# taz.de -- Anlaufstelle gegen Ausbeutung in Berlin: Schuften weit unten | |
> Das Beratungszentrum für Migration und gute Arbeit (Bema) treibt nicht | |
> gezahlte Löhne ein. Es kämpft für prekär Beschäftigte – und gegen | |
> Zwangsarbeit. | |
Bild: Wind und Wetter sind meistens noch das geringste Problem für Fahrer von … | |
Für sein Studium an einer privaten Hochschule in Berlin war N. nach | |
Deutschland gekommen. Er [1][jobbte nebenher als Fahrradkurier. Als er mit | |
seinem Fahrrad] einen Arbeitsunfall erlitt, habe der Arbeitgeber den jungen | |
Mann sofort entlassen. Den noch ausstehenden Lohn bekam er nicht mehr | |
ausgezahlt und der Zugang zur Software seiner Arbeitsstelle wurde gelöscht. | |
Das erzählt am Donnerstag Monika Fijarczyk vom Beratungszentrum für | |
Migration und gute Arbeit Bema vor Journalisten. | |
Aus welchem Land N. nach Deutschland kam, das möchte Fijarczyk nicht sagen, | |
um ihn zu schützen. Durch Vermittlung seiner Botschaft fand N. aber zur | |
Bema, wo sie ihn unterstützen konnten. Die Beraterin meldete den | |
Arbeitsunfall bei der Berufsgenossenschaft und schrieb den Arbeitgeber an, | |
wegen des ausstehenden Lohnes und der nicht eingehaltenen Kündigungsfrist. | |
„Es kam erst keine Antwort“, sagt Fijarczyk. „Weil eine außergerichtliche | |
Einigung mit dem Arbeitgeber nicht zustande kam, mussten wir vor Gericht | |
klagen“, sagt sie. „Die Klage war erfolgreich.“ | |
Seit 15 Jahren gibt es nun in Berlin die Beratungsstelle. Geschaffen wurde | |
sie mit Unterstützung des Berliner Senats und des Deutschen | |
Gewerkschaftsbunds (DGB). Der Hintergrund war, dass 2010 eine neue prekäre | |
Beschäftigungsgruppe auf den Berliner Arbeitsmarkt strömte, die ihre Rechte | |
nicht kannte: Selbstständige und Scheinselbstständige aus EU-Staaten. Auch | |
Opfer von Arbeitsausbeutung, Menschenhandel und Zwangsarbeit finden hier | |
Hilfe. Das betraf allein im vergangenen Jahr 15 Fälle, berichten die | |
Berater*innen zum Jubiläum. | |
Fast 40.000 Beratungen haben sie demnach seit Beginn durchgeführt. 200.000 | |
Euro an nicht gezahlten Löhnen konnte die Beratungsstelle, die in 13 | |
Sprachen mit Klienten arbeitet, allein im vergangenen Jahr erstreiten. | |
Neben der Beratung gibt es Begleitung bei Behördengängen oder Schulungen | |
zum Arbeitsrecht an Volkshochschulen. | |
## Verletzliche Beschäftigungsgruppen | |
Und die Bema [2][informiert andere Stellen, etwa den DGB]. | |
Landesvorsitzende Katja Karger hat durch die Beratungsangebote erfahren, | |
wie prekär die Lage bei Lieferdiensten ist. „Migrantische Beschäftigte | |
gehören zu den verletzlichsten Beschäftigtengruppen. Oft kennen sie ihre | |
Rechte nicht, stehen vor Sprachbarrieren“, sagt sie. Betriebsrat und | |
Tarifvertrag würden oft allein deshalb scheitern, weil hier eine andere | |
Betriebsform vorliege als im Gesetz definiert, „mit Sub-, Subsub- und | |
Subsubsubunternehmen“, so Karger. Der DGB streitet deshalb nun auf | |
politischer Ebene um eine Gesetzesänderung. | |
Dass sich die Gewerkschaften für migrantische prekäre Beschäftigte | |
einsetzen, ist nicht selbstverständlich. Denn diese Leute sind keine | |
Gewerkschaftsmitglieder. „Wir stehen aber seit eh und je dazu, | |
Belegschaften nicht gegeneinander auszuspielen“, sagt Karger. „Migranten | |
machen in den Betrieben die Drecksarbeit, und wenn sie prekär beschäftigt | |
sind, setzt das in den Betrieben auch alle anderen Beschäftigten unter | |
Druck.“ Zudem könne die Bema ein realistisches Bild von Gewerkschaften in | |
Deutschland vermitteln. „In manchen Herkunftsländern gibt es ja staatliche | |
Gewerkschaften, so dass viele Migranten kein gutes Bild davon mitbringen“, | |
erläutert sie. | |
[3][Ausbeutung und prekäre Beschäftigung gibt es nicht nur bei | |
Lieferdiensten]. Häufig betroffene Branchen sind das Baugewerbe, die | |
Gebäudereinigung, Gastronomie und Pflege. Rumänischen Bauarbeitern, die bei | |
einem Personaldienstleister beschäftigt waren, wurde etwa zwei Monate lang | |
kein Lohn bezahlt, erzählt Fijarczyk. Die meisten seien dann enttäuscht | |
wieder nach Rumänien zurückgekehrt. 14 Männer hätten sich an die Bema | |
gewandt. | |
„Wir haben sie unterstützt, ihre geleisteten Arbeitszeiten zu | |
dokumentieren, und haben recherchiert, wer der Generalauftraggeber ist, den | |
wir haftbar machen konnten.“ So wurden schließlich die ausstehenden Löhne | |
nachgezahlt. „Bei der Recherche zeigte sich, dass der Arbeitgeber für die | |
Rumänen rechtswidrig nur eine Sozialversicherung abgeschlossen hatte, die | |
eigentlich für Saisonarbeiter vorgesehen war.“ Dafür mussten für die 14 | |
Männer 26.500 Euro nachgezahlt werden. | |
## Hohe Erfolgsquote | |
80 Prozent aller von ihr betreuten Fälle konnte die Bema erfolgreich | |
abschließen. Diese Bilanz zeige deutlich, „wie wichtig diese Unterstützung | |
für migrantisch Beschäftigte in Berlin ist“, sagt Arbeitssenatorin Cansel | |
Kiziltepe am Donnerstag. „Sie werden oft ausgenutzt, ausgebeutet und um | |
ihren Lohn geprellt“, sagt die Senatorin. Solange es diese Ungerechtigkeit | |
gebe, bleibe das Bema unverzichtbar. „Faire Arbeit darf keine Frage der | |
Herkunft sein. Faire Arbeit gehört zu einem solidarischen und gerechten | |
Berlin“, betont sie. | |
Die Bema sei mitunter auch erste Anlaufstelle für Fälle von Menschenhandel | |
und Zwangsausbeutung. „Betroffene brauchen auch eine sichere Bleibe“, sagt | |
Kiziltepe. Dafür habe Berlin nun eine Schutzwohnung eingerichtet. Dort | |
finden Opfer von Zwangsarbeit nicht nur Wohnraum, sondern auch eine | |
umfassende soziale, psychologische und rechtliche Beratung. Das Projekt | |
arbeitet eng mit dem Landeskriminalamt zusammen. Die Adresse der Unterkunft | |
ist zum Schutz der Menschen geheim. | |
4 Sep 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Arbeitssituation-bei-Lieferdiensten/!6038090 | |
[2] /DGB-Beschaeftigtenbefragung/!6022516 | |
[3] /Migration-und-prekaere-Arbeit/!5660574 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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