| # taz.de -- Der Hausbesuch: „Ich habe keine Angst“ | |
| > Y Sa Lo ist Schauspielerin und gehörte zur Clique von Rainer Werner | |
| > Fassbinder. Auch sonst ist ihr Leben wie ein Film. | |
| Bild: In ihrem Wohnzimmer in Berlin-Moabit hat Y Sa Lo alles in Griffweite | |
| Leben in Armut kann sie. Sie ist schon lange arm. Und sie wusste, dass es | |
| darauf hinausläuft, wenn sie Künstlerin ist. Trotzdem hat sie sich dafür | |
| entschieden. | |
| Draußen und drinnen: Berlin-Moabit, eine kleine Wohnung im 1. Stock mit | |
| Blick auf einen schönen Nadelbaum im sonst spärlich begrünten Hinterhof. Y | |
| Sa Lo hat alles in Griffweite, TV und Musik, Getränke, Zigaretten, Bücher. | |
| Sie ist auf den Rollstuhl angewiesen, ihr Freund pflegt sie. Sie spricht | |
| akzentuiert, druckreif und ist voll von Geschichten aus ihrem umtriebigen | |
| Leben. | |
| Der Vater: Der ist „Upper Class aus Shanghai“, sagt sie. „Mao Tse-tung hat | |
| später die ganze Familie geköpft. Da konnte mein Vater nicht mehr zurück. | |
| Sein Schulabschluss war so herausragend gewesen, dass er zum Studieren | |
| entsandt wurde an seinerzeit angesagte Universitäten. 1933 kam er nach | |
| Berlin zur Königlich Technischen Hochschule. Als Chinese aber wurde er – | |
| mit Hitlers Dreimächtepakt – über Nacht zum Feind. [1][Einen Chinesen | |
| durfte man nicht heiraten], darauf stand die Todesstrafe. Also hat er | |
| Deutsch gelernt, gesagt, er sei Japaner, hat sich durchgemogelt. Aber | |
| heiraten konnten meine Eltern zunächst nicht.“ | |
| Fakten: Sie wurde 1946 in Berlin geboren, als Isa Loh. Als | |
| Filmschauspielerin ist sie Y Sa Lo. „Im Internet steht überall, ich sei | |
| österreichisch. Irgendwer hat das geschrieben, ist ja auch egal. Mehr oder | |
| weniger.“ | |
| Mütter: Ihre Mutter ist gebürtige Berlinerin. Die junge Familie kommt | |
| damals bei deren Mutter unter. „Die war eine Prinzessin d’Aude, die | |
| Urgroßväter alle Herzöge, Priester und Hugenotten, von denen alle irgendwie | |
| nach Amerika entschwunden sind.“ | |
| Kärnten: „Weil mein Vater nicht wollte, dass ich im kaputten Berlin | |
| aufwachse, sind wir nach dem Kriegsende nach Kärnten gezogen, Millstatt am | |
| See, traumhaft. Das war der Urlaubsort meiner Eltern.“ Der Vater baut nach | |
| dem Krieg dort den Tourismus wieder mit auf, ist beliebt. „Wenn ich die | |
| Stadt besuche, heißt es: ‚Sie sind die Tochter von Dr. Loh, stimmt’s?‘.�… | |
| Tropen: Mitte der 1950er Jahre bewirbt sich der Vater auf eine | |
| Stellenannonce – und wird angestellt bei einer Chemiefabrik in Santo | |
| Domingo. „Da war ich nur fünf Jahre. Der Diktator Trujillo war ja ein | |
| Massenmörder. Aber wir hatten dort das schönste Haus, mein Vater fuhr im | |
| Cadillac zu seiner Fabrik. Bei Trujillo saßen wir Kinder auf dem Schoß. Mir | |
| wird heute noch schlecht, wenn ich daran denke.“ | |
| Sprachen: „In der Schule lernten wir Geschichte auf Spanisch, Mathematik | |
| auf Englisch. Noch heute rechne ich auf Englisch. Chinesisch habe ich | |
| studiert, viereinhalb Jahre an der Freien Universität. Ich wollte unbedingt | |
| Lao Tse auf Chinesisch lesen. 5.000 Zeichen, das war mein Traum. Zu Hause | |
| haben wir Deutsch gesprochen.“ | |
| Gefängnis: 1976 lernte [2][der Schriftsteller Jörg Fauser] bei Dreharbeiten | |
| Y Sa Lo kennen – und schrieb seinen Eltern: „Hab mich halb in unsere | |
| Schauspielerin verliebt (½ Chinesin, ½ Berlinerin, Vater saß 12 Jahre bei | |
| Castro im Gefängnis, eine unheimlich aparte Person)“. Vor der Revolution in | |
| Kuba, sagt Y Sa Lo, „wollte Trujillo seinem Freund Batista einen Gefallen | |
| tun. Und der Gefallen lautete: ‚Dr. Loh kommt nach Havanna, du sagst ihm, | |
| was du brauchst.‘ Uns hat man erzählt, er soll eine Papierfabrik aufbauen.“ | |
| Dann war Batista weg, der Vater landete in Castros Knast. „Meiner Mutter | |
| sagten sie bei der deutschen Botschaft: ‚Das tut uns sehr leid, aber Sie | |
| sollten Ihre Kinder nehmen und nach Berlin fahren.‘ “ | |
| Berlin: „Mit 13 oder 14 kam ich dann hier in die Schule. Die Umstellung war | |
| schwierig. In Santo Domingo trug ich keine Schuhe, und du brauchtest keinen | |
| Wintermantel. Dann habe ich nähen gelernt, Hosen, es gab ja keine Hosen für | |
| Frauen, die musstest du selber nähen. Nach der Schule bin ich arbeiten | |
| gegangen für 81 Pfennig die Stunde in der Brotfabrik. Ich habe die Pfennige | |
| gesammelt und sie meinem Vater nach Kuba geschickt.“ | |
| Schauspiel: „In der Schule gab es für drei Mark oder so Tickets fürs | |
| ‚Theater der Schulen‘. Das war genial. Man konnte in Konzerte gehen oder | |
| ins Theater. Das war meine Befreiung. In einem kleinen Bücherladen haben | |
| sie immer die neuesten Sachen gehabt, und das war damals Sartre und Camus’ | |
| Der Mensch in der Revolte, solche Sachen. So habe ich richtig Deutsch | |
| gelernt.“ | |
| Max Reinhardt Seminar: Von 300 – oder 900? – Bewerbern wurden 8 angenommen, | |
| „da gehe ich zum ersten Mal auf die Bühne. Wenn du da oben stehst, siehst | |
| du als erstes das Brillengestell, dann erst die Augen. Ich sehe also die | |
| Brillengestelle. Und bin sprachlos. Sprachlos. Ich konnte überhaupt nichts. | |
| Dann steht ein langer Herr auf: ‚Ach, gehen Sie noch mal raus – und kommen | |
| Sie noch mal rein.‘ Das sagt er, so ganz ruhig. Das mache ich. Und dann war | |
| alles da. Und die fanden mich hochbegabt. Da war ich 20, 21“. | |
| Erstes Engagement: „Pippi Langstrumpf in Hildesheim. Monatelang Hildesheim, | |
| dann Bremerhaven. Die wollten mich auch länger haben. Da kam die Durchsage | |
| per Lautsprecher: ‚Isa Loh zur Intendanz, Isa Loh zur Intendanz‘. Ich habe | |
| mich so erschrocken, dass ich mich versteckt habe und nicht hingegangen | |
| bin. Und die dachten, ich will nicht länger in der Provinz spielen. Ich | |
| habe dann in Berlin gespielt. Berliner Theater, ein Dienstmädchen, jeden | |
| Abend, monatelang. Alles lustig, nur die Rolle war schrecklich. Daraufhin | |
| habe ich mir gedacht: ‚Nee, das ist nichts für mich‘. So habe ich mir | |
| Schauspiel nicht vorgestellt.“ | |
| Soziologie: Sie beginnt ein Studium. „Sieben Semester an der FU und zwar, | |
| als es die Rote Zelle Soziologie gab (Rotzsoz). Also der Kern auch der | |
| RAF-Liebhaber. Die Rote Zelle Soziologie sagte: ‚Wir sind überfüllt, hier | |
| kommt ihr nicht rein.‘ Und dann habe ich gesagt: ‚Ja, dann machen wir eine | |
| andere, die zweite Zelle Soziologie auf.‘ Dann haben wir das Aktsoz | |
| gegründet: das Aktionskomitee Soziologie. Ich hatte das nicht wirklich | |
| durchdacht. Bei Demonstrationen habe ich dann gesehen, wie Kommilitonen in | |
| die Schaufenster von Mercedes-Benz Steine geworfen haben. Das war nicht | |
| unbedingt, wie ich mir das vorgestellt habe. Da habe ich die wieder | |
| verlassen, habe Marx gelesen und bedauere das nicht. | |
| Volker Ludwig: „Der Intendant des [3][Grips Theaters], der sagte: ‚Was | |
| machst du denn hier bei den Soziologen? Wir brauchen dich, wir bauen ein | |
| Theater auf.‘ Das Geld vom Grips Theater habe ich für eine Psychoanalyse | |
| benutzt. Fünf Jahre Psychoanalyse, das hat mich gerettet. Weil, mein Vater | |
| wurde in Kuba auch gefoltert; und mir vorzustellen, dass ich Theater | |
| spiele, während er gefoltert wird, das war unmöglich.“ | |
| Männer I: „Ich hatte immer ganz tolle Männerfreunde, wirklich Freunde, von | |
| denen ich was lernen konnte. Das war auch die Zeit, in der ich langsam Jörg | |
| Fauser kennengelernt habe.“ | |
| Film: „Sommer ’74, da kommt ein Junge, mit dem ich in der Klasse war und | |
| sagt: ‚Mach doch einen Film, der Wolf Gremm will einen Film machen.‘ Ich | |
| sage: ‚Wer ist Wolf Gremm?‘ Und: ‚Ich will nicht zum Film.‘ Ich hatte k… | |
| Ahnung, aber wahrscheinlich hatte ich Bammel. Doch dann drehten wir Ich | |
| dachte, ich wäre tot. Und den Film hat der Fassbinder gesehen, im | |
| Fernsehen.“ | |
| Rainer Werner Fassbinder: „Bald war ich nicht mehr wegzudenken aus dieser | |
| Fassbinderclique. Er war der größte Menschenliebhaber, den ich je | |
| kennengelernt habe. Aber er war auch der Verzweifelteste. Von | |
| [4][Fassbinder] habe ich gelernt, Deutschland zu lieben. Und Weisheit, | |
| nicht Speichelleckerei, sondern Kritik und Selbstkritik. Genau wie von Jörg | |
| Fauser und Heiner Müller. Mit Jörg Fauser war ich ein halbes Jahr in | |
| Amerika – für C’est la Vie Rose. Nach Fassbinders Tod 1982 gab es für mich | |
| nicht mehr viel, die Welt war klein. Ich entschloss mich, die alte Kultur | |
| Chinas erkennen zu wollen. Ein halbes Jahr Shanghai, Filmen mit Hagen | |
| Mueller-Stahl, ein Jahr Chengdu und Peking mit Wei Ling Yi, einem großen | |
| Qigong Meister; und mit Chhimed Rigdzin, dem großen tibetischen Lehrer, der | |
| mir beigebracht hat, keine Angst vor dem Tod zu haben, sondern nur zu | |
| sagen: ‚Überrasch’ mich!‘ “ | |
| Männer II: „Nach dem Tod Fassbinders wurden mir fünf Hauptrollen angeboten, | |
| und zwar so: Einmal war ich mit dem zukünftigen Regisseur im Grunewald | |
| spazieren, er erklärt mir die Rolle; macht alles ganz gut. Und dann sagt | |
| er: ‚Jetzt zeige ich dir mein Hochbett.‘ Ein anderer, ‚Komm, jetzt Koks, | |
| dann Sex!‘ Tja … Das tut weh. Fünf! Fünf verschiedene Regisseure. Fünf M… | |
| von meiner Seite die gleiche Antwort. Und nie wieder von denen gehört. Das | |
| war das eigentliche Ende meiner Karriere im Film.“ | |
| Kunst, Angst und Armut: „Ich verfolge den Liveticker. Was brauchen die | |
| Deutschen? Was hat Trump verbrochen? Was machen wir mit diesem | |
| schrecklichen Krieg? Aber ich habe keine Angst. Ich bin so lange arm. Ich | |
| wusste, ich will zur Kunst beitragen. Das war mein Ziel. Ich will zur Kunst | |
| beitragen. Und ich wusste, ich nehme die Armut in Kauf. Und das habe ich | |
| getan.“ | |
| 28 Aug 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Hamburgs-vergessenes-Chinesenviertel/!5550428 | |
| [2] /Joerg-Fauser-Gesamtausgabe/!5606963 | |
| [3] /Buelowstrasse-im-Grips-Theater-Berlin/!6068318 | |
| [4] /Ian-Penman-Fassbinder/!5991657 | |
| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
| Matthias Penzel | |
| ## TAGS | |
| Der Hausbesuch | |
| Schauspielerinnen | |
| Rainer Werner Fassbinder | |
| Spiritualität | |
| Berlin | |
| Social-Auswahl | |
| Der Hausbesuch | |
| Der Hausbesuch | |
| Wochenendkrimi | |
| Theater Berlin | |
| wochentaz | |
| Der Hausbesuch | |
| Der Hausbesuch | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Der Hausbesuch: Die beiden Alfreds und die Särge | |
| Das Leben feiern, dem Sterben Würde geben. Der Künstler Alfred Opiolka und | |
| sein Partner Alfred Martin aus Lindau wollen Schönheit – auch im Tod. | |
| Der Hausbesuch: Das Meer in ihm | |
| Er ist Seemann, Aktivist, Model und Meerjungfrau. Zu Besuch bei Sören Moje, | |
| der in einem Zirkuswagen in Hamburg-Altona lebt. | |
| Krimi-Klassiker im Sommerloch: Mein Freund Ripley | |
| In „ Der amerikanische Freund“ lässt sich entdecken, wie Dennis Hopper aus | |
| einem kleinen Fernsehspiel großes Kino macht. Vorspulen ist aber erlaubt. | |
| Berliner Knast-Theater aufBruch: Kriegsertüchtigung im finsteren Wald | |
| Das Gefangenentheater aufBruch in Berlin hat mit Bertolt Brechts „Mann ist | |
| Mann“ eine schrille Komödie zum aktuellen Mobilmachungsdiskurs inszeniert. | |
| Der Hausbesuch: Die Frau mit den 73 Angusrindern | |
| Schon als Achtjährige weiß Maria Mundry: Ich werde mal Landwirtin. Seit | |
| 2017 betreibt sie ihren eigenen Hof im Havelland. | |
| Der Hausbesuch: Der Herde so nah | |
| Seit der Kindheit zeichnet Reiner Zieger Tiere. Über die Jahre verfeinerte | |
| er sein Handwerk. Und einmal, da reiste er aus der DDR in die Serengeti. | |
| Der Hausbesuch: Sonne, Mond und Kekse | |
| Sinem Ergun würde gerne ein Café eröffnen, aber so weit ist es noch nicht. | |
| Gerade versucht sie ihr Glück als Gastronomin in einem Eckhaus in Lindau. |