| # taz.de -- Konzertreihe ehrt Komponist Palestrina: Im Rausch der absoluten Ren… | |
| > Zum 500. Geburtstag Palestrinas gaben die Tallis Scholars und Peter | |
| > Phillips eine Konzertreihe im Berliner Boulezsaal. | |
| Bild: Großmeister der vokalen Vielstimmigkeit: Giovanni Pierluigi da Palestrin… | |
| Nach dem dritten Konzert wendet Peter Phillips sich wie an den Abenden | |
| zuvor ans Publikum, lächelt fein britisch und erklärt: Er sage das jetzt | |
| zum dritten Mal, aber es sei wirklich eine Freude, in diesem wundervollen | |
| Saal aufzutreten. Und dann fügt er, das ist neu, noch hinzu: Gerade | |
| Palestrina zu singen, sei hier sehr besonders, denn der Raum runde den | |
| Klang so schön ab. | |
| In diesem Jahr jährte sich der Geburtstag von Giovanni Pierluigi da | |
| Palestrina zum 500. Mal, und [1][die von Phillips geleiteten Tallis | |
| Scholars], eines der anerkanntesten Vokalensembles für | |
| Renaissance-Vokalpolyphonie, ehren den italienischen Großmeister: Im | |
| Boulezsaal erklingt in drei Konzerten Palestrinas Musik im Dialog mit | |
| Werken dreier Kollegen. Der erste Abend gehört dem Nebeneinander von Werken | |
| Palestrinas und seines Zeitgenossen Orlando di Lasso, der zweite der | |
| Gegenüberstellung mit dem eine Generation jüngeren Spanier Tomás Luis de | |
| Victoria, der dritte der Begegnung mit dem noch einmal zwanzig Jahre später | |
| geborenen Claudio Monteverdi. | |
| Die Vokalpolyphonie war in der [2][Renaissance] zeitweise in Verruf | |
| geraten; Mitte des 16. Jahrhunderts gab es in der katholischen Kirche gar | |
| Bestrebungen, sie zu verbieten. Kompliziert war die Musik geworden, und | |
| ihre Vielstimmigkeit stehe der Textverständlichkeit im Wege, fand man. | |
| Palestrina als herausragender Vertreter seiner Profession muss sich dieser | |
| Kritik sehr bewusst gewesen sein. Seiner [3][„Missa Papae Marcelli“], die | |
| im zweiten Konzert erklingt, ist anzuhören, dass er die Musik über weite | |
| Strecken sehr bewusst homophon führt, damit der Stimmverlauf die | |
| Verständlichkeit des Textes unterstützt. Im weiteren Verlauf der Messe aber | |
| lösen sich die Stimmen wieder voneinander und finden zum berauschenden | |
| Treiben ihrer polyphonen Imitationen und Umspielungen zurück. | |
| ## Immer wieder dieselben Texte vertont | |
| Eigentlich waren die Texte, die vertont zu werden pflegten, ja immer | |
| dieselben und durften allgemein als bekannt vorausgesetzt werden. Drei | |
| Abende hintereinander Palestrina zu hören, lässt ahnen, was den | |
| Polyphonie-Kritikern wirklich sauer aufstieß: Diese Musik hatte sich so | |
| weit verselbständigt, dass sie die Sprache nurmehr als Klangmaterial | |
| benutzte und sich ansonsten selbst genug war. Palestrina schrieb unter | |
| anderem 104 ganze Messen, 104-mal auf denselben Text. Das musste ja | |
| irgendwann zur absoluten Musik werden. Aber kann die noch gottgefällig | |
| sein? | |
| Im Boulezsaal wird in jeder ersten Konzerthälfte eine Palestrina-Messe | |
| gegeben, in jeder zweiten abwechselnd kürzere Stücke Palestrinas und seines | |
| jeweiligen Konterparts. Spannend die Gegenüberstellung von Kompositionen | |
| Palestrinas und des deutlich expressiver gestaltenden Tomás Luis de | |
| Victoria auf denselben Text. In einer Pfingstmotette fegt bei Victoria der | |
| Heilige Geist als hörbarer Wind durchs Haus. | |
| ## Spannende Gegenüberstellungen | |
| Victorias Magnificat-Version scheint mit verschiedenen rhetorischen | |
| Haltungen zu spielen, während die Palestrina-Vertonungen derselben Texte | |
| ein hörbar abstrakteres Verhältnis zu ihrem Inhalt pflegen. Ähnlich, aber | |
| anders, am dritten Abend der Kontrast zu Werken Monteverdis: Der konnte | |
| polyphon, brachte aber gleichzeitig das homophone Komponieren auf ein neues | |
| Level. | |
| Palestrina selbst hätte sich eine akustisch so preziös trocken austarierte | |
| Klangumgebung wie die des Boulezsaals wohl nicht im Traum vorstellen | |
| können. Wo kein Nachhall ist, verliert die [4][Oberton-Aura] sich nicht | |
| diffus im Raum, sondern leuchtet umso klarer auf. Dafür ist sie aber auch | |
| nur noch Erinnerung, sobald die SängerInnen schweigen. | |
| Intonatorisch wie musikalisch führen die Tallis Scholars Großes vor. Wer | |
| sie hören will, wenn sie das nächste Mal nach Berlin kommen, muss sich | |
| beizeiten kümmern. Die Konzerte dieser Reihe waren Monate vorher | |
| ausverkauft. | |
| 24 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Die-Leute-werden-high-davon/!1696848&s=Peter+Phillips/ | |
| [2] /!s=renaissance/ | |
| [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Missa_Papae_Marcelli | |
| [4] /Wenn-Obertoene-um-die-Ohren-fliegen/!5982089&s=obert%C3%B6ne/ | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
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