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# taz.de -- Die Kunst der Woche: Kolonialismus revisited
> Gelegenheit zur Konfrontation mit der eigenen Imperialgeschichte: die
> Fotografien von Andreas Lang und eine Ausstellung von Toyin Ojih Odutola.
Bild: Andreas Lang: Workers President, 24 x19 cm, aus dem Fotoband: „A Phanto…
In Zeiten von „The Donald“ ist Forschung zum Kolonialismus Ketzerei. Der
Herrscher im Weißen Haus geht gegen die Universitäten vor, die er mit
Klagen überzieht und deren Mittel er kürzt, um sie zu zwingen, ihm
unliebsame Forschungsrichtungen und -projekte aufzugeben. Es ist zu
befürchten, dass Sparmaßnahmen an deutschen Universitäten dazu führen, dass
man auch hier der in den USA angestoßenen Entwicklung folgt.
Dabei stellt sich immer öfter die Frage, ob man den Ideen Trumps folgt oder
sich ihnen beugt. Immerhin gewinnen wir in Europa Erfahrung darin, wie die
US-Regierung die Europäer einschüchtert, erpresst und übergeht. Das ist
vielleicht ein guter Anlass, sich die eigene koloniale Geschichte
anzuschauen und zu fragen, wo und wann man selbst so agierte.
Für diese Auseinandersetzung bietet sich der 255 Seiten starke Band „A
Phantom Geography. Cameroon and Congo“ von Andreas Lang unbedingt an. Vor
zehn Jahren hat der preisgekrönte Fotograf in Berlin zum Thema ausgestellt.
50 Aufnahmen und mehrere Videoinstallationen zeigte er in der
Einzelausstellung [1][„Kamerun und Kongo“ im Deutschen Historischen Museum]
– in dessen Dauerausstellung damals übrigens so gut wie nichts zur
Kolonialgeschichte zu finden war.
Die Frage, der Lang in seiner Phantom Geographie nachgeht, nämlich wie die
Geschichte des deutschen Kolonialismus vergangene und gegenwärtige Sicht-
und Denkweisen prägt, ist also – gerade im Hinblick auf die Institutionen –
höchst aktuell.
Der Band mischt auf anregende Weise Fotografien, die Lang auf den Spuren
des Kolonialoffiziers Reinhold Koblich in Kamerun und Kongo aufgenommen hat
mit alten Aufnahmen aus dessen Besitz sowie Fotos aus weiteren privaten und
institutionellen Archiven. Dazu stellt er Selbstzeugnisse deutscher
Kolonialherren aus der Zeit von 1909 bis 1914. Koblich ist Langs
Urgroßvater und war an einer blutigen Grenzexpedition und der Inbesitznahme
von Französisch-Kongo beteiligt.
Im Band finden sich außerdem Protokolle zu Langs Videoinstallationen und
den dort vertretenen einheimischen Stimmen sowie ein lesenswerter Essay der
Umweltjournalistin Elisabetta Corrà über die Ausbeutung von Mensch und Tier
in Afrika.
Das führt schließlich zur Einrichtung von Reservaten und Nationalparks, den
letzten andauernden Manifestationen der Kolonialherrschaft. Ein Interview
mit der Kuratorin Isabelle Meiffert zur Genese der Phantom Geographie sowie
ein historischer Abriss des Historikers Albert Pascal Temgoua zu Kamerum
während der gewaltvollen, zerstörerischen deutschen Kolonialherrschaft sind
instruktive Lektüren.
Ohne großen Rückgriff auf die postkoloniale Theorie lässt Andreas Lang die
Quellen sprechen, kontrastiert die alten Fotografien mit neuen Fotografien,
die auf seinen Recherchereisen entstanden und die kolonialen Eroberungszüge
reflektieren. In den großartigen Stillleben, als die sich Langs
dokumentarische Aufnahmen zu erkennen geben, spürt man jederzeit den
Nachhall der Geschichte. So wie man in seinen an Sander geschulten
Schwarzweißporträts den entsprechend komplexen Emotionen gewahr wird
([2][Andreas Lang, A Phantom Geography. Cameroon and Congo. Spector Books
2024], 256 Seiten, deutsch/englisch, 52 Euro).
Das Afrikanische Viertel im Wedding ist auch eine Art Phantomgeographie mit
seinen Straßen, die mitten in Berlin Ghana, Kamerun, den Kongo oder Uganda
aufrufen und lange Zeit auch die übelsten Gestalten der deutschen
Kolonialgeschichte.
Nachdem diese Namen endlich getilgt und durch die Namen afrikanischer
Widerstandskämpfer:innen ersetzt wurden, gelangt man seit neuestem
vom Hamburger Bahnhof aus mit der U-Bahnlinie 22 zur Adijatu Straße –
[3][jedenfalls in der gleichnamigen Ausstellung] von Toyin Ojih Odutola.
Die 1985 in Ile-Ife in Nigeria geborene und in den USA aufgewachsene
Künstlerin hat den Ostflügel dort in typischer U-Bahn-Manier gekachelt, mit
den entsprechenden Säulen ausgestattet sowie einer Anzeigetafel der
Haltestellen.
Mit Anhängseln wie Straße, Dorf oder Oper benennen die Stationen der U-22
Ojih Odutolas Ausstellungen der vergangenen 17 Jahre, etwa „A Colonized
Mind Dorf“ (Alabama 2008) oder „A Countervailing Theory Garten“ (London
2020). Und während man durch die Ausstellung geht, begleitet einen von Raum
zu Raum eine Stimme, die in unregelmäßigen Abständen die Ankunft oder die
Abfahrt der U-Bahn in der nach Ojih Odutolas Yoruba-Vornamen benannt
Station Adijatu Straße ankündigt. Die Stimme gehört Benjamin, einem Cousin
der Künstlerin, der in Berlin lebt.
Er ist auch Protagonist in einer ihrer Zeichnungen, die Ojih Odutola mit
Kugelschreibertinte, Kohle, Graphit und Pastellkreide malte. Üblicherweise
sind dies Materialien, die für den Entwurf eines Gemäldes eingesetzt
werden. Die Künstlerin kehrt diese Hierarchie der Materialien um. Zwar
zeigt sie ihren Cousin mit der bekannten Corona-Maske hinter Gittern, was
dem Klischee des straffälligen schwarzen Jugendlichen zu entsprechen
scheint. Sie versteht das Porträt, das große Thema ihres Werks aber auch in
der kunsthistorischen Tradition als Repräsentationsmedium der Reichen und
der Mächtigen. Gleichzeitig verkompliziert sie aber das Oben und Unten,
indem sie etwa ihre Arbeiten als ausgefeilte Narration installiert wie
jetzt mit der U-Bahn-Fahrt.
Die Geschichte eines männlichen Liebespaares in Nigeria interessiert sie,
weil es dort toleriert wird, wenn es der Oberschicht angehört. Im Gespräch
mit Sam Bardaouil sagt sie dazu: „In Westafrika gibt es viele reiche
Menschen à la Trump, aber ich wollte die beiden Männer durch einen anderen
Frame betrachten.“ Und sie ergänzt: „Als Metapher funktionierte der
Reichtum trotzdem, ich weigere mich einfach, die Schrecken des
Kolonialismus abzubilden“.
Diese versteckte Forderung empfinde sie als sehr frustrierend und ermüdend.
Ihre stärkste Waffe gegen das koloniale Elend ist freilich ihre stupende
Zeichenkunst. Sie überführt ihre Porträtkunst in Konzeptkunst. Denn nach
eigener Aussage strebt sie in ihren Porträts „Ökologie, nicht Mimesis“ an.
Letztlich betrachte man kein einzelnes Individuum, sondern „etwas sehr
Dynamisches, das auf die Zeitumstände und unsere Umgebung reagiert.“ Das
habe sie auch ermuntert, „mit Kohle und Pastell zu arbeiten“, trockene
Materialien, die sie durch ihre Vielseitigkeit in der Verwendung
faszinieren ([4][Toyin Ojih Odutola: U22 – Adijatu Straße], bis 4. Januar
2026, Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart, Invalidenstr. 50,
Di/Mi/Fr 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr).
30 Aug 2025
## LINKS
[1] https://www.dhm.de/ausstellungen/archiv/2016/kamerun-und-kongo/
[2] https://spectorbooks.com/de/buch/a-phantom-geography
[3] https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/hamburger-bahnhof/ausstellungen…
[4] https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/hamburger-bahnhof/ausstellungen…
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
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