| # taz.de -- Demokratieabbau in El Salvador: Rette sich, wer kann | |
| > Vor laufenden Kameras wird El Salvadors Demokratie peu à peu begraben. | |
| > Mit einer Verfassungsänderung will Präsident Nahib Bukele seine Macht | |
| > sichern. | |
| Bild: San Salvador, Juni 2025: Ein militärisches Ehrenbataillon wird gleich be… | |
| Hamburg taz | Zwei Anrufe waren der Grund dafür, dass Ingrid Escobar am 7. | |
| Juni [1][El Salvador] fluchtartig mit ihren beiden Kindern verließ. „Mich | |
| hat jemand aus der Staatsanwaltschaft und parallel dazu ein bekannter | |
| Journalist gewarnt, dass meine Verhaftung bevorstehe. Also habe ich | |
| reagiert“, erinnert sich die 42-jährige Anwältin. Escobar ist Direktorin | |
| einer humanitären juristischen Hilfsorganisation, dem Socorro Jurídico | |
| Humanitario. Die bietet Angehörigen von Inhaftierten Beratung und | |
| juristischen Beistand an, und dabei stießen Escobar und ihre | |
| Mitarbeiter:innen immer wieder auf Fehler, Übergriffe und etliche | |
| Fälle von Rechtsbeugung. | |
| All das wurde dokumentiert, die Fälle öffentlich gemacht und juristisch | |
| dagegen vorgegangen. „Das macht uns genauso wie andere | |
| Menschenrechtsorganisationen zu Unbequemen. Wir weisen dem Staat | |
| Verletzungen der geltenden Gesetze nach. Nicht einmal, sondern dutzend- | |
| nein, hundertfach“, kritisiert Escobar. Sie wartet einige hundert Kilometer | |
| weiter nördlich von San Salvador auf politisches Asyl, einen festen Status, | |
| und bevor sie den nicht hat, will sie ihren Standort nicht preisgeben. | |
| Dieses Schicksal teilt sie mit vielen anderen. Mindestens 40 | |
| Journalist:innen, etliche bekannte Vertreter:innen von | |
| Menschenrechtsorganisationen, aber auch Gewerkschaftsvertreter:innen | |
| und etliche andere Protagonist:innen der Zivilgesellschaft El Salvadors | |
| haben das Land seit dem 20. Mai fluchtartig verlassen. Ein wesentlicher | |
| Grund dafür ist das „[2][Gesetz über ausländische Agenten“.] | |
| Das Dekret, am 20. Mai vom Parlament mit 57 von 60 Stimmen verabschiedet, | |
| sorgt dafür, dass sämtliche mit Mitteln aus dem Ausland finanzierte | |
| Organisationen 30 Prozent Steuern auf alle Überweisungen aus dem Ausland | |
| sowie weitere 30 Prozent auf Überweisungen in El Salvador abführen müssen. | |
| Obendrein gilt für alle Organisationen, die Mittel aus dem Ausland | |
| erhalten, dass sie sich bei einer eigens dafür geschaffenen Behörde | |
| registrieren lassen müssen. | |
| ## Unliebsame Organisationen kontrollieren | |
| Das Prozedere ist nicht neu: in Nicaragua und Venezuela ist es schon länger | |
| Usus. In Peru wurde Mitte März diesen Jahres das „Anti-NGO-Gesetz“ | |
| verabschiedet, auch da lautet das Motiv: unliebsame | |
| Nichtregierungsorganisationen (NGO) an die Kette legen, unbequeme Stimmen | |
| aus der Zivilgesellschaft zum Schweigen zu bringen. In El Salvador läuft | |
| das auf Hochtouren. Dutzende von Protagonist:innen der | |
| Zivilgesellschaft wurden am 20. Mai und in den Tagen danach festgenommen | |
| und ins Gefängnis gesteckt. Die vielleicht bekannteste ist Ruth López, | |
| Anwältin und Antikorruptionsspezialistin der Menschenrechtsorganisation | |
| Cristosal. Sie sitzt in Haft, ihre Organisation hat am 17. Juli das Land | |
| verlassen. | |
| Für Ingrid Escobar hatte die Festnahme der Kollegin Signalcharakter, für | |
| Ivania Cruz von der Menschenrechtsorganisation (UNIDEHC) war es die von | |
| ihrem Kollegen Fidel Zaval. „Er befindet sich seit dem 2. April in einem | |
| Gefängnis, in dem nachweislich gefoltert wird“, so die 32-jährige Juristin. | |
| Sie lebt seit Ende Februar mit einem humanitären Stipendium im spanischen | |
| Bilbao und setzt von dort aus die Arbeit der Organisation fort. „Wir haben | |
| Dutzende Fälle von Gewalt in den neun Haftanstalten des Landes | |
| dokumentiert, unterstützten aber auch Gemeinden, die von Vertreibung durch | |
| Investoren bedroht sind – oft unterstützt von der Regierung“, sagt sie. | |
| Dabei ist sie mehrfach auf den Namen Bukele gestoßen, denn seine Familie | |
| hat sich Grundstücke im Kaffeesektor genauso wie Strandabschnitte | |
| angeeignet. „Bezahlt teilweise aus der Regierungskasse“, sagt Ivania Cruz. | |
| Sätze, die dazu beigetragen haben könnten, dass gegen Cruz als „Mitglied | |
| einer kriminellen Vereinigung“ ermittelt wird. „Eigentlich ein | |
| Straftatbestand, den wir nur aus dem Bandenkontext kennen, aber nun wird er | |
| auch gegen Menschenrechtsorganisationen angewandt“, erklärt die Juristin | |
| mit ruhiger Stimme. Für sie ein weiterer Beleg für die Auflösung der | |
| demokratischen Strukturen in El Salvador. Exekutive, Judikative und | |
| Legislative tanzen nach der Pfeife von Präsident Nayib Bukele, so Cruz. | |
| Doch anders als noch im Februar 2024, als er mit satter Mehrheit | |
| wiedergewählt wurde, obwohl die Verfassung eine Wiederwahl nicht vorsieht, | |
| bröckelt der Rückhalt des Mannes, der sich gern als „coolsten Diktator der | |
| Welt“ bezeichnet. „Heute haben die Menschen Angst, sich öffentlich zu | |
| äußern. Laut den Umfragen ist die Zustimmung auf 55 Prozent gefallen. Doch | |
| es könnten auch deutlich weniger sein“, so Ivania Cruz. | |
| ## Unbegrenzte Wiederwahl möglich | |
| Sie erinnert sich noch gut an die Demo gegen das „Ausnahmeregime“ vom 15. | |
| September 2024 – die letzte größere Demonstration gegen den Präsidenten und | |
| ein System, das auf der monatlichen Verlängerung des Ausnahmezustands fußt. | |
| Der wird regelmäßig seit dem 27. März 2022 verlängert und regelmäßig | |
| stimmen dafür die 57 Abgeordneten der Präsidentenpartei „Nuevas Ideas“. | |
| Sie votierten auch am 1. August für eine Verfassungsänderung, die dem | |
| Präsidenten eine Wiederwahl ermöglicht. Nicht einmal, sondern unbegrenzt. | |
| Für Ingrid Escobar und Ivania Cruz ein weiterer Schritt zur Beerdigung der | |
| Demokratie in El Salvador. | |
| 12 Aug 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Knut Henkel | |
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