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# taz.de -- „The Endless“ und „Meg“ im Kino: Tauchen im Keller des Bewu…
> Horrorfilme haben seit einiger Zeit wieder Konjunktur. Und das, obwohl
> die Gegenwart eigentlich unheimlich genug ist. Oder gerade deswegen?
Bild: Begegnung mit dem Unheimlichen: Aaron Moorhead und Justin Benson in „Th…
In dieser Frage scheiden sich die Geister. Ein bisschen ist es wie mit
Lakritze: Was dem einen Teil der Menschheit eine besondere Art von
Vergnügen bereitet, ruft bei dem anderen Teil Ekel und Abscheu hervor. Ein
Drittes gibt es praktisch nicht. Genauso verhält es sich mit Horrorfilmen.
Entweder man lehnt diese Beiträge zur Popkultur als widerlichen Quatsch ab,
oder man findet an ihnen eine sehr spezielle Freude, zu Deutsch Angstlust.
Unbestritten gehören Horrorfilme seit einiger Zeit zum Mainstream des
Kinos. Sie haben auch längst ihre akademische Adelung aus verschiedenen
Disziplinen erhalten. Unter anderem haben psychoanalytisch interessierte
Kulturwissenschaftler darin ebenso viele Bilder für verdrängte Ängste wie
drastische Kommentare zu gesellschaftlichen Entwicklungen gefunden.
Das allgemeine Image von Horror bleibt dennoch das einer erklärungs- und
legitimationsbedürftigen Unterhaltungsform. Selbst wenn sich inzwischen
einiges verschoben hat, besonders in Deutschland. So wurden einst viele der
explizit blutigen Filme hierzulande indiziert. [1][Sam Raimis Klassiker
„Tanz der Teufel“ von 1981] bekam erst im vergangenen Jahr eine deutsche
Altersfreigabe ab 16 Jahren, nachdem er jahrzehntelang in seiner
ungeschnittenen Fassung verboten war.
Inzwischen gilt Blut auf der Leinwand anscheinend als weniger anstößig. Ob
die generelle Zunahme drastischer Gewaltdarstellung im Film, so auch im
öffentlich-rechtlichen Fernsehen, im „Tatort“ etwa, eine wünschenswerte
Entwicklung ist, sei dahingestellt.
Erziehung zur Angst
Wie man sich überhaupt wundern kann, wie stark Ängste und Gewaltthemen
sogar in Animationsfilmen für Kinder ohne Altersbeschränkung zunehmen, sehr
zum Missfallen vieler Eltern. Selbst vermeintlich harmlose
Kinderfilmklassiker wie [2][der erste Teil von „Paddington“] machen da
keine Ausnahme. Fast könnte man dahinter eine Erziehung zur Angst vermuten.
Oder das Wegfallen der Vorstellung, man müsse Kindern im Kino eine heile
Welt simulieren.
Zwei aktuelle US-amerikanische Filme können als Beispiel für die derzeitige
Konjunktur des Kinos des Schreckens gelten, „The Endless“ von Justin Benson
und Aaron Moorhead sowie „Meg“ von Jon Turteltaub. Beide Filme haben,
nebenbei bemerkt, eine Altersfreigabe ab 12 Jahren, was bei „Meg“ etwas
überrascht, aber davon später mehr. Mit in diesem Jahr gestarteten Filmen
wie „A Quiet Place“ über eine Familie auf dem Land, die sich vor Aliens mit
hypersensiblem Gehör schützen muss, und dem Überraschungserfolg
„Hereditary“ über eine schwersttraumatisierte Familie gehören sie zu einer
ganzen Reihe jüngerer Horrorfilme aus den USA.
„The Endless“ ist im Vergleich mit der effektstrotzenden
Hollywood-Großproduktion „Meg“ ein eher untypischer Vertreter des Genres.
In Ankündigungen als Science-Fiction-Horrorfilm klassifiziert, kommt „The
Endless“ mit einem Kleinstbudget aus und arbeitet kaum mit visuellen
Schockeffekten oder Kunstblut. Dafür wird die Angst vor dem Fremden mit so
minimalistischen wie effektiven optischen wie akustischen Mitteln
inszeniert.
Zwei Brüder, Justin und Aaron, machen sich in „The Endless“ auf den Wege
zum Camp Arcadia, einem auf dem Land angesiedelten „Ufo-Todeskult“. Als
Kinder waren sie dort als Waisen aufgewachsen, sind allerdings vor zehn
Jahren geflohen. Nachdem sie ein mysteriöses Video erhalten, in dem eines
der Mitglieder ihnen eine beunruhigende Botschaft hinterlässt, wollen sie
herausfinden, ob die Sekte womöglich Selbstmord begangen hat. Wie die
Brüder entdecken, erfreut sich die Belegschaft des Camp Arcadia aber bester
Gesundheit.
Trump-Horror
Im ersten Teil des Films überwiegen zunächst die Dynamiken innerhalb der
Sekte und der Konflikt der Brüder in der Frage, wie sie sich ihrer früheren
„Adoptivfamilie“ gegenüber verhalten sollen. Lediglich kleine Irritationen
sorgen für Verwirrung: Obwohl die Belegschaft überwiegend älter ist als die
Brüder, scheinen sie mehr oder minder gleichaltrig. Und einige von ihnen
verhalten sich merkwürdig.
Mehr und mehr geschehen Dinge, die sich nicht erklären lassen: Nachts
erscheint der Mond verdoppelt, tagsüber fallen vom Himmel schon mal aus dem
Nichts Fotos, die wie Schnappschüsse des unmittelbaren Geschehens auf der
Erde wirken. Von der Gruppen-Psychodynamik gleitet der Film ins
Fantastische hinüber. Das eigentlich Unheimliche bleibt dabei stets
unsichtbar und auf Abstand. Vielmehr werden mit sehr einfachen filmischen
Strategien die Gesetze der Natur und der Logik außer Kraft gesetzt, um
Platz für das Unbekannte zu bieten.
Die absurde Geschichte von „The Endless“ passt zu einer ganz konkreten
US-amerikanischen Angst vor dem Unbekannten: dem unberechenbaren, in dieser
Form bisher nicht Dagewesenen Regierungsstil von Präsident Donald Trump.
Zudem ist der Film, wenn man so möchte, ein indirekter Versuch, dem von der
Trump-Regierung lancierten Wort der „alternativen Fakten“ einen nicht
demagogischen Sinn zu verleihen. Merke aber: Alternative Fakten zu schaffen
liegt nicht in der Hand der Menschen.
„Meg“ hingegen bedient konventionellere der bewährten Ideen dessen, worum
es in Horrorfilmen geht. Die Handlung führt tief hinab an den Meeresgrund
des Marianengrabens – und noch weiter, denn Tiefseeforscher haben eine
Stelle entdeckt, an der der vermeintliche Boden sich als undurchsichtiges
Gas-Wasser-Gemisch erweist, unter dem sich eine verborgene Unterwasserwelt
offenbart, mit abgeschiedenen Lebensformen und selbstverständlich
unbekannten Gefahren. Freuds Unbewusstes in seiner populären Version des
Kellers des Bewusstseins lässt grüßen.
Nervenkitzel und alberne Lacher
Als ein dem Hollywood-Betriebsverständnis gemäßer Versuch, ältere
Erfolgsmodelle noch einmal kräftig zu überbieten, versucht sich „Meg“ in
diesem Sinn an Steven Spielbergs „Der weiße Hai“, mit einem Megalodon,
sprich Riesenhai, als Ungetüm. Ein lebendes Fossil, das, obwohl vor mehr
als zwei Millionen Jahren ausgestorben, auf wunderbare Weise in der
Unterwasserenklave überlebt hat und im Zuge seiner Entdeckung
unseligerweise in die Weltmeere entlassen wird.
Das Forscherteam, unterstützt durch den Tiefseetaucher Jonas Taylor (mit
ausgeruhtem Muskeltonus: Jason Statham), wird von Jon Turteltaub in eine
gut geölte, wenngleich routinierte Mechanik aus spannungsreichen Attacken
und humordurchsetzten Rückzugspausen eingepasst. Das geht nicht ganz
unblutig vonstatten, wobei die reinen Kieferausmaße des Urviechs allzu
unappetitliche Darstellungen weitgehend obsolet machen. Für Zwölfjährige
trotzdem nicht ernsthaft zu empfehlen.
Man kann in so einem Hai nun allerhand Symbolik erkennen wollen – einen
Immobilienhai womöglich? –, doch beschränkt sich das Grauen bei „Meg“
vorwiegend auf etwaige gefühlte Bedrohungen durch eine unbesiegbar wirkende
Übermacht, die ohne Vorwarnung zuschlägt. Das lässt dann reichlich
Interpretationsspielraum. Für einen soliden Nervenkitzel ist „Meg“ aber
allemal gut. Und für ein paar alberne Lacher obendrein. Es muss ja alles
versöhnlich bleiben.
Das gute Ende gönnt „The Endless“ seinem Publikum übrigens nicht, selbst
wenn der Film am Schluss die allerletzte Eindeutigkeit vermeidet. Wie es
auch für die Wirklichkeit keine Entwarnung geben kann. Grundsätzlich nicht.
8 Aug 2018
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## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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