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# taz.de -- Bayreuther Festspiele: Wagner goes Musical
> Matthias Davids eröffnet mit seiner Inszenierung der „Meistersinger“ die
> Bayreuther Festspiele. Er überrascht mit einer knallbunten Komödie.
Bild: Kein Musikantenstadl, sondern „Die Meistersinger von Nürnberg“ von W…
Endlich einmal eine Ouvertüre ohne Bebilderung! Aber als Daniele Gatti im
verdeckten Ochestergraben den Taktstock hebt zum etwas mulmig intonierten
C-Dur-Akkord, rumort es im Saal. Etliche sind noch auf der Suche nach ihren
Plätzen, die Smartphone-Taschenlampen tanzen in der Dunkelheit.
Dann geht der Vorhang auf im Festspielhaus Bayreuth: Der Bühnenraum gähnt
schwarz, eine aberwitzig steile Holztreppe führt hinauf zu einem winzigen
Kirchlein mit erleuchteten Fenstern, das ausschaut wie in einem
Märklin-Modelleisenbahndorf.
Aus dem Off tönt der mächtige Choral, die Bühnenmusiker trödeln herein, Eva
schaut oben von der Treppe herab, unten lungert Walther von Stolzing im
Hoody herum, bastelt einen Papierflieger, den er hinaufschießt zu Eva. Er
kommt nicht an. Viele vergebliche Flieger liegen schon am Boden, Stolzing
lässt sich schließlich mit ausgebreiteten Armen seufzend auf den Boden
fallen. So verliebt! Schon diese erste Szene zeigt an: Hier soll es lustig
und leicht zugehen, mit starken Bildern und spielfreudigem Personal.
## Ambivalent und kontaminiert
Gute Idee eigentlich. Denn von allen Wagner-Opern sind „Die Meistersinger
von Nürnberg“ der heikelste Brocken. Es geht schon los mit der
Gattungsbezeichnung: Wagner hat das Werk in seinen Entwürfen zwar als
„Komische Oper“ bezeichnet, schließlich aber ein Label ganz weggelassen.
Weil die „Meistersinger“ eben zutiefst ambivalent sind. Ein Hybrid aus
Satire, kunsttheoretischem Diskurs, Tragikomödie, Drama. Und noch dazu
stark kontaminiert durch die heikle Rezeptionsgeschichte nebst
Antisemitismusverdacht.
In Bayreuth sollen nun – nach zwei betont politischen Inszenierungen von
[1][Katharina Wagner] und [2][Barrie Kosky] – endlich einmal die heiteren
Züge des Werks zu ihrem Recht kommen. Dazu hat man mit Regisseur Matthias
Davids einen ausgewiesenen Musicalspezialisten geholt, der für
Leichtigkeit und Spielwitz sorgen soll.
Und das tut er mit Bravour und Intelligenz, anspielungsreich und
bilderstark, obwohl Andrew D. Edwards raffinierte Bühnenbilder und Susanne
Hubrichs grellbunt durch die Zeiten vagabundierende Kostüme im Laufe des
Abends immer dicker auftragen. Der Regisseur sorgt dafür, dass niemals
Stillstand herrscht auf der Bühne, das riesige Solistenensemble ist ständig
in kommunizierender Aktion.
So erzählt Davids viele kleine Geschichten neben der großen, auch vom Chor
steht niemand unbeschäftigt herum. Beim Quintett der Hauptfiguren zeigt
sich sorgfältig ausgefeilte Personenführung, die ganz nah am Text bleibt,
dennoch manche Situation ganz neu beleuchtet, allein durch Gesten, Blicke,
gezeigte Unsicherheiten.
## Elegante Lösung
Optisch und vom Habitus des Bühnenpersonals sind wir bei Davids in der
Gegenwart und in einer DSDS-Atmosphäre, Geschmacklosigkeit ist Programm.
Die Meister tragen bizarre Zipfelmützen, als tage hier ein Elferrat, am
Buffet labt man sich an Mettigeln und Brühkaffee, einer der Meister
verschwindet zum Kiffen, und Hans Sachs trägt rote Socken, womöglich ein
Alt-68er?
Hans Sachs steht hier nicht über den Dingen, sondern neigt zu Wutausbrüchen
und weinerlicher Melancholie, Eva ist selbstbewusst und zupackend, David
ungewohnt lyrisch, Stolzing ein arg selbstverliebter Ego-Star und
Beckmesser keine Nervensäge, sondern eine hinreißend komische, weil
eigentlich zutiefst traurige Figur.
Es gibt enorm viel zu sehen in dieser quirligen Inszenierung und witzige
Anspielungen, wie etwa einer der Lehrbuben, der als
Christian-Thielemann-Lookalike umherspringt. Im heikelsten Moment, wenn es
um die „heil’ge deutsche Kunst“ geht, lässt Davids buchstäblich die Luft
raus. Die riesige aufgeblasene Plastikkuh über der Festwiese fällt schlaff
zusammen, Eva und Stolzing hauen einfach ab, ohne sich weiter feiern zu
lassen. Elegante Lösung.
## Musikalisch vom Feinsten
Dennoch bleibt das Gefühl, dass etwas fehlt an diesem Komödienabend, der
viel über normale Menschen erzählt, aber wenig über sehr grundsätzliche
Fragen an die Kunst nachdenkt, die das Werk „Meistersinger“ ja mit viel
Nachdruck stellt.
Musikalisch ist fast alles vom Feinsten, Daniele Gatti gelingt nach
verstolpertem Beginn flüssige Frische und Transparenz, Michael Spyres singt
mit seiner stimmlichen Sonderbegabung als Baritenor einen Stolzing mit
bronzener Mittellage und feinen Piani, viel Geschmack und einem Hang zum
kalkuliertem Zelebrieren. Christina Nilssons Eva-Sopran ist enorm
tragfähig, mit leichtem Klirrfaktor, Matthias Stier ist ein David mit
Mozart-Attitüde, Georg Zeppenfeld wächst in seiner für ihn eigentlich zu
hoch liegenden Partie als Hans Sachs über sich selbst hinaus.
Und Michael Nagy ist ein überragender Beckmesser, stimmlich und
darstellerisch der eigentliche Held des Abends. Beim dezimierten und neu
besetzten Chor gibt es allerdings reichlich Luft nach oben, es klappert und
die frühere Homogenität des Klangs ist dahin. Große Begeisterung, kaum
Buhs.
28 Jul 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Regine Müller
## TAGS
Oper
Bayreuth
Richard Wagner
Musical
Bayreuther Festspiele
Antisemitismus
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