| # taz.de -- Jörg-Fauser-Gesamtausgabe: Ein Mann für alle Diskurse | |
| > Zu Jörg Fausers 75. erscheint eine neue Gesamtausgabe. Neuerdings wollen | |
| > ihn sogar die „Junge Freiheit“ und Matthias Matussek für sich | |
| > reklamieren. | |
| Bild: Jörg Fauser war Raucher | |
| Alles Braune war ihm zuwider. „Ohne Scham vor ihrer Geschichte haben die | |
| Deutschen nach 50 Jahren ihren Hitler wieder groß rausgebracht“, schrieb | |
| Jörg Fauser 1983 im Berliner Stadtmagazin tip. Kurz zuvor hatte der Stern | |
| die alte Bundesrepublik mit gefälschten Hitler-Tagebüchern überrascht. | |
| „Statt in diesem Jahr die Geschichte der Opfer zu schreiben, blieb es der | |
| linksliberalen Millionenzeitschrift vorbehalten, auf den Führer zu bauen“, | |
| wütete Fauser. | |
| Was ihn besonders aufregte: In der gleichen Stern-Ausgabe ließen die | |
| Hamburger Journalisten auch einen echten „Neonazi-Terroristen“ (Fauser) zu | |
| Wort kommen, der frei seinen Zweifel am Holocaust äußerte. Fauser schloss | |
| seine tip-Kolumne mit den Worten: „Allmählich müssen wir uns damit vertraut | |
| machen, uns auch wegen unserer Gegenwart zu schämen.“ | |
| Fast klingt das, als kommentiere da jemand das Hier und Heute – die | |
| Jetztzeit, die nicht nur an Internethass und Fake News knabbert, sondern | |
| auch rassistische und politische Morde kennt und sich schleichend an die | |
| Normalisierung des „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“ gewöhnt. | |
| Am 16. Juli wäre Jörg Fauser 75 Jahre alt geworden. Wäre er nicht im Sommer | |
| 1987, in der Nacht nach seinem 43. Geburtstag, von einem Lkw überfahren | |
| worden, als er im Suff bei München auf der Autobahn spazieren ging. Zu | |
| Lebzeiten von der Literaturkritik als „Unterhaltungsschriftsteller“ | |
| geschmäht, ist sein posthumer Ruhm langsam, aber verlässlich gewachsen. | |
| ## Verstreutes Gesamtwerk eingesammelt | |
| In den 2000er Jahren hatte der Berliner Alexander Verlag Fausers | |
| verstreutes Gesamtwerk eingesammelt und verdienstvoll neu aufgelegt, jetzt | |
| hat der Zürcher Diogenes Verlag die Rechte übernommen. Peu à peu werden | |
| dort nun Fausers Romane, Essays, Briefe und Reportagen erneut erscheinen. | |
| Den Auftakt machen diesen Sommer der Roman „Das Schlangenmaul“ (1985) und | |
| sein wohl berühmtestes Buch: „Rohstoff“ (1984). Fauser erzählt darin von | |
| einem Ex-Kommunarden namens Harry Gelb, einem Typen mit schwerem | |
| 1968er-Trauma, der aus dem bundesdeutschen Politgerassel aussteigt und als | |
| Junkie in Istanbul vor sich hindämmert. Unverkennbar – und von ihm selbst | |
| auch stets so erklärt – schildert Fauser hier eine eigene Lebensphase. Als | |
| Extra bietet Diogenes den Band „Rohstoff Elements“ dazu, Skizzen, Notizen, | |
| Kurztexte, die laut Verlag zeigen: „Da lebt jemand das, was er schreibt, | |
| was er als Text hinausbrüllt oder flüstert.“ | |
| Tatsächlich wird es mit jedem Fauser’schen Jubiläum ein weiteres bisschen | |
| deutlicher: wie lebendig, wie lehrreich, wie zeitlos ein Schreiben sein | |
| kann, das gerade nicht auf literarische, gar „poetische“ Transzendenz | |
| abzielt – sondern das sich ganz auf seine jeweilige Gegenwart einlässt, | |
| ganz auf den je aktuellen Schmutz und Jargon, die Widersprüche und | |
| Verlogenheiten der unmittelbaren Umgebung. Fausers längst vergangene | |
| Gegenwart scheint stets auf die heutige zu antworten oder umgekehrt. Anders | |
| gesagt: Der Mann provoziert noch immer. | |
| ## Popliterat, Loser-Schriftsteller, Männerliterat, Sexist? | |
| Zu seinem 60. war der Literaturbetrieb gerade ganz verschossen in den | |
| Marketingbegriff „Popliteratur“, und Fauser wurde als Urahn jenes Genres | |
| gefeiert, weil er hier und da Songtitel oder Markennamen („Billa“) | |
| einstreute. 2009, zu Fausers 65., wurde er dann [1][überwiegend als | |
| „Loser-Schriftsteller“ besprochen], sein Blick auf die Ausgegrenzten und | |
| Abgehängten schien besonders zu interessieren – kein Wunder, war „dieses | |
| unser Land“ (Fauser) mittlerweile doch zur Hartz-IV-Republik voller | |
| potenzieller „Sozialschmarotzer“ (Bild-Zeitung) geworden. Zu Fausers 70., | |
| im Jahr 2014, als der digitale Feminismus und der Gender-Diskurs an Fahrt | |
| gewannen, war sein vermeintliches Machotum das Thema, sein Blick auf die | |
| Geschlechter und die Frage, ob Fauser ein „Männerliterat“, gar ein Sexist | |
| gewesen sei. | |
| Der neueste Interpretations- beziehungsweise Vereinnahmungsversuch erfolgt | |
| nun von ungeahnter Seite: Die rechtsnationale Junge Freiheit und der | |
| ebenfalls nach weit rechts abgeschmierte Ex-Spiegel-Mann Matthias Matussek | |
| zitieren Fauser dieser Tage als einen der Ihren. Tatsächlich hegte Fauser | |
| eine Faszination für den von alten und neuen Rechten verehrten Ernst | |
| Jünger, und es finden sich in seinen Texten Begriffe, die auch sogenannte | |
| Identitäre heute gern benutzen: „Kulturkampf“, „Gesinnungsdiktatur“ od… | |
| „System“. | |
| Den Literaturwissenschaftler Simon Sahner veranlasste dies kürzlich zu dem | |
| Vorwurf gegen „Wissenschaft und Feuilleton“, dass Fausers „spießige und | |
| teilweise diskriminierende Weltsicht entweder verharmlost oder | |
| verschwiegen“ werde. | |
| ## Was ist das „System“? | |
| Hier zeigt sich eine Schwäche des nichttranszendenten Schreibens, wie | |
| Fauser es betrieb: Spätere Missverständnisse sind nicht auszuschließen. | |
| Nehmen wir das alte und neue Feindbild „System“: Für Fauser, den Zornigen, | |
| zeigte es sich etwa darin, dass die westdeutsche Erfolgsgeschichte | |
| wesentlich von alten Nazi-Milliarden und -Seilschaften zehrte. Als „rechte | |
| Perspektive“ ist dies wohl nicht zu bezeichnen. Mit Antiimperialismus oder | |
| Antiamerikanismus mit antisemitischen Vibrationen – also dem, was manche/r | |
| noch heute links nennt – hatte Fauser genauso wenig zu schaffen; er | |
| bekannte sich zum westlichen Individualismus. | |
| Interessant wird sein, welche Fragen in fünf Jahren, zu Fausers 80., an | |
| seine Texte gestellt werden, welche Spuren dann in seinem Werk gesucht (und | |
| gefunden?) werden – und was das letztlich über „uns“, seine späten | |
| LeserInnen verrät. Gerade kursiert wieder ein Genre-Begriff in der | |
| Literatur: die sogenannte Autofiktion. Gemeint ist ein | |
| quasi-autobiografisches Erzählen, wie Fauser es vor gut 30 Jahren [2][in | |
| „Rohstoff“ vormachte]. Kürzlich gewann Anke Stelling mehrere Preise für | |
| ihren Roman „Schäfchen im Trockenen“ – der eigentlich gar kein Roman sei, | |
| wie die Autorin immer wieder erklärte; vielmehr handele die Geschichte vom | |
| Klassenkampf in der prekären Gegenwart, von selbst erlebtem Statusneid und | |
| Wohnungsangst. | |
| Prompt kam es zu einem hübschen Déja-vu: Als „antiliterarisch“ und | |
| „populäre Gesinnungsästhetik“ beschimpfte Iris Radisch in der Zeit | |
| Stellings sozialkritische „Schäfchen“. Es klang praktisch genauso wie | |
| damals, im späten 20. Jahrhundert, als die großbürgerlichen Feuilletons | |
| sich über Fausers endverbraucher:innennahes Schreiben so hitzig | |
| echauffierten. | |
| 16 Jul 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katja Kullmann | |
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