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# taz.de -- Drogenpolitik in Berlin: Es bleibt nur der Zaun
> Zwei Jahre nach dem Berliner „Sicherheitsgipfel“ stehen die sozialen
> Maßnahmen rund um den Görlitzer Park vor dem Aus. Dabei sind sie ein
> voller Erfolg.
Bild: Nicht „der“ Zaun, aber ein Zaun im Görlitzer Park
Berlin taz | Der „Spritzenbaum von Kreuzberg“ geistert noch durch die
Medien, da gibt es ihn schon gar nicht mehr. Rund 50 Einwegspritzen
steckten am Montag in einem Baum auf dem Mittelstreifen der
Gneisenaustraße. Das Boulevardblatt BILD [1][berichtete umgehend], andere
Medien folgten. „Hier zeigt sich das Drogenelend von Berlin“, titelte der
Tagesspiegel, beim Welt-Sender aus dem Hause Springer schaffte es der
„Junkie-Baum“ sogar in die Top News. Die Kommentarspalten darunter liefen
heiß, dem Bezirksamt wurde Untätigkeit vorgeworfen und Maßnahmen gegen das
„Drogen-Elend“ gefordert.
Einen Tag später sind die Spritzen weg. „Wir haben den Baum gestern
abgeräumt“, sagt Raphael Schubert, Geschäftsführer der Drogenhilfe
[2][Fixpunkt gGmbH], am Mittwoch zur taz. Im Rahmen des „Peer-Projekts“
seien Menschen aus der Drogenszene losgezogen, um den Baum aus seiner
infektiösen Umklammerung zu befreien.
Und nicht nur ihn: Viermal pro Woche laufen die
Projektteilnehmer*innen, ausgestattet mit gelben Westen, Eimern und
Greifarmen in Begleitung von Sozialarbeiter*innnen durch den Kiez,
um Spritzen und Nadeln einzusammeln und fachgerecht zu entsorgen. Manchmal
werden sie aufgrund von Beschwerden aktiv, aber da sie selbst aus der Szene
kommen, wissen sie auch sonst, wo sie fündig werden.
Ganze 4.900 Konsumutensilien haben sie laut Fixpunkt allein im vergangenen
Monat eingesammelt. Ganz normal in Kreuzberg mit seinen [3][Drogenhotspots
Kottbusser Tor], Wassertorplatz und Görlitzer Park: Der Schnitt liegt laut
Schubert pro Monat zwischen 4.500 und 5.000. 13 Euro bekommen die
Teilnehmer*innen pro Stunde, und noch wichtiger: Struktur und
Beschäftigung. Eine Win-win-Situation: „Es wird sauberer, und die Menschen
sind nicht auf der Straße und betreut“, sagt Raphael Schubert.
## Keine Gelder im Haushalt eingeplant
Schon bald könnten die Spritzen wieder liegen bleiben: Das Peer-Projekt ist
eine der sozialen Maßnahmen, die im Rahmen des [4][Berliner
„Sicherheitsgipfels“] vor rund zwei Jahren beschlossen wurden. Allerdings
auf zwei Jahre befristet, Ende dieses Jahres läuft das niedrigschwellige
Projekt ebenso wie viele andere aus. Neue Gelder sind bislang nicht
vorgesehen.
Dabei sind es vor allem solche Projekte, die wirken. Im Gegensatz zu vielen
anderen der insgesamt 30 Millionen Euro teuren Maßnahmen, auf die sich im
September 2023 der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU), die
Senator*innen für Inneres, Justiz und Gesundheit, die
Bürgermeisterinnen von Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte sowie Polizei und
Feuerwehr geeinigt hatten.
Denn um die Sicherheitslage insbesondere an den Kriminalitäts- und
Drogenhotspots Görlitzer Park und [5][Leopoldplatz] zu verbessern, setzte
Schwarz-Rot vor allem auf Repression. Videoüberwachung, Polizeipräsenz und
natürlich: der Zaun um den Görli, der zwei Jahre später, sehr zur
Erleichterung vieler Anwohner*innen, [6][immer noch nicht steht].
Dass es für soziale Probleme soziale Lösungen braucht und keine
Law-and-Order-Symbolpolitik, hatten beim Gipfel vor allem die betroffenen
Bezirke betont. Getragen von [7][Protesten der Anwohnenden], die eine
Verlagerung der Kriminalität in die umliegenden Straßen fürchten.
## Anwohner*innen werden darunter leiden
Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Clara Herrmann
(Grüne), sitzt am Mittwoch im Büro von Fixpunkt, wo viele der Projekte
zusammenlaufen, und zählt die einzelnen Maßnahmen auf, die der Bezirk
seitdem gestartet hat: aufsuchende Sozialarbeit, längere Öffnungszeiten der
Drogenkonsumräume, Kiezhausmeister*innen, [8][Parkläufer*innen],
[9][öffentliche Toiletten] – und natürlich das Peer-Projekt. Rund zwei
Millionen Euro bekommt der Bezirk dafür – bei Weitem nicht genug, findet
Herrmann. „Wir sind an einem Punkt, an dem wir die Projekte eigentlich
ausweiten müssten.“
Doch stattdessen stehen sie vor dem Aus. „Es sieht so aus, dass von den
Maßnahmen nur noch der Zaun bleibt“, sagt Clara Herrmann. „Alles Soziale
wird abgesägt und begraben.“ Und das in einer Zeit, in der Berlin unter
einer [10][regelrechten Crack-Schwemme] leidet und Obdachlosigkeit rapide
zunimmt. „Das ist eine Vollkatastrophe und ein nachhaltiger Schaden, nicht
nur für Kreuzberg.“
Vor allem Kai Wegner macht Herrmann Vorwürfe: „Der Regierende hat sein
Versprechen aus dem Sicherheitsgipfel gebrochen.“ Kein Geld für die
sozialen Maßnahmen in Mitte und Kreuzberg vorzusehen, statt diese
auszubauen und eine gesamtstädtische Strategie zu erarbeiten, zeige,
„welche Prioritäten der Senat hat“.
Auch Raphael Schubert von Fixpunkt kann es nicht fassen: Jetzt, wo endlich
die Mitarbeiter*innen gefunden und eingearbeitet sind und sich erste
Erfolge zeigen, soll schon wieder Schluss sein? „Das ist ein großer
Schaden, auf vielen Ebenen hätte das eine Verschlechterung zur Folge“, sagt
er.
Und zwar für alle: Ohne das Peer-Projekt liegen wieder mehr Spritzen und
Nadeln herum, ohne die erweiterten Öffnungszeiten der Konsumräume gibt es
wieder mehr Junkies, die auf offener Straße Crack rauchen oder Heroin
spritzen, ohne Schlafmöglichkeiten tagsüber liegen die Menschen in den
Hausfluren. „Wenn das wegfällt, haben alle verloren“, sagt Schubert.
13 Aug 2025
## LINKS
[1] https://www.bild.de/regional/berlin/der-drogen-baum-von-berlin-junkies-stec…
[2] https://www.fixpunktggmbh.org/
[3] /Offene-Drogenszene-in-Berlin/!5946659
[4] /Sicherheitsgipfel-des-Berliner-Senats/!5959049
[5] /Debatte-um-den-Leopoldplatz/!5953465
[6] /Zaun-um-den-Goerlitzer-Park-in-Berlin/!6103113
[7] /Demo-im-Goerlitzer-Park/!5994229
[8] /Massnahme-gegen-Konflikte-im-Park/!5948711
[9] /Berlin-testet-Oekotoiletten/!6063186
[10] /Drogenmissbrauch-in-Berlin/!6024505
## AUTOREN
Marie Frank
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