Zitate stehen für die teils absurden Klagen, die darin zum | |
| Ausdruck kommen. | |
| Komponisten der Renaissance regte das Madrigal zu einer eigenen Gesangsform | |
| an, in der Liebesleid ganz neuen musikalischen Ausdruck erhielt. Am | |
| Dienstagabend konnte man beim Konzert des Ensembles Les Cris de Paris in | |
| der Philharmonie im Rahmen des [1][Musikfests Berlin] sehr konzentrierte | |
| Einblicke in diese besondere Kunst des Liebesgesangs erhalten. „Strana | |
| armonia d’amore“ nennt das Pariser Ensemble sein Programm, zu dem es im | |
| Frühjahr unter demselben Namen auch eine CD veröffentlichte. | |
| Die Komponisten, die sie beispielhaft als „Liebesharmoniker“ versammelt | |
| haben, wählen in ihren Vertonungen meist Zusammenklänge, die zwischen | |
| Konsonanz und Dissonanz fließen. Am bekanntesten von ihnen ist Carlo | |
| Gesualdo, der nicht allein durch einen von schroffen Halbtonschritten | |
| geprägten Stil von sich reden machte, sondern als Mörder seiner Ehefrau und | |
| ihres Liebhabers durchaus wusste, wovon seine Musik handelte. Auch | |
| Sigismondo d’India, Cipriano de Rore und Luzzasco Luzzaschi gehören zu den | |
| bekannteren Vertretern ihrer Epoche. | |
| In jüngerer Zeit erst wieder entdeckt wird das Werk von Nicola Vicentino, | |
| der als Theoretiker und Praktiker verschiedene harmonische Traditionen, die | |
| teils auf die antike Harmonielehre zurückgehen, miteinander verbinden | |
| wollte. Das Ergebnis sind kleinste Tondifferenzen, mikrotonale Musik avant | |
| la lettre, die vom Ensemble in ihrer fremdartigen Schönheit wunderbar | |
| wiedergegeben wurde. | |
| ## Stimmliche Individualität im Vokalensemble | |
| Les Cris de Paris ist dabei kein reines Vokalensemble, zwei Harfenisten und | |
| vier Gambisten ergänzen die elf Sänger. Letztere setzen nicht so sehr auf | |
| ein homogenes Klangbild, sondern lassen ihre stimmliche Individualität | |
| leicht durchdringen. Einzelne Madrigale wiederum führte der Dirigent | |
| Geoffroy Jourdain in rein instrumentaler Fassung auf, statt sie singen zu | |
| lassen. | |
| Ergänzend zu dieser Auswahl hat die Komponistin Francesca Verunelli eine | |
| kleine Serie von „Sequenzen“ im Auftrag des Ensembles geschrieben. | |
| „VicentinoOo“ nennt sie diese musikalischen Vignetten, die im Namen an | |
| Nicola Vicentino anknüpfen und wie ein Dialog zwischen Renaissance und | |
| Gegenwart wirken. Mitunter erinnerten die Kompositionen Verunellis an | |
| Fingerübungen, als Nachweis der Aktualität der vorgestellten „alten“ Musik | |
| wären sie jedenfalls nicht nötig gewesen. Denn die kann nach wie vor | |
| bestens für sich stehen und im guten Sinn verwundern. | |
| Einen ähnlichen Dialog zwischen den Jahrhunderten führt heute in der | |
| Philharmonie der Rias Kammerchor unter der Leitung von Kaspars Putniņš. Für | |
| ihr Konzert beim Musikfest Berlin bringen sie Giovanni Pierluigi da | |
| Palestrinas „Missa Papae Marcelli“, eines der Hauptwerke der Renaissance, | |
| mit Chormusik des estnischen Komponisten Arvo Pärt zusammen, der an diesem | |
| Tag übrigens seinen 90. Geburtstag feiert. | |
| 11 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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