Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 50 Jahre „Der weiße Hai“: Jeder Biss sitzt noch
> Vor 50 Jahren gelang Steven Spielberg mit „Der weiße Hai“ sein
> Durchbruch. Der Film markiert den Übergang von New Hollywood zum
> Blockbusterkino.
Bild: „Der weiße Hai“ sorgte auch beim Publikum für Panik – zum Nachtei…
Für die Haie war 1975 kein gutes Jahr. Nachdem im Januar die
Taschenbuchausgabe von Peter Benchleys Roman „Jaws“ erschienen war, folgte
im Sommer der Kinostart der Verfilmung von Steven Spielberg, auf Deutsch
erhielt sie den Titel „Der weiße Hai“. Eine glückliche Wahl, die zum
geflügelten Wort wurde, die direkte Übersetzung „Kiefer“ hingegen hätte
sich hierzulande vermutlich weniger durchgesetzt.
In jedem Fall herrschte seitdem Angst vor den Knorpelfischen, die Menschen
zwar angreifen, dies jedoch weit weniger, als man nach dem Film zu glauben
geneigt ist. Spielberg äußerte später denn auch Bedauern darüber, dass sein
Film zu einem negativen Image der Haie und damit zu einem Rückgang ihrer
Bestände beigetragen habe.
Dabei musste man für so eine ablehnende Haltung gegenüber Haien den Film
nicht einmal gesehen haben. Es genügte ein Blick auf das Filmplakat, direkt
vom Buchdeckel der literarischen Vorlage übernommen, das einen Querschnitt
durch blaues Meer zeigt, an dessen Oberfläche eine nackte Frau schwimmt,
während sich von unten ein monströser Hai mit geöffnetem Maul auf die
Badende zubewegt.
Dass nicht allein das Meer, sondern selbst der Aufenthalt in Schwimmbädern
dadurch zu leicht phobischen Reaktionen führen konnte, lässt sich aus
eigener Erfahrung bestätigen. Im vor Kurzem auf Disney+ veröffentlichten
Dokumentarfilm „Der weiße Hai: Die Geschichte hinter dem Blockbuster“ von
Laurent Bouzereau gibt der [1][Regisseur Jordan Peele] sogar zu Protokoll,
dass er sich als Kind in der Badewanne gefürchtet habe, weil er stets
dachte, da sei ein Hai im Wasser.
Wenn es das Wort „Reißer“ nicht schon gegeben hätte, wäre Spielbergs Film
der willkommene Anlass für diese Begriffsprägung gewesen. Bloß leistet „Der
weiße Hai“ weit mehr, als mit „billigen“ Mitteln – nicht im Sinne von
Produktionskosten – die Angstlust des Publikums auszubeuten. Das tut der
Film zwar durchaus, doch vereint er genügend andere Elemente, um sich als
Klassiker zu behaupten.
## Albträume nach den Dreharbeiten
Dass er seinen Film überhaupt auch nur beenden würde, war für Spielberg
während der Dreharbeiten keinesfalls gewiss. Hinterher sei er so
traumatisiert gewesen, dass er lange danach noch Albträume hatte, sagt er
in Bouzereaus Film.
Spielberg überzog das Budget, konnte den Zeitplan nicht einhalten und
riskierte, dass ihm das Studio den Laden dichtmachte. Was unter anderem mit
den Schwierigkeiten zu tun hatte, einen mechanischen Hai zu bauen, der sich
realistisch bewegte und im Salzwasser nicht sofort kaputtging. Denn die
Wasseraufnahmen wurden auf Spielbergs Wunsch im Meer gefilmt und nicht, wie
sonst für solche Szenen üblich, in einem Studiotank.
Zum Realismus der Bilder kommt eine Handlung, die sich Zeit lässt für ihre
Protagonisten. Allen voran Polizeichef Martin Brody, gespielt von Roy
Scheider. Brody ist mit seiner Familie vor Kurzem erst von New York City
auf die Insel Amity Island gewechselt, wo das Unglück sich abspielt. Sobald
das erste Haiopfer am Inselstrand entdeckt wird, muss Brody sich gegen den
Bürgermeister Larry Vaughn (Murray Hamilton) durchsetzen, der kurz vor
Beginn der Badesaison von Haien nichts wissen will.
Doch spätestens als der Meeresbiologe Matt Hooper (Richard Dreyfuss) auf
Amity Island eintrifft, lässt sich die Wahrheit nicht mehr verschleiern.
Die Jagd auf den „Big White“ beginnt, mit dem ungleichen Trio aus Brody,
Hooper und dem Haijäger Quint (Robert Shaw) im Zentrum der zweiten Hälfte
des Films. In Quints Boot Orca bildet sich eine ruppige Zwangsgemeinschaft,
bei der [2][robuster Machismus und gebrochene Männlichkeit] Hand in Hand
gehen.
## Sozial reflektiertes Kino und massentaugliche Unterhaltung
„Der weiße Hai“ steht für einen Umbruch von der Ära des New Hollywood, in
dem ein kritischer Blick auf gesellschaftliche Fragen vorherrschte, hin zum
Blockbusterfilm. Diese scheinbar widersprüchlichen Dinge, sozial
reflektiertes Kino einerseits und massentaugliche Unterhaltung
andererseits, vereint der Film höchst elegant.
Für Spielberg selbst ist „Der weiße Hai“, wie er in Bouzereaus Film
anmerkt, vor allem ein Film über das Thema Zuhause. Womit er auf die
Familiengeschichte im Zentrum der Handlung, aber auch auf die häufige
Verwendung des Worts „home“ anspielt. „Can we go home now?“, fragt ein
Fischer von Amity Island den anderen, nachdem die beiden einer Attacke des
gefräßigen Meeresbewohners knapp entkommen sind. Vor dem Showdown mit dem
Hai singt das Männertrio, das sich dem Raubtier stellt, den Song „Show Me
the Way to Go Home“. Und Polizeichef Brody bittet seine Frau Ellen
(Lorraine Gary) in einer Szene, ihren gemeinsamen Sohn Michael mit „nach
Hause“ zu nehmen. Auf ihre Frage „Nach New York?“ antwortet Brody: „Nei…
ich meine hier.“
Über solche Bindeglieder wie das Wort „Zuhause“ kombiniert Spielberg eine
Geschichte um Familienzusammenhalt, in diesem Fall der Brodys, mit Themen
wie rücksichtslosem Wirtschaftsdenken und einer übermenschlich wirkenden
Bedrohung. So stellt der empfindsame Familienvater Brody seine
Verantwortung für die Inselbevölkerung pflichtbewusst über die
geschäftlichen Interessen des Bürgermeisters Vaughn. Letzterer trägt mit
seiner skrupellosen Entscheidung, das Tourismusgeschäft des Sommers um
jeden Preis zu retten, maßgeblich dazu bei, dass die Katastrophe ihren
blutigen Lauf nimmt.
## Lebensechte Mechanik sorgt für Schrecken
Und nicht zuletzt ist da der Hai, der Gefahr für die Inselbewohner und ihr
Zuhause zugleich ist. Dessen Angriffe inszeniert Spielberg langsam
eskalierend. Alfred Hitchcocks Gespür für Suggestivität diente Spielberg
insbesondere als Vorbild. Zunächst bleibt der Hai noch unsichtbar, im
Verlauf des Films ist er dann immer öfter und detaillierter zu sehen, wobei
seine Mechanik so lebensecht funktioniert, dass er einem heute noch einen
Schrecken einjagen kann. Ironischerweise entstand gerade die inzwischen
gefeierte Anfangsszene aus der Not. Denn eigentlich waren auch dafür Bilder
des Hais geplant. Er war zu dem Zeitpunkt aber noch nicht fertig
entwickelt.
Eine der überraschendsten Szenen ist übrigens die, in der Quint sich als
Kriegsveteran zu erkennen gibt, der hinter seiner schroff-wortkargen Schale
schwer am Untergang des Kriegsschiffs „USS Indianapolis“ trägt. Kurz vor
dem Finale erzählt Quint, dass er zur Besatzung dieses Schiffs gehörte, das
Teile der Atombombe für Hiroshima transportierte. Nachdem die
„Indianapolis“ durch ein japanisches U-Boot versenkt worden war, hatten
sich rund 1.000 Mann der Besatzung ins Meer retten können, wo sie bald
darauf von Haien angegriffen wurden. Nur 316 Menschen überlebten.
Die Erinnerungen Quints, die den längsten Monolog im Film ergeben, lassen
seine Figur unerwartet runder werden. Zudem knüpft Spielberg an historische
Ereignisse an, die über den ansonsten rein in der Gegenwart spielenden Plot
hinausweisen.
## Halbtonschritt in Kirchentonart Phrygisch
Nicht zu vergessen die Filmmusik von John Williams, deren tiefe
Streichertöne das Gefühl unmittelbarer Bedrohung ganz körperlich
heraufbeschwören. Die Musik begeisterte Spielberg so sehr, dass er den
Komponisten seinem Freund George Lucas für dessen Projekt „Krieg der
Sterne“ empfahl.
Zum Weiterlesen zu einzelnen Aspekten wie der Filmmusik empfiehlt sich der
von Wieland Schwanebeck herausgegebene Band „Der weiße Hai revisited“
(Bertz + Fischer 2025), der zum Jubiläum des Films in erweiterter Auflage
erscheint. Über Williams’ Soundtrack ist zum Beispiel zu erfahren, dass das
knappe Zweitonmotiv mit seinem Halbtonschritt in der Kirchentonart
Phrygisch steht.
Die unverändert anhaltenden Nachwirkungen des Films in der Kinogeschichte
lassen sich in Schwanebecks Buch ebenfalls verfolgen. An dieser Stelle
lediglich eine kurze Bemerkung dazu: Spätere Hai-Spektakel wie [3][„Meg“
(2018) von Jon Turteltaub] setzen auf Masse durch noch größere
Hai-Ungetüme, haben aber im Vergleich zu Spielbergs Film ansonsten wenig zu
bieten. Vielleicht handelt es sich ja einfach um ein Missverständnis des
berühmtesten Satzes aus „Der weiße Hai“. Diesen spricht Brody an Quints
Adresse gerichtet, nachdem er das Tier zum ersten Mal aus nächster Nähe
erblickt hat: „You’re gonna need a bigger boat.“
2 Aug 2025
## LINKS
[1] /Jordan-Peeles-Film-Nope/!5870638
[2] /Berlinale-Hommage-an-Steven-Spielberg/!5914001
[3] /The-Endless-und-Meg-im-Kino/!5524185
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
wochentaz
Kino
Hollywood
Blockbuster
Steven Spielberg
Hai
Jubiläum
GNS
Film
Spielfilm
Schwerpunkt Berlinale
Spielfilm
## ARTIKEL ZUM THEMA
Cultural Appreciation: Endlich wieder Fast Food essen können
Der andere Körper als Erkenntnisraum. Was verraten eigentlich
Bodyswitch-Filme über unsere Vorstellungen von Alter, Gender und Status?
Steven Spielbergs Film „Die Fabelmans“: Sie nannten ihn „Bagelman“
Steven Spielberg wagt sich in „Die Fabelmans“ an die eigene
Familiengeschichte. Sein Alterswerk ist klassisch erzählt, politisch aber
noch sehr wach.
Berlinale-Hommage an Steven Spielberg: Männer, die keine Helden sind
Der Ehrenbär der Berlinale geht an Steven Spielberg für dessen Lebenswerk.
Auch seinen jüngsten Film, „Die Fabelmans“, hat das Festival im Programm.
Remake der „West Side Story“ im Kino: Kein Ort für die Hoffnung
Steven Spielbergs Remake des Musicals „West Side Story“ ist ein rasantes
Meisterwerk. Kulturpessimismus trifft darin auf optische Opulenz.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.