| # taz.de -- Menschenrechtler aus El Savador: „Viele fallen auf die Propaganda… | |
| > Mit dem Instrument des Ausnahmezustandes höhlt El Salvadors Präsident | |
| > Bukele die Demokratie immer weiter aus, warnt Menschenrechtler Samuel | |
| > Rámirez. | |
| Bild: „Sie werden uns nicht zum Schweigen bringen“, erklärt diese Frau bei… | |
| taz: Herr Ramírez, Sie sind Koordinator der Bewegung der Opfer des | |
| Ausnahmenzustands, der seit dem 27. März 2022 in El Salvador gilt. Was sind | |
| die Ziele Ihrer Organisation in einem Land, das in wenigen Jahren zu einer | |
| Diktatur umgebaut wurde? | |
| Samuel Ramírez: Wir gehen von mindestens 30.000 Menschen aus, die in El | |
| Salvador teilweise länger als drei Jahre inhaftiert sind, obwohl gegen sie | |
| keine Beweise vorliegen. Unsere Aufgabe ist es, auf ihre Situation und die | |
| ihrer Angehörigen hinzuweisen. Movir ist Teil der Zivilgesellschaft – wir | |
| wehren uns gegen die gut geölte Propagandamaschinerie von Präsident Nayib | |
| Bukele. Er ist ein Experte der Konstruktion von Lügen, seine Regierung | |
| investiert viel Geld in ihr öffentliches Image. An der Medienmaschinerie | |
| der autoritären Regierung kommt kaum jemand vorbei. Allein Präsident Nayib | |
| Bukele hat sechs Millionen Follower in den sozialen Netzen. | |
| taz: Und er überzeugt die Menschen? | |
| Ramírez: Viele sind fanatisch, fallen auf die verlogene Propaganda herein. | |
| Aber das beginnt sich zu ändern. Die Armutsindikatoren steigen, die | |
| Arbeitslosigkeit nimmt zu und die sozialen Probleme werden immer | |
| sichtbarer. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung ist quasi greifbar, aber | |
| die Angst vor dem Repressionsapparat der Regierung ist immens. Wer | |
| öffentlich kritisiert, riskiert Festnahme und Inhaftierung. | |
| taz: Was ist an Movir anders als an anderen Menschenrechtsorganisationen, | |
| die das Land verlassen mussten? | |
| Ramírez: Movir ist eine Graswurzelorganisation von unten, wir erhalten kein | |
| Geld aus dem Ausland, haben keine Anwälte, Experten, die wir bezahlen. Wir | |
| sind eine Organisation von Freiwilligen, die sich engagieren – oft für ihre | |
| Angehörigen. Dafür nutzen wir vor allem die sozialen Netzwerke, zeigen aber | |
| auch auf der Straße Präsenz. | |
| taz: Wie muss ich mir das vorstellen? | |
| Ramírez: Ein Beispiel: Die offizielle Ombudsstelle für Menschenrechte hat | |
| kürzlich eine Showveranstaltung zur Lage der Menschenrechte in der Region | |
| durchgeführt, zu der Delegationen ultrarechter Organisationen gekommen | |
| sind. Wir gaben die Veranstaltung gestört: mit Megafonen sind wir vor den | |
| Veranstaltungsort gezogen, haben Flugblätter verteilt, auf die Situation | |
| der Opfer aufmerksam gemacht. Bis wir von der Polizei festgenommen und | |
| weggefahren wurden. Alle Teilnehmenden wurden wenig später wieder | |
| freigelassen. | |
| taz: Ausnahmezustand und seit einigen Monaten die direkte Kriminalisierung | |
| von Kritiker:innen prägen El Salvador. Ist die Zivilgesellschaft | |
| mundtot gemacht worden? | |
| Ramírez: Die Menschen wissen, dass der seit dem 27. März 2022 geltende und | |
| immer wieder verlängerte Ausnahmezustand der Regierung erlaubt, repressiv | |
| gegen jeden und jede vorzugehen. Denken Sie an den Fall von Ruth López, | |
| Rechtsanwältin, die zahlreiche Korruptionsfälle in der Regierung Bukele und | |
| etliche Menschenrechtsverletzungen aufgedeckt hat. Seit Mai 2025 sitzt Frau | |
| López, obwohl sie eine internationale anerkannte Expertin ist, in Haft und | |
| die Anwälte dürfen sie nicht besuchen, wissen nicht wie es ihr geht. Auch | |
| den engsten Angehörigen, der direkten Familie, wird das Besuchsrecht | |
| verweigert – das ist die bittere Realität El Salvadors. | |
| taz: Welche Bedeutung hat das im Mai verabschiedete Gesetz gegen | |
| „ausländische Agenten“? | |
| Ramírez: Eine entscheidende, denn mit dem Gesetz wird Organisationen, die | |
| sich für die Menschen-, die Umweltrechts, eine unabhängige Justiz und | |
| Presse engagieren die Grundlage genommen. Die Regierung bestreitet das, | |
| setzt alle Hebel in Bewegung um abzulenken, wirft Nebelkerzen und verweist | |
| gebetsmühlenartig auf die Sicherheitslage im Land und die niedrige | |
| Mordquote. Aber warum wird dann der Ausnahmezustand dann trotzdem immer | |
| wieder verlängert? | |
| taz: Wie wirkt sich der Ausnahmezustand denn konkret aus? | |
| Ramírez: Mit dem Ausnahmezustand geht eine enorme Machtkonzentration | |
| einher, die Armee hat in den Straßen die Befehlsgewalt, kann jeden und jede | |
| kontrollieren, und die Bevölkerung ist der Willkür der Sicherheitskräfte | |
| ausgesetzt. Hinzu kommt eine Zunahme der Korruption. Fakt ist aber auch, | |
| dass die Regierung das Parlament kontrolliert: 57 von 60 Abgeordneten | |
| gehören der Partei des Präsidenten an: Nuevas Ideas. Wir leben in einer | |
| Diktatur mit demokratischem Anstrich. | |
| taz: Warum lässt man Sie und Ihre Organisation bisher in Ruhe? | |
| Ramírez: Ich denke, weil wir so etwas wie ein Feigenblatt für eine | |
| autoritäre Regierung sind: auf unsere Existenz kann man verweisen, wenn es | |
| unbequeme Fragen gibt. | |
| Sie werden Anfang Oktober zurückkehren nach San Salvador – rechnen Sie nach | |
| der Rundreise mit Repressalien? | |
| Ramírez: Wir treten für Gerechtigkeit, für Wahrheit und demokratische | |
| Grundrechte ein – das ist unser gutes Recht. Ob wir dafür kriminalisiert | |
| werden, wissen wir nicht. | |
| 14 Oct 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Knut Henkel | |
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