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# taz.de -- Spiel gegen Kolonialismus: „Rassismus lässt sich nicht mit einem…
> Im Spiel „Relooted“ planen Schwarze Raubzüge in westlichen Museen, um
> Artefakte zurückzustehlen. Entwickler Ben Myres über digitale
> Restitution.
Bild: Szene aus „Relooted“
taz: In Ihrem Spiel „Relooted“ brechen Spieler*innen in westliche Museen
ein, um koloniale Raubgüter zurück nach Afrika zu bringen. Wie gehen Sie
das Thema in einem Computerspiel an?
Ben Myres: Was viele Leute nach dem ersten Trailer nicht gesehen haben,
ist, dass das Spiel sehr fröhlich ist. Das Thema des Spiels – die Artefakte
– ist zwar ernst, aber die Art und Weise, wie die Charaktere in der Welt an
die Sache herangehen und darüber sprechen, ist scherzhaft. Wir wollen
Schwarze Afrikaner*innen in der Zukunft fröhlich darstellen. Nicht so,
wie wir oft Geschichten über Afrika sehen, in denen es um ein armes Kind
vor einer Lehmhütte geht – Sie wissen schon: die typisch westlichen
Geschichten, die wir über Afrika hören.
taz: Wie läuft das Spiel ab?
Myres: Am Ende des 21. Jahrhunderts wird die Rückgabe kolonialer Artefakte
aus westlichen Museen vereinbart, aber nur derer, die öffentlich zu sehen
sind. Um einer Rückgabe zu entgehen, bringen Museen deshalb ihre Artefakte
hinter verschlossene Türen. Die Spieler*innen nehmen die Rückführung also
selbst in die Hand. Dafür müssen sie Einbruchsrouten planen, Rätsel lösen,
ihre Crew richtig einsetzen und aus dem Museum wieder entkommen.
taz: Sie orientieren sich dabei am Genre des Heist-Films, bei dem ein gut
aufgestelltes Team die halbe Miete ist. Wie sieht das Team in „Relooted“
aus?
Myres: Dafür muss ich kurz über Afrofuturismus und Afrikafuturismus
sprechen. Ersteres kennt man durch Marvels „Black Panther“ und die fiktive
Stadt Wakanda, aber „Relooted“ ist Afrikafuturismus. Hier werden reale
Kulturen, Ethnien, Orte und Menschen in der Zukunft gedacht. Wir stellen
uns zum Beispiel vor, wie Johannesburg, wo das Spiel stattfindet, zukünftig
aussieht. Hier kommt auch unsere Protagonistin Nomali her, ehemaliger
Parkourchampion und inzwischen Sportwissenschaftlerin, die wegen ihres
kleinen Bruders in die Geschichte hineingerät und ihre Arbeit in Tansania
aufgibt. Da geplünderte Artefakte aber vom ganzen Kontinent stammen, wird
das auch im Spiel abgebildet: Wir haben den Akrobaten Ndedi, der aus
Kamerun kommt; unser Gadgettyp Fred ist aus Kongo. Später im Spiel treffen
wir eine Hackerin aus Kenia sowie „The Muscle from Malawi“, wie wir sie
nennen. Der Rest der Charaktere kommt aus verschiedenen Teilen Südafrikas.
taz: Warum spielt das Spiel am Ende des 21. Jahrhunderts? Ist eine
Rücknahme der Raubgüter aus dem Westen heute eher unrealistisch?
Myres: Als ich die Idee 2017 hatte, gab es noch kein Interesse an
afrikanisch inspirierten Spielen. Dann kam „Black Panther“ Mitte 2018
heraus, und ich dachte: Ah, das ist der Aspekt, für den sich die Leute
begeistern: Afrofuturismus. Dann kam Mohale Mashigo als Spieleautorin ins
Team und hat Afrikafuturismus vorgeschlagen. Es war also insgesamt eine
datengetriebene Entscheidung. Aber wir haben uns alle auch in die Idee
verliebt, sich eine utopische Zukunft in Afrika vorzustellen, weil wir das
nicht oft zu sehen bekommen. Außerdem distanziert uns das Setting von
möglichen Komplikationen mit Museen und erlaubt uns, die Erzählung des
Spiels freier umzusetzen.
taz: Die Spieler*innen werden 70 reale Artefakte zurückholen. Wie sah
der Auswahlprozess aus?
Myres: Das Problem war nicht, genug Artefakte zu finden, sondern welche wir
auswählen. Wir wollen den Leuten wirklich vermitteln, wie wichtig die
Artefakte sind; dass sie wie das Herzstück ganzer Zivilisationen und
Kulturen waren. Das war bei der Auswahl der erste Schritt. Zweitens haben
wir versucht, Artefakte aus ganz Afrika auszusuchen, denn der Raub ist ein
Problem für jedes Land des Kontinents. Zudem wollten wir nicht zu viele
Masken nehmen, die man eh häufig in Museen sieht, und stattdessen noch
andere beeindruckende Artefakte implementieren: Zum Beispiel die
Ngadji-Trommel der Pokomo oder die Maqdala-Krone.
taz: Unter den Artefakten werden auch menschliche Überreste sein, zum
Beispiel der Schädel von [1][Mangi Meli], der von [2][deutschen
Kolonialisten] ermordet wurde.
Myres: Mohale hat die Entscheidung getroffen, das ins Spiel zu bringen.
Neben Mangi Melis Schädel werden die Spieler*innen zum Beispiel die
Überreste von Prinz Alemayehu zurückholen, die derzeit im British Museum
liegen. Es ist eine sehr starke Darstellung des Kolonialismus: menschliche
Körper, die immer noch irgendwo in Europa sind. Die Leute haben vielleicht
den Eindruck, dass alle Menschen oder Zivilisationen, die an diesen
Artefakten beteiligt waren, nicht mehr existieren. Aber das ist nicht wahr.
Die direkten Nachfahren dieser Menschen fragen: Hey, kann ich die Überreste
meines Ururgroßvaters zurückhaben?, und Europa sagt Nein.
taz: Arbeiten Sie mit Museen zusammen, die selbst Raubgüter in ihren
Sammlungen haben?
Myres: Wir sind erst nicht auf die Museen zugegangen, weil wir dachten,
dass sie von „Relooted“ nicht begeistert sein würden. Aber wir haben uns
geirrt: Mehrere Museen haben sich an uns gewandt und gefragt, ob wir mit
ihnen zusammenarbeiten könnten. Einige haben sogar gefragt, ob wir 3D-Scans
ihrer Artefakte für das Spiel brauchen, weil sie Wert auf Transparenz legen
würden. Wir haben das abgelehnt, weil wir schon genug Modelle hatten, aber
es war auf jeden Fall überraschend. Ein Museum, mit dem wir aber gern
sprechen möchten, ist das Musée des civilisations noires in Dakar,
Senegal. Es ist das einzige echte Museum, das wir im Spiel abbilden wollen.
Hier brechen wir am Ende des Spiels ein und bringen alle zurückgeholten
Artefakte mit. Das Museum wurde ja gebaut, um der Vorstellung
entgegenzuwirken, dass Afrika nicht die Möglichkeiten hätte, die Artefakte
selbst aufzubewahren. Jetzt steht das Museum leer, weil man auf die
Artefakte aus dem Westen wartet.
taz: Abgesehen von den Museen waren die Reaktionen auf das Spiel sehr
unterschiedlich. Ich habe Kommentare gelesen, die genau solche kolonialen
oder [3][rassistischen Narrative] wiederholen: Afrika sei für die
Bewahrung der Artefakte ungeeignet, oder das Stehlen von Artefakten
wiederhole Stereotype über Schwarze.
Myres: Ich denke, das ist zum Teil der Kulturkampf. Ich hasse diesen
Ausdruck, aber ich sage es trotzdem. Der Kulturkampf findet vor allem im
Westen statt. Besonders in der Spielebranche gibt es eine Menge Widerstand
gegen Vielfalt und Inklusion. Ich finde es seltsam, dass dieser Kulturkampf
einem afrikanischen Studio, das ein Spiel über Afrikaner*innen macht,
aufgezwungen wird. Außerdem: Auch bei „Tomb Raider“ oder „Indiana Jones�…
wird gestohlen – aber wenn es Schwarze machen, ist es ein Problem? Das kann
man nur denken, wenn man dieses Stereotyp glaubt. Dazu wussten wir, dass
„Relooted“ am besten in den afrikanischen Diasporacommunitys ankommen
wird. Zum Beispiel hat Black Nerd Problems den Trailer auf Instagram
gepostet, und allein in diesem Beitrag wurde er über 730.000-mal angesehen.
Hier waren die Kommentare positiv.
taz: Das zeigt auch, dass Sie mit „Relooted“ einen Nerv getroffen haben.
Ist Ihr Ziel, die Meinungen der Spieler*innen zu diesem Thema zu ändern?
Myres: Leider bin ich nicht gut genug, um Rassismus durch ein Videospiel zu
beenden. „Relooted“ liefert zwar alle Antworten auf diese rassistischen und
kolonialen Positionen, aber kein Spiel der Welt wird Leute überzeugen, die
ihre Meinung nicht ändern wollen. Deshalb ist das auch nicht unser Ziel.
taz: Kann ein Computerspiel überhaupt einen Beitrag zur komplexen
[4][Restitutionsdebatte] leisten?
Myres: Wir haben das Spiel gemacht, weil wir denken, dass Rückführungen
stattfinden sollten. Aber ich bin mir nicht sicher, wie groß unser Einfluss
darauf sein kann. Wenn genug Leute das Spiel spielen, werden sie sich
vielleicht den Bewegungen anschließen, die um Rückgaben kämpfen. Ehrlich,
wenn ein Artefakt als Ergebnis dieses Spiels nach Hause kommt, kann ich
glücklich sterben.
22 Aug 2025
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## AUTOREN
Magnus Drebenstedt
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