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# taz.de -- Rechtsextremist Horst Mahler gestorben: Ein deutsches Leben
> Horst Mahler war Anwalt, linker Terrorist, Maoist und Neonazi. Jetzt ist
> er tot. Sein Leben war wie erfunden für Anhänger der Hufeisenthese.
Bild: Der ehemalige linke Anwalt Horst Mahler bei einer NPD-Demonstration in Be…
BERLIN taz | Horst Mahlers Vater war ein überzeugter Nazi. Mahler zufolge
stand Vater Willy 1949 eines Tages nach dem Frühstück auf, erklärte, dass
es sinnlos sei, in einer Welt ohne Adolf Hitler zu leben, und beging
Selbstmord. Ob das eine retrospektive Erfindung Mahlers war, der selbst
nach 1998 zum Neonazi geworden war, oder ob der Vater an Depressionen litt,
ist unklar. Sicher ist, dass die Kindheit Horst Mahlers von NS-Ideologie
getränkt war. Die Eltern waren Nazis, der Onkel ein führendes Mitglied der
schlesischen SA. Der Vorname Horst sollte an den Nazi-Märtyrer Horst Wessel
erinnern.
Als Student ist Mahler in einer rechtsextremen schlagenden Verbindung. Ein
paar Jahre später fliegt der hochbegabte angehende Anwalt wegen
Linksabweichung aus der Berliner SPD. Von rechts nach links, und immer
extrem. Dieses Muster prägte sein Leben von Beginn an.
Mitte der 60er Jahre ist Mahler ein erfolgreicher arrivierter
Wirtschaftsanwalt in Westberlin, der im offenen Sportwagen über den Ku’damm
fährt. Ein paar Monate später gründet er mit einem Freund (der nebenher für
die Stasi spitzelt) den Republikanischen Club und wird Verteidiger und
Fürsprecher der revoltierenden Studentenbewegung. Und dann zum
Brandbeschleuniger der Militanz. Mahler gründet nicht nur mit [1][Christian
Ströbele] das Sozialistische Anwaltskollektiv, gleichsam Blaupause für
viele linke Anwälte, [2][sondern 1970 auch die RAF.]
## Eine politische Ich-AG
Wenn man Mahlers Leben als Drehbuch für einen Film einreichen würde, könnte
man kaum auf ein positives Echo hoffen. In diesem Skript gibt es
entschieden zu viel Unwahrscheinliches, zu viel Überdeutliches, zu viel
Extremes. Mahler wird auch der erste RAF-Dissident, der sich im Gefängnis
weigert, gegen einen entführten CDU-Politiker ausgetauscht zu werden.
Mahler rechnet scharf mit dem Gewalt-Avantgardismus der linken Terroristen
ab, den er selbst erfunden hat. Und schließt sich einer maoistischen Sekte
an.
Dies ist ein Leben im Zickzack, von rechts- nach linksextrem, von der
saturierten Westberliner Oberschicht in den Knast. Aber es gibt einen roten
Faden: Wo Mahler ist, da weht anscheinend immer der Mantel der Geschichte.
Mahler ist bizarr, extrem, aber immer bedeutend. Er ist eine politische
Ich-AG, rastlos auf der Suche nach Sinn, Effekten, Rampenlicht. Die
produktiven Ideen von 1968, antiautoritäre Erziehung, Feminismus,
Emanzipation, spielen für ihn keine Rolle. Mahler will, egal welche Rolle
er gerade im politischen Spektrum bekleidet, Einfluss, Aufmerksamkeit,
Macht. Ein ewiger Leninist.
Auch die Rückkehr aus RAF und Knast in das bürgerliche Leben nach 1980
verläuft nicht leise, sondern geräuschvoll. Der bekehrte Ex-Terrorist ist
ein idealer Partner für jenen Teil der politischen Elite, der beim
Linksterrorismus weniger auf die Härte des Staates denn auf Versöhnung und
Diskurs setzen will. Der damalige FDP-Innenminister Gerhart Baum macht mit
Mahler ein Interviewbuch. Der aufstrebende SPD-Mann und Anwalt Gerhard
Schröder setzt sich erfolgreich für ihn ein. 1988 darf Mahler wieder als
Anwalt arbeiten. Die bundesrepublikanische Demokratie ist liberal und
tolerant genug, auch ihre Todfeinde von gestern zu reintegrieren. Mahler
sympathisiert mit der FDP und verschwindet aus dem öffentlichen
Scheinwerferlicht.
Hier hätte die politische, öffentliche Geschichte von Horst Mahler enden
können. Aber er kann nicht einfach abtreten. 1997 betritt er als
rechtsnationaler Aktivist wieder die öffentliche Bühne, bezeichnet die
Bundesrepublik als „besetztes“ Land, das von „Schuldknechtschaft“ in
Geiselhaft gehalten werde. Das ist der Sound der neuen Rechten. Mahler ist
einer von ein paar Ex-Linken wie Bernd Rabehl und Reinhold Oberlercher, die
auf ihrem Ideologie-Altar das internationale Proletariat durch die Nation
ersetzt haben.
## Mahler wird zum extremistischen Antisemiten
Dass Mahler die Wende nach rechtsaußen 1997 publik macht, ist vielleicht
kein Zufall. Das Ende der Ära Kohl kündigt sich an – und damit die
Machtübernahme von Rot-Grün und den Repräsentanten der 68er. Schröder wird
Kanzler, Otto Schily wird Innenminister. Schily war schon in den 60er
Jahren Mahlers Konkurrent als Anwalt. Es geht 1998 wieder um Macht – da
kann Mahler nicht stumm abseits stehen. Und übernimmt einen vakanten Platz
in der generationellen Spielanordnung: den des rechtsextremen Kritikers.
Das verschafft ihm 2002 einen letzten Auftritt im strahlenden Rampenlicht:
ein Duell mit Otto Schily vor dem Bundesverfassungsgericht. Mahler
verteidigt die NPD im Verbotsverfahren und wettert gegen rot-grüne
Vasallenregierung. Beeindrucken will er damit auch seinen Kontrahenten,
Innenminister Schily.
Die letzten 25 Jahre im Leben von Horst Mahler erscheinen als eine grotesk
verzerrte Spiegelung seiner Vita zuvor. Er wird zum extremistischen
Antisemiten, ganz Kind seines Vaters, dessen Tod es zu rächen gilt. Er
begrüßt in einem Interview einen jüdischen Deutschen mit „Heil Hitler“,
wird [3][wegen Holocaustleugnung verurteilt] und nutzt Auftritte vor
Gericht für antisemitische Tiraden, die bösartig zu nennen eine bodenlose
Untertreibung wäre.
Deutsche Gerichte verurteilen ihn wegen Holocaustleugnung zu jahrelangen
Haftstrafen. Und man mag die Weisheit dieser Urteile bezweifeln: Sie
ermöglichen es Mahler, sich als Märtyrer in Szene zu setzen, verfolgt von
der bigotten Demokratie, als deren Opfer er sich sein halbes Leben
inszenierte. [4][Wegen Meinungsdelikten im Gefängnis zu sein], das
bekräftigte seine Lieblingsrolle: Er ist bedeutsam. In der rechtsextremen
Szene spielt er indes keine große Rolle.
## Echokammer der deutschen Katastrophengeschichte
Es ist naheliegend, dieses Leben als Beispiel für die Hufeisenthese zu
deuten, der zufolge Rechts- und Linksextremismus in ihrer Verachtung der
Demokratie ununterscheidbar werden. Die Geringschätzung von Rechtsstaat und
Verfassung, der vitale Antiamerikanismus und die Erwartung eines nahen
revolutionären Umsturzes verbindet in der Tat die rechts- und linksextremen
Phasen in dieser Biografie.
Aber es ist gleichsam zu naheliegend, dieses extreme, deformierte Leben als
Beweis für „links gleich rechts“ zu benutzen. Mahler ist eher eine Art
Echokammer der deutschen Katastrophengeschichte im 20. Jahrhundert. Die
plane Hufeisenthese verfehlt das Individuelle, das Rätselhafte, Schräge,
den Sinn für die dramatische Selbstüberhöhung. Denn im Zentrum des Links-
und Rechtsextremisten, des Maoisten und Neonazis Horst Mahler stand immer –
er selbst.
28 Jul 2025
## LINKS
[1] /Zum-Todestag-von-Hans-Christian-Stroebele/!5952742
[2] /Rote-Armee-Fraktion-/-RAF/!t5012171
[3] /Prozess-gegen-Horst-Mahler/!5920760
[4] /Holocaustleugner-im-Gefaengnis/!5456713
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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