# taz.de -- Zwischenquartier für Schirn Kunsthalle: Das Kollektiv, die Kunst u… | |
> Die Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main zieht temporär in die alte | |
> Dondorf-Druckerei, für deren Erhalt sich Besetzer*innen eingesetzt | |
> hatten | |
Bild: Vorbote des Neuen: Gebäude der ehemaligen Druckerei Dondorf in Frankfurt… | |
Große gelbe Lettern auf blauem Untergrund versprechen: „HERE WE ARE SOON“. | |
Hinter dem Schild erhebt sich ein schönes Industriegebäude aus dem 19. | |
Jahrhundert, das derzeit eine Baustelle ist. In die ehemalige | |
Dondorf-Druckerei im Frankfurter Stadtteil Bockenheim wird SOON und | |
temporär die Schirn Kunsthalle Frankfurt einziehen, eins der wichtigsten | |
Ausstellungshäuser Europas. | |
Der ambitionierte Zeitplan sieht vor, dass die Eröffnung am 7. September | |
gefeiert wird. Zwei Jahre lang soll das alte Druckereigebäude von der | |
Schirn zwischengenutzt werden, während das Stammhaus am Römerberg, der | |
postmoderne Bau des Architekturbüros Bangert, Jansen, Scholz & Schultes aus | |
den 1980er-Jahren, saniert wird. Dass damit der Erhalt der leerstehenden | |
Druckerei, für den sich sowohl Hausbesetzer*innen als auch eine eigens | |
gegründete Initiative eingesetzt hatten, gesichert ist, klingt zunächst | |
nach einem Gewinn für alle Beteiligten –, dennoch gibt es Streit. | |
Wie sehr das Thema die Frankfurter*innen umtreibt, zeigt sich schon | |
daran, dass beim Interview mit der Initiative Dondorf-Druckerei gleich fünf | |
Gesprächspartner*innen anwesend sind. Lange war die Druckerei vom | |
Institut für Kunstpädagogik der Goethe-Universität genutzt worden, bis | |
dieses Ende 2022 auf den Campus Westend umzog. | |
Der Abriss drohte. Anfang 2023 gründete sich die Initiative mit dem Ziel, | |
das Gebäude zu erhalten oder zumindest einen Konsens in der Stadt über | |
seine Zukunft zu erwirken. Die Mitglieder betonen die Bedeutung von | |
Dondorf. „Die Geschichtsträchtigkeit bemisst sich an verschiedenen | |
Benutzungen im Laufe der vergangenen 135 Jahre“, sagt Willy Breder. Einst | |
gehörte die Druckerei einer jüdischen Kaufmannsfamilie, später nutzten sie | |
die Nazis, die die Familie enteignet und die Druckmaschinen beschlagnahmt | |
hatten, um dort Propaganda zu drucken, beim Luftangriff auf Frankfurt am 8. | |
Februar 1944 wurden große Teile zerstört. 1961 zog die Uni in das | |
wiederaufgebaute Gebäude ein. | |
## Druckerei im Sommer besetzt | |
Im Juni 2023 wurde die Druckerei während eines Sommerfests in Bockenheim | |
besetzt; die Hausbesetzer*innen nutzten das Fest, um breite | |
Aufmerksamkeit zu generieren, knapp drei Wochen später räumte die Polizei | |
das Gebäude. Während die Besetzer*innen versuchten, den Abriss zu | |
verhindern, mobilisierte die Initiative die Stadtgesellschaft. | |
„Das aufgeklärte Bürgertum in Frankfurt ist unglaublich stark“, ist Konrad | |
Götz überzeugt, der gegenüber der Druckerei wohnt. „Ich bin der Meinung, | |
hier lässt sich die Mitte diskursiv aktivieren. Das hat mit [1][der | |
Tradition der Kritischen Theorie zu tun.]“ Es gab Unterschriftenlisten, | |
mehrere Museen wurden kontaktiert, die sich ebenfalls für den Erhalt | |
einsetzten. „Wir von der Initiative haben für die Besetzung auch flammende | |
Statements gehalten“, ergänzt Cordula Kähler, die vor ihrer Pensionierung | |
als Restauratorin im Skulpturenmuseum Liebieghaus arbeitete. | |
Nach einer weiteren Besetzung im Winter 2023 und einigem Hin und Her wurde | |
schließlich beschlossen, dass die Schirn temporär in die Dondorf-Druckerei | |
ziehen wird. „Die Druckerei hat eine besondere Atmosphäre, trotz des | |
vorherigen Leerstands ist sie ein lebendiger Ort, der den Menschen viel | |
bedeutet“, hebt Schirn-Direktor Sebastian Baden hervor. „Auf dem Gelände | |
haben wir die Möglichkeit, zwei Ausstellungen parallel zu zeigen.“ | |
Er verspricht ein offenes Foyer, ein Café und Aufenthaltsmöglichkeiten im | |
Innenhof. Das Kollektiv Die Druckerei, das aus ehemaligen | |
Besetzer*innen besteht, ist weniger begeistert von der Zwischennutzung. | |
„Wir sind froh, dass Dondorf erhalten bleibt“, sagt Jule, die nur ihren | |
Vornamen preisgeben möchte. „Wir haben die Druckerei aber besetzt, um dort | |
einen selbstverwalteten, unkommerziellen Begegnungsort zu schaffen. Dafür | |
steht die Schirn nicht. Sie ist eine Kunstinstitution, die als Museum | |
natürlich kein niedrigschwelliges Angebot schafft, mit dem möglichst viele | |
Menschen Zugang zu Kunst und Kultur haben.“ | |
## Kostenfreie und kostengünstige Angebote | |
Auf diese Vorwürfe angesprochen, betont Baden, man müsse den „spezifischen | |
Kontext“ betrachten. Die Schirn habe den öffentlichen Auftrag, | |
international wahrgenommene, hochkarätige Ausstellungen anzubieten. Geld | |
spiele dabei auch eine Rolle. „Wir haben einen hohen | |
Eigenfinanzierungsteil. Das heißt, die Schirn muss verantwortungsvoll und | |
wirtschaftlich agieren.“ Es sei ihnen aber wichtig, „ein offenes Haus zu | |
sein, Kultur zugänglich zu machen, Barrieren abzubauen“. Deswegen richte | |
sich das Programm „an die Breite der Bedürfnisse unseres vielfältigen | |
Publikums“. Neben den Ausstellungen, auf die Eintritt erhoben wird, soll es | |
auch kostenfreie und kostengünstige Angebote geben. | |
Dass einst besetzte Häuser später kommerziell genutzt werden, ohne | |
Beteiligung der ursprünglichen Besetzer*innen, ist ein klassisches | |
Merkmal von Gentrifizierung. Historisch und global lassen sich unzählige | |
Beispiele dafür finden. In New York etwa nutzten Künstler*innen in den | |
1960ern und 1970ern leerstehende Industriebauten in SoHo als Lofts, | |
Ausstellungsräume und Partylocations; heute reihen sich in dem Viertel | |
hochpreisige Boutiquen und Geschäfte von Louis Vuitton und Stella McCartney | |
aneinander. Ein paar Schritte entfernt geschah [2][im East Village in den | |
1980er-Jahren] Vergleichbares, als Künstler*innen Erdgeschosswohnungen | |
in abbruchreifen Gebäuden zu kleinen Galerien umfunktionierten. Wie sehr | |
solch informelle Orte für Kunst die Stadtaufwertung ankurbeln, darauf wies | |
schon in den 1970ern der US-amerikanische Geograf Neil Smith prominent hin. | |
Es geht aber auch anders, wie ein Beispiel aus Rom zeigt. Dort wurde 2009 | |
eine ehemalige Salamifabrik besetzt, die heute Wohnort für 200 Menschen ist | |
und seit 2012 auch ein alternatives Museum beherbergt, mit dem wunderbar | |
sperrigen Namen „Museo dell’Altro e dell’Altrove di Metropoliz“. Die Fa… | |
war bereits 1978 stillgelegt worden und wurde im Jahr 2003 an einen | |
italienischen Baukonzern verkauft. Zu den rund 100 Erstbesetzer*innen | |
gehörten vor allem Menschen aus Lateinamerika, Afrika sowie Roma; drei | |
Jahre nach der Besetzung wurde von diesem primär aus Künstler*innen und | |
Geflüchteten bestehenden Bewohner*innenkollektiv das Museum | |
eröffnet. | |
Dieses zeigt nicht nur zeitgenössische Kunst, sondern veranstaltet auch | |
Performances und politische Veranstaltungen. Die [3][Stadt Rom hat | |
inzwischen entschieden, diese Besetzung] zu legalisieren. Laut aktuellen | |
Plänen soll die Fabrik in einen Gebäudekomplex mit Sozialwohnungen | |
umgewandelt werden, zu denen die jetzigen Bewohner*innen bevorzugt | |
Zugang erhalten sollen – auch wenn diese klagen, nicht ausreichend genug in | |
den Planungsprozess eingebunden zu sein. In Ljubljana wiederum ist es mit | |
dem Metelkova, einer ehemaligen Kaserne, die seit 1993 besetzt ist, | |
Künstler*innen und Besetzer*innen gelungen, auf dem Gelände ein | |
autonom geführtes Kulturzentrum zu etablieren. | |
Man muss Frankfurt aber gar nicht verlassen, will man auf die Folgen von | |
Besetzungen schauen. Immerhin wurde fast nirgendwo in Westdeutschland der | |
Häuserkampf in den 1970ern so erbittert geführt wie im Westend, [4][dem an | |
Bockenheim angrenzenden Viertel]. Heute ist das Westend mit seinen | |
prächtigen Gründerzeit- und Jugendstilvillen das teuerste der Stadt. Schaut | |
man auf diese Entwicklungen, ist die Tatsache, dass nun die Schirn in die | |
Dondorf-Druckerei zieht, wohl die bestmögliche Lösung – weder wird das | |
Gebäude abgerissen noch in Luxusapartments umgewandelt. | |
## Warten auf Unterstützung | |
Im Kollektiv zeigt man sich dennoch enttäuscht darüber, dass negiert würde, | |
„wie viel Kraft und Arbeit in den Erhalt des Gebäudes geflossen ist, | |
wodurch die Schirn es überhaupt nutzen kann“. Die Initiative wiederum ist | |
erleichtert, dass die „Dauerrangelei“, wie Götz es bezeichnet, vorbei ist | |
und Klarheit herrscht. „Die Schirn wird Standards setzen, hinter denen eine | |
zukünftige Nutzung“ – nach der Schirn wird die Hochschule für Musik und | |
Darstellende Kunst einziehen – „nicht mehr zurück kann in Hinblick auf | |
Offenheit, lebendige Atmosphäre und Kultur“, so Breder. | |
Immerhin bei einem Thema kommen die drei Parteien zusammen: Den zweiten | |
Stock dürfen Initiativen und Vereine (darunter auch das Kollektiv) selbst | |
bespielen. Die Initiative Dondorf-Druckerei wünscht sich außerdem einen | |
Gedenkraum, in dem dauerhaft der Geschichte Dondorfs gedacht wird. Auf | |
einer persönlichen Ebene bleiben die Hausbesetzer*innen aber die | |
Verlierer. Denn, wie Jule sagt: „Was uns irritiert zurücklässt, ist, dass | |
die Schirn bald einziehen wird und Partys feiert, während wir vor Gericht | |
sind und Strafbefehle bei uns ankommen. Auf Unterstützung der Schirn warten | |
wir bisher vergeblich.“ Inzwischen hat sich das geändert: Alle drei | |
Parteien, die Schirn, die Initiative und das Kollektiv, sind miteinander in | |
Austausch. | |
Anmerkung der Redaktion: dieser Text wurde am 28.8.25 aktualisiert. | |
20 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Isabella Caldart | |
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