# taz.de -- Zivilgesellschaft in El Salvador: Leben unter dem Zocker-Präsident… | |
> Die USA schieben Venezolaner:innen nach El Salvador ab. Dort sagt | |
> Präsident Bukele Banden den Kampf an. Das stößt auf Zustimmung – und | |
> Ängste. | |
Bild: Salvadorianische Soldaten patrouillieren durch eine Straße in San Salvad… | |
Gefangene mit kurz geschorenen Haaren, weißem Shirt, weißer Hose, weißen | |
Socken. Doch das Wichtigste an dieser Choreografie ist: Es gibt nur | |
Gruppenauftritte. Alle Darsteller werden in dieselbe geduckte Körperhaltung | |
gezwungen, sie müssen nacheinander – möglichst in gleichem Abstand – Gän… | |
ablaufen und sitzen schließlich – großes Finale – in waagerecht und | |
senkrecht geordneten Reihen auf dem Boden. Diese gefilmte oder | |
fotografierte Inszenierung wird in El Salvador schon seit Jahren | |
aufgeführt. Man kann davon ausgehen, dass alle Salvadorianer:innen | |
diese Aufführung mehr als einmal gesehen haben. Von alleine erzählen sie | |
einem überall im Land davon. „Der Präsident hat ein Gefängnis bauen lassen, | |
da passen 40.000 Menschen rein.“ Und dann folgt immer – bedeutungsschwer | |
ausgesprochen – der Satz: „Und da ist noch viel Platz!“ | |
Nun sorgte diese Inszenierung erstmals auch für weltweites Aufsehen, weil | |
vor wenigen Tagen die unfreiwilligen Darsteller nicht aus dem eigenen Land | |
kamen. [1][238 venezolanische Gefangene wurden Mitte März, in einer | |
nächtlichen Blitzaktion, aus den USA nach El Salvador abgeschoben]. Der | |
allgegenwärtige Satz „Und da ist noch viel Platz!“ war also auch ein | |
Angebot an befreundete Herrscher wie Donald Trump. Präsident Nayib Bukele | |
vermietet auch Gefängnisfläche. | |
[2][Seit 2019 regiert Bukele in El Salvador]. Der 43-Jährige inszeniert | |
sich dabei auf Social Media, nennt sich selbst den „coolsten Diktator der | |
Welt“. Seit seiner Wahl geht das lateinamerikanische Land neue Wege. Bukele | |
führte die Kryptowährung Bitcoin als offizielles Zahlungsmittel ein. Vor | |
allem aber sagte er der Bandenkriminalität den Kampf an, [3][verhängt seit | |
2022 einen Ausnahmezustand über das Land]. 82.500 Menschen wurden in den | |
vergangenen Jahren inhaftiert, mit oft zweifelhaften Begründungen. | |
Die ersten Angehörigen der nun abgeschobenen Venezolaner suchen bereits die | |
Öffentlichkeit um zu beteuern, dass ihr Mann, Sohn, Bruder unschuldig sei. | |
Gleiche Stimmen hört man auch zu den inhaftierten Salvadorianer:innen. Die | |
Menschenrechtsorganisation Socorro Jurídico Humanitario beklagt, dass knapp | |
jeder Dritte zu Unrecht in den Gefängnissen des Landes verschwunden sei. | |
Bei über sechs Millionen Einwohner:innen kann man davon ausgehen: Jede | |
und jeder kennt jemanden, der einsitzt – und viele kennen jemanden, der | |
unschuldig einsitzt. [4][Im Januar 2024 wurde Präsident Bukele trotzdem und | |
mit großer Mehrheit wiedergewählt]. Sein Kalkül ist zunächst einmal | |
aufgegangen. | |
Die 82.500 Gefangenen haben Cintia Flores (Name geändert) den Weg zurück in | |
ihre alte Heimat ermöglicht. Die 24-Jährige verkauft selbstgemachte | |
Teigtaschen aus ihrem Bauchladen auf dem Markt von Nahuizalco, einer Stadt | |
mit etwa 50.000 Einwohner:innen im Westen des Landes. Sie hätte gerne | |
einen festen Marktstand wie ihre Eltern, erzählt sie. Aber sie bekäme | |
keinen, obwohl manche Frauen gleich drei Stände hätten. Doch das seien | |
Kleinigkeiten im Vergleich zu früher. Da sei es hier um Leben und Tod | |
gegangen, sagt Flores. „Meine Eltern hatten einen Marktstand. 2009 sollten | |
sie der Bande, die die Stadt beherrschte, eine ‚Abgabe‘ zahlen. Sie sahen | |
das nicht ein. Die Marktfrauen, die der Bande kein Geld gaben, wurden | |
umgebracht. Meine Eltern flohen mit uns drei Töchtern nach Guatemala.“ | |
Cintia Flores war da neun Jahre alt. | |
Diese Banden hatten sich ab 1992 in El Salvador ausgebreitet. Damals war | |
der dreizehn Jahre währende Bürgerkrieg im Land zu Ende gegangen, viele in | |
die USA geflüchtete Salvadorianer:innen wurden in ihre Heimat | |
abgeschoben. Die meisten kamen aus Los Angeles. Dort hatten sie nur in | |
Gruppen überleben können, gegen die mexikanischen, afroamerikanischen und | |
philippinischen Gangs. Zurück in ihrem Heimatland trafen sie auf junge | |
Männer, die in den Bürgerkriegsjahren mit Straßenschlachten und | |
Messerduellen aufgewachsen waren. Schnell wuchs zusammen, was nur Gewalt | |
als Mittel zum Überleben kannte. | |
## „Jetzt kann man hier ganz ruhig leben“ | |
Seit Bukele Präsident wurde und anfing, zehntausende Männer einsperren zu | |
lassen, die als Bandenmitglieder beschuldigt wurden, sank die Kriminalität. | |
2022 kam Cintia Flores daher zurück, nun mit Mann und Sohn, danach wurde | |
noch ihre Tochter geboren. Ihr guatemaltekischer Mann, ein Elektriker, ist | |
auf dem Markt dazugekommen und ergänzt, dass sogar die Uber-Fahrer in | |
Nahuizalco erpresst worden seien. Flores ist heute 24 Jahre alt und | |
zufrieden: „Ich kenne hier auf dem Markt so viele Familien. Nahuizalco ist | |
übersichtlich. Jetzt, da Frieden herrscht, kann man hier ganz ruhig leben.“ | |
Etwa eine Stunde weiter nordwestlich liegt der Nationalpark „El Imposíble“. | |
Edwin Arévalo nennt ihn sein Wohnzimmer. Es vergehe kein Tag, an dem er | |
nicht Stunden draußen verbringe, sagt er. Nur das würde ihn ins | |
Gleichgewicht bringen. An diesem Tag ist es ein wenig windig. Bei Wind | |
würden sich die Schlangen zurückziehen, sonst könne man sie zischeln hören, | |
erzählt Arévalo. Der 35-Jährige hat mit neun Jahren angefangen, Touren | |
anzubieten. Damals seien überwiegend Einheimische gekommen. „Die | |
Salvadorianer und auch die Guatemalteken bewegen sich nicht gerne. Also: so | |
nah wie möglich an die Wasserfälle heranfahren, dann Fotos machen und dann | |
zurück zum Auto und essen gehen. Das ist für die meisten der perfekte | |
Ausflug.“ | |
Dann hätten die Banden die ganze Zone übernommen. Die salvadorianischen | |
Tourist:innen seien weggeblieben, weil es zu gefährlich gewesen sei. | |
Ausländer:innen sollten her und das habe auch funktioniert, sagt | |
Arévalo. Die Tourist:innen hätten ihn nicht während der Tour bezahlen | |
können, sondern per Banküberweisung oder außerhalb des Parks, eher | |
konspirativ. Sonst wäre das Geld weg gewesen, berichtet Arévalo. Doch jetzt | |
könne man hier in Frieden arbeiten. | |
Arévalo zeigt auf eine Pflanze mit dem Namen Tarro. Wie Sterne stehen ihre | |
Dornen vom Stamm ab. Sie sieht trocken und harmlos aus, doch wenn man sich | |
an einer ihrer Dornen sticht, sei man innerhalb weniger Stunden tot. „Ein | |
Tourist hat sich mal beim Hinsetzen gestochen, als er sich abstützte, und | |
da war ein Dorn“, erzählt Arévalo so ruhig, dass man ihm Falle des Falles | |
sein Leben anvertrauen würde. „Innerhalb der ersten Stunde hat man die | |
Chance, das Gift herauszuholen. Es macht sich erst langsam durch die | |
Blutbahn auf den Weg zum Herzen. Ich hab das gemacht und der Tourist hat | |
überlebt.“ | |
„El Imposible“ ist der größte Nationalpark El Salvadors, ein „tropischer | |
Trockenwald“. Mehr als 5.000 Schmetterlingsarten, 53 Amphibien- und | |
Reptilienarten, 285 Vogelarten, gut 100 Arten von Säugetieren und mehr als | |
500 Pflanzenarten gibt es hier. Die meisten Besucher:innen kämen aus | |
Deutschland, sagt Arévalo, dann USA, Frankreich, Italien und Niederlande. | |
Den ganzen Tag über sieht man keinen Menschen. Wie sieht es mit seinen | |
früheren Schulkameraden aus? Haben sich welche einer Bande angeschlossen? | |
Ja, sagt Arévalo. „Manche sind nun tot, manche im Gefängnis, manche | |
spurlos verschwunden.“ | |
## Die Angst, im Gefängnis zu verschwinden | |
Davor hat auch Luis Marzo (Name geändert) Angst. Doch nicht, weil er einer | |
Bande angehört hätte, sondern weil er gegen eine geplante Goldmine kämpft. | |
Er lebt nahe der Stadt Juayua, wo es sieben Wasserfälle gibt. Die Regierung | |
wolle den Goldabbau fördern, erzählt der 32-Jährige. „Hier sollen Minen | |
entstehen. All die schönen Wasserfälle zum Beispiel würden dann zerstört. | |
Die Bevölkerung ist dagegen.“ Alle seien in einer Hab-Acht-Stellung, sagt | |
Marzo. „Wir haben Angst, festgenommen zu werden und in einem der | |
Gefängnisse zu verschwinden.“ Da steht sie wieder im Raum, die | |
Gefängnisdrohung: „Und da sind noch viele Plätze frei.“ | |
Nach Marzos Worten könnten Bukele-Jünger – sei es ein Polizist, ein Soldat | |
oder ein Nachbar – einen Vorwurf erfinden, zum Beispiel, dass man ein | |
Bandenmitglied sei, und dann: ab in den Knast. Unter dem Ausnahmezustand, | |
den die Regierung seit drei Jahren alle vier Wochen verlängert, dürfen | |
Zeug:innen anonym bleiben. „Die Bukele-Fans hetzen auch in den sozialen | |
Medien gegen die Menschen, die an Regierungsmaßnahmen konkret Kritik | |
äußern. Dann folgt ein Shitstorm.“ | |
Auf die Sache mit den Festnahmen hat der Polizist Pedro Ruiz (Name | |
geändert) einen ganz anderen Blick. Früher habe die Polizei einen Menschen | |
festnehmen können, wenn er eine Waffe trug, sagt Ruiz. Sie durfte ihm die | |
Waffe abnehmen, musste aber den Menschen wieder freilassen. Ein paar Tage | |
später sei dieser wieder aufgetaucht, mit einer neuen Waffe, und das ganze | |
Spiel sei von vorne losgegangen. Heute könnten sie ihn festnehmen und er | |
komme nicht mehr frei. Der Polizist findet das angemessen, denn es würden | |
ja, so sieht er es, ausschließlich Bandenmitglieder festgenommen. | |
Ruiz macht mit seiner Frau und seinen Söhnen, elf, acht und drei Jahre alt, | |
an diesem Sonntag gerade einen Ausflug zur Laguna Verde in der Nähe der | |
Stadt Apaneca. Der Kratersee liegt auf 1.830 Meter Höhe und ist umrahmt von | |
Pinien, Zypressen und Teichbinsen. Ruiz grüßt freundlich. Grüßen ist | |
überall in El Salvador – außer in der Hauptstadt – normal. Man lächelt v… | |
und wünscht sich einen wunderschönen Tag oder Ähnliches. Der 37-Jährige | |
freut sich sichtlich, aus seinem Leben erzählen zu können. Er und seine | |
Frau seien schon drauf und dran gewesen, nach Italien auszuwandern, wo ein | |
großer Teil der Familie lebe. Der Grund: „Die Kriminalität, die | |
Unsicherheit. Die Kinder konnten nicht draußen spielen. Früher war es so, | |
dass man zum Beispiel in Santa Ana als Polizist bestimmte Stadtviertel gar | |
nicht betreten konnte. Die sind bewacht worden von der herrschenden Bande. | |
Wenn man trotzdem reinging, ist man nicht mehr lebend herausgekommen.“ | |
Dann wurde Bukele Präsident, und die Situation habe sich total geändert. | |
„Die Kinder sind jetzt außer Gefahr“, lobt Ruiz. „Und die Polizei ist | |
heutzutage viel moderner, auch bei der Ausstattung. Wir haben viele | |
Schulungen bekommen, zum Beispiel zum Thema Menschenrechte.“ | |
Ruiz sagt, er habe erwartet, dass der neue Präsident wie seine Vorgänger | |
korrupt sein würde, aber das sei nicht eingetreten. Er findet, dass alle | |
staatlichen Einrichtungen jetzt gut funktionierten, zum Beispiel bei | |
Stellenbewerbungen. Ein Bekannter habe gedacht, da er jemanden kenne, würde | |
er genommen werden. Aber nein: Alle müssten sich nun ordentlich bewerben | |
und würden nach Qualifikation eingestellt. Der Bekannte habe die Stelle | |
nicht bekommen. | |
Ruiz’ drei Söhne toben herum. Seine Frau hat sie permanent im Blick und | |
beteiligt sich nur mit gelegentlichem Nicken am Gespräch. „Bei der Polizei | |
gibt es eigentlich keine Korruption mehr“, sagt Ruiz. „Aber jeder macht mal | |
einen Fehler, und so gibt es einzelne Menschen, die korrupt sind. Sie | |
verlieren sofort ihre Stelle, wenn das herauskommt, und zwar nicht nur in | |
der Polizei, sondern im öffentlichen Dienst allgemein. Ich würde also | |
sofort entlassen werden. Doch von mir hängt so viel ab: meine Frau, meine | |
Kinder, mein Haus. Es wäre völlig töricht, mein gutes Leben zu gefährden. | |
Und so sehen das auch meine Kollegen.“ | |
## Als erstes Land Bitcoin als Staatswährung eingeführt | |
Mit seinem Vorgehen gegen die Banden, mit den Festnahmen und dem | |
Ausnahmezustand versucht Präsident Bukele eine Kehrtwende hinzubekommen, | |
die seinen Vorgängern nicht gelungen war. Doch das sind nur einige der | |
Wände eines Kartenhauses. Die Bel Etage, mit der man richtig Einnahmen | |
erzielen kann – in anderen Ländern die Rohstoffe oder die Ingenieurskunst | |
–, soll in El Salvador der Bitcoin sein. Bukele hat alles auf diese Karte | |
gesetzt. | |
Über sechs Millionen Salvadorianer:innen leben in ihrem Land und noch | |
einmal drei Millionen im Ausland. Diese tragen mit ihren Überweisungen nach | |
Hause erheblich zum Wohlstand – wenn man das so nennen mag – des Landes | |
bei. Bukele wollte das gleich mehrfach nutzen. [5][2021 führte El Salvador | |
als erstes Land überhaupt den Bitcoin als offizielles Zahlungsmittel ein, | |
neben dem US-Dollar]. Wenn nun die Salvadorianer:innen im Ausland in | |
der Kryptowährung Überweisungen machen, sparen sie die Auslandsgebühr. Die | |
Regierung gibt dazu keine Zahlen heraus, doch die Rechercheplattform „El | |
Faro“ trug Zahlen zusammen, die den Schluss nahelegen, dass diese | |
Möglichkeit kaum genutzt wird. | |
Anders sieht es mit dem Bitcoin als Geldanlage aus. Polizist Ruiz | |
berichtet, wie andere auch, dass seine Familienmitglieder in Italien und | |
der Schweiz sich bereits mit Bitcoins eindecken würden. Sie würden auch | |
viele Investitionen in El Salvador tätigen. Nun wollten sie ihre Häuser und | |
Grundstücke hier auf Vordermann bringen um zurückzukehren. Und Bukele hatte | |
noch einen Extrabonbon für sie: In seiner ersten Amtszeit ließ er das | |
Wahlrecht ändern. Nun dürfen auch Salvadorianer:innen im Ausland ihre | |
Stimme abgeben. Über Nacht kamen damit etwa fünfzig Prozent mehr | |
Wahlberechtigte hinzu, und zwar solche, die ein Interesse daran haben | |
könnten, dass der Bitcoin floriert, und die zumindest keine Angst haben | |
müssen festgenommen zu werden. | |
Und schon 2021 verkündete Bukele auch seine Vision einer „Bitcoin City“, | |
und zwar im Osten des Landes, am Fonseca-Golf. Dort befindet sich der | |
Conchagua-Vulkan und dieser sollte mit seiner Wärmeenergie die Bitcoin City | |
betreiben. Klingt verrückt? Ist es auch. Doch einige Familien konnten über | |
die Pläne gar nicht lachen. Ihnen gehörte das Land, auf dem die neue Stadt | |
gebaut werden sollte, und sie wurden mit sehr perfiden Methoden gezwungen, | |
ihr Haus und Hof zu verkaufen – und das noch unter dem Marktpreis. | |
## Eine luxuriöse Strandparty für die Investor:innen | |
Auf der anderen Seite tat die Regierung alles für den schönen Schein, denn | |
die Investor:innen aus den USA und Europa sollten ihr Geld am | |
Fonseca-Golf anlegen. Zunächst wurden sie zu einer luxuriösen Strandparty | |
eingeladen, bei der die Pläne, eine Bitcoin City zu bauen, präsentiert | |
wurden. In der geplanten Stadt sollte es weder Grundsteuer noch | |
Kapitalertragsteuer geben. Luxusappartements für eine Viertelmillion Dollar | |
sollten zu kaufen sein, elegante Hotelzimmer bereitstehen und natürlich | |
sollte ein Flughafen gebaut werden. Bitcoin City sollte hauptsächlich | |
finanziert werden durch die Gewinne der Transaktionen, welche die Regierung | |
mit dem Bitcoin machen würde – sie wollte vom Auf und Ab der volatilen | |
Kryptowährung profitieren. | |
Am Fonseca-Golf, im Hafen von La Unión, sitzt der Fährmann Rudolfo und | |
wartet auf Ausflugsgäste. Unter seinen Kollegen ist er der Einzige, bei dem | |
man die Bootstour mit Bitcoin bezahlen kann. Manche Tourist:innen würden | |
das machen, sagt der 51-Jährige. Er nutze die Kryptowährung nicht nur als | |
Zahlungsmittel, sondern habe auch in Bitcoin investiert. Unter den | |
Fährleuten sei er auch damit der Einzige. Vergangene Saison habe er 1.600 | |
Dollar gewonnen und 100 Dollar verloren. Derzeit habe er keine Bitcoins – | |
Rudolfo zeigt sein Konto in der App –, da der Preis viel zu hoch sei. | |
Im Fonseca-Golf mit dem Conchagua-Vulkan im Hintergrund ist von der Bitcoin | |
City noch nichts zu sehen. Die Surfer-Stadt El Zonte, weiter westlich, gilt | |
als Bitcoin-Mekka, ist aber zu klein, um mit den Zahlungen der jungen Leute | |
das Kartenhaus des Präsidenten zu stabilisieren. Zahlenmäßig zeugt nur das | |
nahegelegene Berlin vom Aufbruch. In der 20.000-Einwohner:innen-Stadt nutzt | |
ein Viertel der Bevölkerung den Bitcoin. Die Temperatur ist angenehm hier | |
auf über 1.000 Meter Höhe, anders als die über 30 Grad überall in den | |
tieferen Zonen des Landes. An vielen Läden und Restaurants klebt das | |
Bitcoin-Zeichen. | |
Eine Cafébetreiberin berichtet, dass Kund:innen aus den USA, Kanada, | |
Deutschland, Australien, Neuseeland, Irland, Argentinien, Italien, | |
Frankreich, Indien, Spanien, Kolumbien und Panama bei ihr mit Bitcoin | |
bezahlt hätten. „Es gab eine erste App, die ‚Chivo Wallet‘, die hat aber | |
nicht gut funktioniert.“ „Chivo“ ist umgangssprachlich für „cool“. S… | |
sich eben auch Bukele als „coolster Diktator der Welt“ bezeichnet. | |
Vielleicht ist das Scheitern der coolen App ein Vorbote. Die | |
Cafébetreiberin zeigt die neue App, die funktioniere. „Es gibt in Berlin | |
Hotels und Hostels, die ausschließlich Bitcoin akzeptieren. Wenn man in | |
einer Stadt überall mit Bitcoin bezahlen kann, dann werden zusätzlich | |
diejenigen Touristen angelockt, die das machen wollen. Dadurch werden | |
weitere Bitcoins ins System gespült.“ Diesen Zusammenhang hat sie im | |
Bitcoin-Informationszentrum in Berlin gelernt, dem Ort, wo sich auch lokale | |
Unternehmen Unterstützung holen und Bitcoin-Nerds Geschäftsideen | |
entwickeln können. | |
Und diese Bitcoin-Community musste vermutlich schlucken, als das | |
salvadorianische Parlament im Januar kleinlaut das Ende des Bitcoin als | |
offizieller Währung beschloss. Der Internationale Währungsfonds hatte einen | |
zwei Jahre dauernden Kampf gewonnen. El Salvador will einen Kredit von 1,4 | |
Milliarden US-Dollar. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sorgte sich um | |
die Finanzstabilität und den Verbraucherschutz. Kritiker:innen hatten | |
beklagt, Geld könne mit dem Bitcoin zu einfach gewaschen werden. Der IWF | |
forderte, dass die Liquiditätsreserven der Banken erhöht werden, dass es | |
freiwillig sein soll, den Bitcoin zu verwenden, und dass die Regierung ihre | |
Ausgaben reduziere. Zudem solle sie ihre Entscheidungen transparenter | |
machen. Das klingt nach einer Ohrfeige. | |
Damit könnte der IWF erreicht haben, was Menschenrechtler:innen und | |
andere bisher nicht schafften: das Kartenhaus des „coolsten Diktators der | |
Welt“ zum Einsturz zu bringen. Derzeit ist El Salvador ein Land auf | |
Bitcoins Schneide. | |
27 Mar 2025 | |
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Diana Seiler | |
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