# taz.de -- Ausbeutung im Knast: Mindestlohn 2,38 Euro | |
> Schreinern, Sortieren, Schweißen. Für Arbeit im Gefängnis soll es ab Juli | |
> mehr Geld geben, das haben Gefangene erkämpft – sind aber unzufrieden. | |
Bild: Kapitalismus braucht Knäste, hier: JVA Essen | |
Wenn ein Lkw auf den Hof gefahren kommt, stehen die Männer bereit. Die | |
Sattelschlepper haben tonnenweise Kabel geladen, teils ordentlich | |
aufgerollt und gut erhalten, teils wirr durcheinander geworfen, abgerissen, | |
dreckig, verbogen, verschlissen. Die Lkw laden die Kabel im Hof ab, die | |
Männer trennen die guten von den schlechten. Die schlechten werden in | |
handgerechte Stücke von ungefähr eineinhalb Metern Länge geschnitten und | |
auf einen Gitterwagen geworfen. Die bekommt Klaus Waschinewski. | |
Er nimmt ein Kabel in die Hand und schlägt ein Ende mit Wucht auf die Erde. | |
Dann knallt es einmal richtig. Das Kabel bricht auf. Nun kann er es | |
auseinandernehmen, Stahl und Aluminium trennen, den Stahl klein schneiden. | |
Dafür nutzt er eine Maschine, „meine Maschine“, sagt er, „so groß wie e… | |
Musiktruhe in der Kneipe ungefähr“. Das Aluminium biegt er auf einen halben | |
Meter zusammen und stapelt die Teile aufeinander, anschließend kommen sie | |
in eine Presse. Dann kommen andere Lkw und holen die Wertstoffe ab. Der | |
Kreislauf kann wieder beginnen. | |
Waschinewski ist in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Werl in | |
Nordrhein-Westfalen untergebracht. Auf dem Kabelhof hat der heute | |
66-Jährige rund 15 Jahre verbracht, immer während seiner Gefängnisstrafen, | |
die erste war in den 80er Jahren, erzählt er am Telefon. | |
Manchmal hatte er im Gefängnis andere Jobs, bis wieder ein Platz im | |
Kabelhof frei war, es gibt eine Warteliste. Waschinewski hat auch schon | |
Karton gefaltet, „aber das war katastrophal“. Die Arbeit auf dem Kabelhof | |
sei genau das Richtige für ihn. „Ich bin ein Typ, der viel Bewegung | |
braucht.“ | |
[1][Für die „Knochenarbeit“, wie er sie nennt, bekommt er zu diesem | |
Zeitpunkt noch 28,76 Euro pro Tag, ohne Zulagen.] Das ist mehr als andere, | |
die den gleichen Job machen, weil Waschinewski [2][in der | |
Sicherungsverwahrung] untergebracht ist, in die Menschen nach dem Absitzen | |
ihrer Strafe kommen, wenn ein Gericht davon ausgeht, dass weiterhin eine | |
Gefahr von ihnen ausgeht. Da die Untergebrachten nicht mehr strafgefangen | |
sind, müssen ihre Haftbedingungen besser sein als die der regulär | |
Gefangenen. Die bekommen für die gleiche Arbeit in Nordrhein-Westfalen zu | |
dem Zeitpunkt nur 14,67 Euro pro Tag. Ein Bruchteil vom Mindestlohn ist es | |
für beide Gruppen. Dieser liegt aktuell bei 12,82 Euro brutto pro Stunde. | |
Ungerecht, fand Waschinewski das bereits vor zehn Jahren und klagte | |
dagegen. Der Fall lief durch mehrere Instanzen, und Jahre später, im Juni | |
2023, entschied schließlich das Bundesverfassungsgericht, dass die | |
Gefangenenvergütung in Nordrhein-Westfalen reformiert werden muss. | |
Auch in Bayern hat ein Gefangener geklagt, Peter Roth. Auch er bekam Recht, | |
auch Bayern musste sein Gesetz überarbeiten. Ab diesem Monat bekommen | |
Gefangene und Untergebrachte in den beiden Bundesländern nun mehr Geld. | |
[3][Die anderen Bundesländer ziehen mit], die meisten aber erst 2026. | |
Lediglich Hamburg zahlt Gefangenen auch schon seit Juli mehr Geld. | |
Sachsen-Anhalt hat seinen Gesetzentwurf bereits veröffentlicht, die anderen | |
sind noch unter Verschluss. | |
## 39,55 Euro Lohn pro Tag | |
Waschinewski verdient nach der neuen Regelung pro Tag nun 39,55 Euro, das | |
sind 37 Prozent mehr als vorher. Strafgefangenen bringt die Anhebung etwa | |
70 Prozent zusätzlich. | |
Immer noch zu wenig, findet Waschinewski. Außerdem gehe die Umsetzung am | |
Kern des Urteils vorbei: Oberstes Ziel sowohl des Strafvollzugs als auch | |
der Sicherungsverwahrung ist die Resozialisierung: Gefangene sollen dazu | |
befähigt werden, sich nach Entlassung in die Gesellschaft zu integrieren | |
und ein straffreies Leben zu führen. Das soll auch durch Arbeit erreicht | |
werden, bei der die Gefangenen eigenes Geld verdienen und Wertschätzung | |
erfahren. Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesländer aufgefordert, | |
Arbeit in Haft als Maßnahme der Resozialisierung zu stärken. | |
Im Gefängnis ist Arbeit Pflicht. Das Grundgesetz erlaubt Zwangsarbeit für | |
Gefangene. Nur vier Bundesländer – Sachsen, Brandenburg, Rheinland-Pfalz | |
und das Saarland – stellen es Gefangenen frei, ob sie arbeiten oder nicht. | |
Insgesamt gibt es rund 60.000 Gefangene in Deutschland. Ihre | |
Beschäftigtenquote liegt je nach Bundesland bei 50 bis 65 Prozent. | |
Die Jobs sind vielfältig: Die Insassen waschen, putzen und schrubben die | |
Böden. Oder sie arbeiten in einem gefängniseigenen Betrieb: Schreinerei, | |
Schlosserei, Polsterei. Auch externe Unternehmen lassen im Gefängnis | |
produzieren. Auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalten stehen große | |
Fabrikhallen, die Häftlinge müssen nur wenige Schritte gehen. | |
Die meisten Aufgaben sind einfach – Kugelschreiber zusammenschrauben, | |
Kartons falten, Schrauben sortieren. Viele Jobs sind körperlich | |
anstrengend, zum Beispiel lange, schwere Seekabel oder Oberleitungen | |
auseinandernehmen, um sie zu recyclen, wie das Waschinewski macht. | |
Technisch herausfordernder sind Jobs, bei denen Einzelteile für Maschinen | |
hergestellt werden. Da heißt es Fräsen oder Schweißen – Präzisionsarbeit. | |
Dafür gibt es etwas mehr Geld. Doch auch das nur im Centbereich. Seltener | |
sind Jobs in den Bereichen Medien oder Kultur, etwa Bibliotheksaufsicht, | |
oder [4][die Redaktion einer Gefangenenzeitung]. | |
Der Durchschnittsstundenlohn lag in Nordrhein-Westfalen bisher bei 1,83 | |
Euro. In Bayern waren es 1,78 Euro. Die bestbezahlten Jobs, beispielsweise | |
in der Schreinerei, brachten in Bayern 2,22 Euro pro Stunde ein. Die Sätze | |
waren in den Strafvollzugsgesetzen der Bundesländer festgeschrieben. Sie | |
waren auf 9 Prozent des Durchschnittslohns aller Rentenversicherten in | |
Deutschland festgelegt. Künftig sollen sie in allen Bundesländern auf 15 | |
Prozent des Durchschnittswertes erhöht werden. Diese 9 beziehungsweise 15 | |
Prozent werden Eckvergütung genannt. | |
Tariflohn, Mindestlohn, Branchenmindestlohn – das alles gilt für Gefangene | |
nicht. Arbeit in Haft wird nicht als Arbeit im klassischen Sinne anerkannt. | |
Regelmäßig führen Politik und Gericht an, Arbeit sei ein Mittel der | |
Resozialisierung. Gesetzlich festgeschrieben ist das aber nirgends; | |
geregelt ist nur die Höhe der Vergütung. | |
Bis 2001 betrug der Haftlohn sogar nur 5 Prozent des allgemeinen | |
Durchschnittslohns. Auch die damalige Erhöhung ging auf eine Entscheidung | |
des Bundesverfassungsgerichts zurück, auf ein Urteil von 1998. Damals | |
erklärte das Gericht, dass sich aus dem Grundgesetz ein | |
„Resozialisierungsgebot“ ergebe. Strafgefangene haben den Anspruch, auf ein | |
straffreies Leben vorbereitet zu werden. Waschinewski und Roth fanden, dass | |
auch 9 Prozent vom Durchschnittslohn gegen dieses Resozialisierungsgebot | |
verstießen. | |
## Gericht fordert Lohnerhöhung | |
Dem stimmte das Bundesverfassungsgericht 2023 zu. Es forderte nicht | |
explizit, die Vergütung zu erhöhen, sondern verpflichtete die Länder, die | |
Bedeutung der Arbeit festzulegen. Wenn die Arbeit hinter Gittern eine | |
wichtige Rolle bei der Resozialisierung spielen soll, dann müsse geleistete | |
Arbeit auch „angemessene Anerkennung“ finden. Der Gefangene müsse „den W… | |
regelmäßiger Arbeit für ein künftiges eigenverantwortetes und straffreies | |
Leben in Gestalt eines für ihn greifbaren Vorteils“ sehen. | |
Kann man das bei einem Stundenlohn von 1,83 Euro? Kann man das bei einem | |
Stundenlohn von nun 3,14 Euro besser? | |
Ein künftiges straffreies Leben „nach Entlassung“ aus dem Gefängnis – w… | |
soll das gehen, wenn man Schulden hat, die teils in die Zehntausende gehen? | |
Wie mit solchen Schulden eine Wohnung finden? Wie bekommt jemand einen Job, | |
der nicht einmal eine Wohnanschrift hat? Wie soll man seinen | |
Lebensunterhalt bestreiten, wenn man über Jahre, möglicherweise Jahrzehnte, | |
im Gefängnis einer 40-Stunden-Arbeitswoche nachgegangen ist, aber in der | |
Zeit weder die Gerichtskosten noch etwaige Entschädigungszahlungen | |
abbezahlen konnte? | |
Peter Roth kam mit knapp 100.000 D-Mark Miese in den Knast. 1997 wurde er | |
nach einem Gewaltverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt und sitzt | |
seitdem in der JVA Straubing. „Ich habe das mal überschlagen: Ich müsste 50 | |
Jahre arbeiten, um mit dem Gefängnislohn diese Schulden bewältigen zu | |
können“, sagt Roth, heute 64 Jahre alt, der taz [5][bei einem Besuch in | |
Straubing] im April 2023. | |
Roth hatte schon viele Jobs: Als erstes stellte er im Auftrag der Firma MTU | |
Teile her, die für Turbinen gebraucht werden. „Selbst mit Gehörschutz war | |
das schwer auszuhalten“, erzählte Roth bei einem Besuch der taz vor zwei | |
Jahren in der JVA Straubing. Er wechselte den Job, wurde Redakteur einer | |
Schachzeitung, später fräste er für den gefängniseigenen Betrieb Holz für | |
Tische, Stühle und Schränke, weitere Jobs folgten. | |
## Er freute sich schon, aber… | |
Als das Bundesverfassungsgericht acht Jahre nach seiner Erstklage | |
entschied, dass die Vergütungsregeln in Bayern nicht grundgesetzkonform | |
sind, freute er sich natürlich. Aber was Bayern zwei Jahre später aus dem | |
Urteil gemacht hat, entspricht aus seiner Sicht nicht dem Gedanken, den die | |
Rechtsprechung im Sinn hatte: „Von 9 auf 15 Prozent – das ist lächerlich�… | |
sagt er der taz bei einem Telefonat Mitte Juni 2025. „Nur 100 Prozent | |
dienen der Resozialisierung.“ Das hält sogar er für utopisch. Deshalb | |
fordert er zumindest 40 Prozent des Mindestlohns. | |
Die Zahl hat er sich nicht selbst ausgedacht. 1977 hatte der Bund, der, | |
nicht wie heute die Bundesländer, für die Justiz zuständig war, erstmals | |
überhaupt eine Lohnhöhe für Gefangene festgelegt: 5 Prozent des | |
Durchschnittslohns. Der Gesetzgeber wollte, so der Plan, den Satz | |
stufenweise auf 40 Prozent erhöhen, das wurde jedoch nie umgesetzt. Roth | |
findet: Das sollen die Länder endlich nachholen. Und dann sagt er doch | |
noch: „Tief in meinem Innersten geht es mir aber um 100 Prozent.“ | |
Roth weist außerdem darauf hin, dass die neue Regelung einige Fallstricke | |
bereithält, aufgrund derer nicht alle gleich von der Lohnerhöhung | |
profitierten. Unter anderem werden die bisher gültigen fünf | |
Vergütungsstufen – ähnlich den Lohnstufen im Tarifvertrag des öffentlichen | |
Dienstes – auf sieben gestreckt. Gleichzeitig gibt es für Lohnstufe I | |
künftig anteilig weniger Geld; dafür auf Lohnstufe VII allerdings mehr als | |
jetzt. | |
Ein weiterer Fallstrick: Gefangene, die nicht arbeiten, erhalten | |
stattdessen ein „Taschengeld“, das sich an der Eckvergütung orientiert. | |
Dieses Taschengeld soll nach dem neuen Gesetz nicht steigen. Warum nicht? | |
Das Bundesverfassungsgericht habe sich nur mit Arbeitsentgelt befasst, das | |
Urteil gelte daher nur für die Vergütungssätze. | |
Roth ist damit nicht einverstanden. „In der JVA Straubing gibt es 800 | |
Gefangene, aber nur 500 Arbeitsplätze.“ 300 Gefangene können – trotz | |
Arbeitspflicht – also gar nicht arbeiten, selbst, wenn sie wollten. Sie | |
bekommen den Taschengeldsatz, profitieren aber nicht von der durch Roth | |
herbeigeführten Neuregelung. Der kommentiert: „Alles was kürzbar und | |
verschlechterbar ist, wird gekürzt und verschlechtert.“ | |
Auch andere Gefängnisinsassen mit denen die taz gesprochen hat, sind | |
unzufrieden – sowohl mit der jetzigen als auch der künftigen Regelung. „Wir | |
werden ausgebeutet“, sagt einer. Eine andere sagt, auch mit der geplanten | |
Erhöhung werde das Vollzugsziel der Resozialisierung verfehlt. Sie fürchtet | |
außerdem, dass andere Kosten steigen werden, die das Lohnplus wieder | |
auffressen. | |
## Was die Gewerkschaft sagt | |
Einer, der sich schon lange mit dem Thema beschäftigt, ist Manuel Matzke. | |
Er ist Sprecher der Gefangenengewerkschaft GG/BO, die seit 2014 die Rechte | |
von Gefangenen vertritt. Ihre Mitglieder sitzen in Gefängnissen in ganz | |
Deutschland. Trotz der Missstände fallen klassische Gewerkschaften nicht | |
mit großangelegten Arbeitskämpfen in Gefängnissen auf. Matzke saß selbst | |
einmal im Gefängnis, er kennt das Leben in Haft. | |
Zur Erhöhung der Eckvergütung von 9 auf 15 Prozent sagt er: „Das ist | |
einfach zu wenig.“ Im Telefonat Mitte Juni mit der taz benutzt er später | |
noch andere Formulierungen, spricht von einer „Farce“, einem „Witz“. �… | |
Summe bekommt man etwa 8 Euro mehr pro Monat.“ Schulden und | |
Opferentschädigungen seien damit immer noch schwer abzubezahlen. „Das | |
versetzt dich nicht in die Lage, für dich einzustehen.“ | |
Zudem sei das Leben in Haft nicht günstig. „Telefonieren willst du ja auch | |
mal.“ Auch das, den Kontakt mit Familie und Freunden außerhalb der Mauern | |
halten, dient der Resozialisierung, und selbst dafür müssen Insassen selbst | |
aufkommen. Und das kostet im Gefängnis nicht 5,99 Euro, was man draußen | |
aktuell für eine Handy-Flat zahlt. Auf Gefängnisse spezialisierte | |
Telefonanbieter rechnen noch Minutenpreisen ab, die je nach Bundesland, | |
Anstalt und Orts- oder Ferngespräch oder Anruf auf ein Handy bei 23 oder | |
sogar 48 Cent liegen. | |
„Ziel der Arbeit in Haft ist doch zu vermitteln, dass sich ehrliche Arbeit | |
auszahlt. Aber mit dem Lohn, den man jetzt bekommt, zahlt sich ehrliche | |
Arbeit einfach nicht aus. Das ist Ausbeutung. Und die paar Euro mehr im | |
Monat ändern daran auch nichts“, sagt Matzke. | |
Viele Fremdfirmen, die in Knästen arbeiten lassen, müssten außerhalb des | |
Gefängnisses den Mindestlohn an die Beschäftigten zahlen. Die Tatsache, | |
dass die Firmen, teils seit Jahrzehnten, Produktion in Haftanstalten | |
auslagerten, sieht Matzke als Beleg dafür, dass dort gute, produktive | |
Arbeit geleistet werde. Auch deshalb wäre der Mindestlohn also angemessen. | |
## Und was ist im Alter? | |
Matzke hat aber noch andere Probleme mit der politischen Umsetzung des | |
Gerichtsurteils. Da die Arbeit in Haft nicht als | |
sozialversicherungspflichtig anerkannt wird, zahlen die Beschäftigten weder | |
in die Kranken- noch in die Rentenversicherung ein. Das hätten – dem | |
Ressozialisierungsgedanken folgend – die Bundesländer spätestens mit dem | |
Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2023 ändern müssen, findet er. | |
„Rente ist das A und O – gerade für Menschen, die viele Jahre im Gefängnis | |
gearbeitet haben, ohne dass es ihnen angerechnet wird. Sie trifft | |
Altersarmut besonders hart.“ | |
Ein weiterer Grund, warum Gefangenenarbeit nicht rentenversichert ist, ist | |
der Föderalismus: Weil Justiz inzwischen Ländersache ist, die | |
Rentenversicherung aber eine Einrichtung des Bundes. Die Länder wollen, | |
dass der Bund zahlt, der Bund, dass die Länder zahlen. Tatsächlich hatte | |
der Bundestag, als er 1976 das Strafvollzugsgesetz verabschiedete, | |
beschlossen, dass die Einbeziehung von Gefangenen in die gesetzliche | |
Rentenversicherung gesetzlich geregelt werden soll. Ein solches Gesetz | |
wurde jedoch bis heute nicht verabschiedet. | |
Der Bund befürwortet sogar die Einbeziehung von Strafgefangenen und | |
Sicherungsverwahrten in die gesetzliche Rentenversicherung, wie die damals | |
noch rot-grün-gelbe Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine | |
Anfrage der Linken vom Mai 2024 erklärte. Aber: „Für die Bundesregierung | |
kommt eine Tragung der Kosten nicht in Betracht.“ Selbst ein „gemeinsames | |
Finanzierungsmodell mit den Ländern“ sie in ihrer Antwort aus. Warum? Weil | |
Justiz Ländersache sei. | |
Auch die Länder sähen Gefangene gerne in der gesetzlichen | |
Rentenversicherung, wie eine Umfrage der taz bei den Justizministerien | |
ergeben hat, verweisen aber auf die hohen Kosten, die sie ohne den Bund | |
nicht bewältigen könnten. Ein Sprecher aus Nordrhein-Westfalen ergänzt: | |
Müssten die Länder Gefangenen im Alter eine Rente zahlen, würden sich diese | |
Mehrausgaben für den Landeshaushalt „weder während der Inhaftierung noch | |
perspektivisch nach der Entlassung substantiell in für die einzelnen | |
Gefangenen spürbaren Vorteilen widerspiegeln“. Wie sein Ministerium zu | |
dieser Einschätzung kommt, lässt er offen. | |
Bayern verweist lediglich darauf, der Bund solle zahlen, wolle aber nicht, | |
obwohl er dadurch an anderer Stelle sparen könne: zum Beispiel bei der | |
Sozialhilfe. | |
Ein Sprecher des Justizministeriums in Sachsen erklärt: „Die Einbeziehung | |
in die gesetzliche Rentenversicherung ist sinnvoll, um eine spätere | |
Bedürftigkeit der betroffenen Personen zu minimieren und so mittelbar zu | |
einem straffreien Leben beizutragen.“ | |
Ob sich Klaus Waschinewski gegen die Reform wehren und noch einmal vors | |
Gericht ziehen wird? Beim Telefonat Mitte Juni sagt er: „Das weiß ich noch | |
nicht. Schließlich kosten solche Verfahren Geld, Kraft und Ausdauer.“ | |
## Nach der Reform hat er weniger Geld als vorher | |
Am 30. Juni, einen Tag, bevor die neue Regelung in Kraft tritt, meldet er | |
sich noch einmal: Die neue Lohnhöhe sei ihm nun offiziell mitgeteilt | |
worden. „Ich habe gegen die neue Regelung ein Beschwerdeverfahren | |
eingeleitet“, erklärt er. Seine Beschwerde an die JVA Werl liegt der taz | |
vor. Darin rechnet er vor, dass er künftig unterm Strich sogar weniger | |
verdient als bisher: Pro Monat verliere er 130 Euro. Denn Gefangene können | |
für ihre Arbeit bestimmte Zulagen bekommen – die fallen nach dem neuen | |
Gesetz allerdings wesentlich niedriger aus. | |
Während es bisher „für Arbeiten unter arbeitserschwerenden | |
Umgebungseinflüssen“ 5 Prozent Zulage gab – die bekam Waschinewski bisher … | |
sind es künftig nur noch 3 Prozent. Zudem gab es Zulagen für besondere | |
Leistungen, eine Art Bonus für gute Arbeit, von bis zu 30 Prozent – | |
Waschinewski bekam 15 Prozent. Die fallen künftig komplett weg. Insgesamt | |
hatte Waschinewski also Zulagen von 20 Prozent – ab Juli nur noch 3 | |
Prozent. „Das ist eine Schweinerei!“ | |
Auch in Bayern sinken die Zulagen. Peter Roth betrifft das als | |
Taschengeldbezieher nicht. Ob er gegen die Neuregelung rechtlich vorgehen | |
will, zum Beispiel mit einer Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof? „Ich | |
bin so müde“, antwortet er, noch unentschieden. Er habe schon so viele | |
Gerichtsverfahren geführt, einige liefen auch noch. | |
Manuel Matzke setzt einerseits auf das Bundesverfassungsgericht selbst. | |
Dessen Aufgabe sei sowieso, zu prüfen, ob die Gesetzesreformen seinem | |
Urteil entsprechen. Andererseits werde die GG/BO auch selbst | |
Experteneinschätzungen einholen, ob die neuen Regelungen dem | |
Resozialisierungsgebot entsprechen. „Wenn nicht, werden wir das in einem | |
gerichtlichen Verfahren prüfen lassen.“ | |
Klaus Waschinewski ist mit seinen 66 Jahren schon fast im Rentenalter – und | |
macht sich bereits Gedanken über das Ende des Lebens. Mit dem Geld, das man | |
im Gefängnis verdiene, könne man sich keine Sterbegeldversicherung leisten, | |
kritisiert er im Gespräch mit der taz. „Menschen, die im Vollzug sterben, | |
werden unwürdig bestattet.“ | |
Noch aber arbeitet Waschinewski weiter auf dem Kabelhof. Bei Regen, Kälte | |
und auch bei über 30 Grad. „Wer nicht mehr kann, soll sich hinsetzen, in | |
den Schatten gehen. Da achten wir untereinander drauf.“ Im Winter würden | |
sie auch mal bei Minus zehn Grad rausgehen. „Da waren die Hände so kalt | |
gefroren, da habe ich vormittags erst mal meine Arme ein paar Runden | |
geschleudert, damit die Hände wieder warm wurden. Sonst hätte ich kaum | |
zupacken können.“ | |
Die Kabel riechen nach Teer, nach Chemie. Und dann ist da noch der ganze | |
Dreck. Oberlandleitungen sind jahrzehntelang Wind und Wetter ausgesetzt. | |
Über die Jahre sammelt sich Dreck auf ihnen, die Sonne brennt ihn fest. | |
Wenn Waschinewski die Kabel auf die Erde schlägt oder mit dem Hammer drauf | |
haut, löst sich der Dreck und wirbelt staubig durch die Luft. „Ich freue | |
mich immer, wenn es regnet“, sagt Waschinewski. Denn dann sinkt der Staub | |
zu Boden und die Luft wird klar. | |
4 Jul 2025 | |
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