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# taz.de -- Krimi-Klassiker im Sommerloch: Mein Freund Ripley
> In „ Der amerikanische Freund“ lässt sich entdecken, wie Dennis Hopper
> aus einem kleinen Fernsehspiel großes Kino macht. Vorspulen ist aber
> erlaubt.
Bild: Kult: Dennis Hopper als Tom Ripley in Wim Wenders' Film „Der Amerikanis…
Sommerzeit, Klassikerzeit! Man nimmt sich die dicken Bücher vor,
entschleunigt schon bei der Auswahl und erst recht beim Lesen. Mit Filmen
geht das auch. Viele können allerdings Filme, die vor, sagen wir 1990
gedreht wurden, gar nicht mehr anschauen: Mein Gott, wie lang das alles
dauert! Und wie alt das ist! Das Frauenbild, das Männerbild, das ewige
Standbild! Alles steht still, sagen unsere Tiktok-Hirne, das halt ich nicht
aus!
Und in der Tat wurde es etwa nach der ersten von zwei Stunden schwierig für
mich, „Der amerikanische Freund“ von [1][Wim Wenders] aus dem Jahr 1977
ohne Benutzung der Zehn-Sekunden-Vorspulfunktion am Laptop weiterzugucken.
Die ersten 60 Minuten – kein Problem, schließlich ist das Ding ja nicht
zuletzt ein echter Krimiknaller, nach dem Roman „Ripley’s Game“ von
Patricia Highsmith.
Die Exposition der Story – die wie immer bei Highsmith nicht unbedingt aus
der Schlüssigkeit ihre Power zieht –, die Bilder eines wunderschön kaputten
winterlichen Hamburgs auf der Schwelle der Gentrifizierung, die Eindrücke
aus Paris, wo der Prozess der Digitalisierung längst begonnen hatte, die
Schwenks nach New York, die immer eine riesiges Sehnsuchtspotenzial haben
nach einer tatsächlich neuen Welt; und dann die deutschen Objekte, die man
aus der eigenen Jugend noch kennt, der Käfer mit der kleinen Heckscheibe,
die Telefone mit Wählscheibe und dem schrillen Alarmklingeln, die Kleidung,
der man das Kratzen ansieht, und die Wohnungen, deren Geruchsmischung aus
Weichspüler, Staub und Zigarettenrauch man noch in der Nase hat – Klassiker
eben, die einen bei der Stange halten!
## Die Vorwegnahme der Dinge
Was ich am „Amerikanischen Freund“ aber vielleicht am überraschendsten
fand, ist die Vorwegnahme der Dinge und Verhaltensweisen, die wir heute
nicht mehr aus unserem Leben wegdenken können – nur auf niedrigerem
technischem Level: Statt Mobiltelefonie wird telegrafiert, Ripley macht
Selfies mit der Sofortbildkamera und unterhält eine Art monologischen Blog
mit einem Kassettendiktiergerät.
Überhaupt natürlich – Ripley, überhaupt [2][Dennis Hopper! Wie großartig
ist der!] Wie hebt er den Film auf internationales Niveau, während aus
[3][Bruno Ganz] „Das kleine Fernsehspiel“ im ARD-Nachtprogramm nie ganz
rausging.
Und doch, gerade in diesem Spätsommer und trotz aller offensichtlichen und
von Cineasten längst ausgiebig erörterten handwerklichen Mängel dieses
Films: Wenn es wie jetzt schon früher dunkel wird und sacht nach Herbst zu
riechen beginnt, da waren die zwei Abende, die ich mit dem charmanten
Killer Ripley und dem durchs Leben stolpernden Jonathan, mit seiner
engelhaft geduldigen Frau Marianne – bis circa 1980 waren Männer
unzurechnungsfähige Vollbetreuungsbedürftige, die sich gleichzeitig alles
erlauben durften – und den anderen, teils berühmten Gestalten verbringen
durfte, doch nicht schlecht investiert.
Und dann ist es ja so mit dem Klassikernachhilfeunterricht im Sommer: Es
ändert tatsächlich was Existenzielles, ob man ein Kunstwerk nun
kennengelernt hat oder nicht; es ändert was am eigenen Leben. Es ist wie
eine Reise, mit deren Erinnerungen man fortan leben darf.
„Der amerikanische Freund“ wird wahrscheinlich kein Freund fürs Leben, ich
werde ihn mir wahrscheinlich nicht noch mal ansehen. Aber er hat mich doch
verändert. Das ist das, was Kunst kann. Und soll. Und muss.
6 Sep 2025
## LINKS
[1] /Wim-Wenders-Werkschau-im-Netz/!5703459
[2] /Zum-Tod-von-Dennis-Hopper/!5141961
[3] /Nachruf-auf-Bruno-Ganz/!5570848
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Wochenendkrimi
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Der Hausbesuch
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