# taz.de -- Zwischen Sozialarbeit und Mission: Seife, Suppe, Seelenfänger | |
> Mit Fokus auf Hamburg hat das Recherchekollektiv Fundiwatch christlichen | |
> Fundamentalismus in Sozialprojekten erforscht – und mahnt zu mehr | |
> Aufklärung. | |
Bild: Die Botschaft am Haus der Heilsarmee in St. Pauli ist deutlich. Soziale A… | |
Bremen taz | Der Schwerpunkt liegt auf Hamburg: Eine Untersuchung über | |
[1][„christlichen Fundamentalismus und soziale Arbeit“] hat jetzt das | |
Recherche-Kollektiv „Fundiwatch“ veröffentlicht. 73 Seiten hat die | |
[2][Online-Broschüre], gefördert von der Stadt Hamburg und im Ehrenamt | |
erstellt von Zoe Luginsland, Matthias Pöhl und Ruby Rebelde. Sie beleuchten | |
das Thema sachlich und differenziert, und stellen gleich zu Beginn klar, | |
dass sie für Religions- sowie Meinungsfreiheit einstehen. | |
„Nicht die religiöse Überzeugung der einzelnen Akteur:innen ist das | |
Problem“, heißt es im Vorwort, „sondern die Vermischung von Glaube mit | |
professionell anmutender Sozialer Arbeit sowie die Anwendung fragwürdiger | |
Methoden und Interventionen.“ Es sei dringend geboten, genauer | |
hinzuschauen, [3][welche Akteur:innen mit welchem Ziel und welchen | |
Methoden] sozialarbeiterisch tätig sind. Der Fokus der Studie liegt auf | |
evangelikalen und freikirchlichen Bewegungen – die Studienautor:innen | |
weisen aber darauf hin, dass auch in den Amtskirchen fundamentalistische | |
Strömungen existieren. | |
Insgesamt beobachten die Autor:innen ein „Vordringen | |
christlich-fundamentalistischer Netzwerke“ sowie erfolgreiche | |
Etablierungsversuche. Durch diese Entwicklung entstünden „Konflikte über | |
reproduktive, sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung“: Christlicher | |
Fundamentalismus zeichnet sich durch ein rigides Gesellschaftsbild aus. | |
„Erkenntnisse und Liberalisierungsprozesse rund um Gender, queere Vielfalt, | |
Schwangerschaftsabbruch, Scheidung, Ehe, Sexualität und Familie werden […] | |
als Symptom der Sünde gedeutet“, heißt es dazu auf der Website der | |
öffentlich geförderten [4][Sekteninfo NRW]. | |
Bekannt sind Seminare, in denen Homosexuelle [5][zur Heterosexualität | |
bekehrt werden sollen] und Vereine, die vorgeben, eine anerkannte | |
Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle zu sein und [6][Frauen zum | |
Austragen einer Schwangerschaft überreden]. Was aber in manchen | |
christlichen Jugendtreffs geschehe, bleibe meistens verborgen, sagt | |
Matthias Pöhl, einer der Autor:innen der Studie. „Ich möchte mir nicht | |
vorstellen, wie es Jugendlichen dort geht, wenn sie merken, dass sie auf | |
das eigene Geschlecht stehen oder [7][nicht ins Mann/Frau-Raster passen].“ | |
## Bibeltreues Leben als Lösung für alles | |
Ein weiteres Problem der christlich-fundamentalistisch geprägten sozialen | |
Angebote: Die Gefahr von Abhängigkeitsverhältnissen bei der Zielgruppe. | |
Zwar bestehe dieses Problem grundsätzlich in der sozialen Arbeit; doch im | |
Normalfall gebe es einen – wenn auch nicht verbindlichen – Konsens über | |
ethische Standards wie die Achtung der Selbstbestimmung der | |
Klient:innen. Ein wissenschaftlich fundiertes Handeln könne dagegen | |
nicht gegeben sein, wenn etwa Traumafolgestörungen mit Gebeten behandelt | |
werden, [8][die Dämone vertreiben sollen]. | |
Von Autonomie wiederum könne keine Rede sein, wenn | |
Sozialarbeiter:innen persönliche Überzeugungen nicht zurückstellen | |
und Klient:innen eine Lösung für all ihre Probleme vorgeben: Hier das | |
Bekenntnis zu Jesus und ein bibeltreues Leben. Zudem bestünden bei | |
christlichen Fundamentalist:innen in der Sozialen Arbeit „häufig Zweifel, | |
ob ein [9][professionelles Nähe-Distanz-Verhältnis] gewahrt wird“, | |
schreiben die Autor:innen. | |
Die Gefahr von Abhängigkeitsverhältnissen, die unter anderem sexuelle | |
Gewalt befördern, sei in der Sozialen Arbeit hoch, weil sich die | |
Klient:innen „in Umbruchs- und Orientierungsphasen“ befänden. Auffällig | |
sei, dass sich viele christlich-fundamentalistische Akteur:innen | |
Zielgruppen aussuchen, die sich in extremer Not und bestehenden | |
Abhängigkeitsverhältnissen befinden: „Sie missionieren in Gefängnissen, | |
unter Obdachlosen und Drogengebrauchenden, auf dem Straßenstrich und in | |
Bordellen.“ | |
In Hamburg übten so St. Pauli und die Reeperbahn „durch ihren Ruf als | |
‚Sündenmeile‘ eine besondere Faszination auf christliche | |
Fundamentalist*innen aus“, heißt es in der Studie. Dazu gehören | |
ältere Projekte wie die Heilsarmee, deren missionarische Ausrichtung in der | |
Öffentlichkeit für die Autor:innen bis heute nicht ausreichend kritisch | |
hinterfragt werde. Aber auch eine Reihe neuerer missionarisch auftretender | |
(Frei-)Kirchen und Prediger*innen gehört dazu. | |
Mit dem Thema Zwangsprostitution und Menschenhandel hätten diese | |
evangelikalen Akteure Anschluss an feministische Diskurse gefunden, heißt | |
es im Bericht, sowie ein offenes Ohr bei Politiker:innen der | |
Volksparteien. So nahmen im vergangenen Jahr an einer von | |
christlich-fundamentalistischen Gruppen ausgerichteten [10][Tagung] zum | |
Thema in Süddeutschland Abgeordnete von SPD und CDU teil. | |
Dort trat auch [11][die Hamburger Missionarin Gaby Wentland] auf. Sie ist | |
Gründerin und Vorstandsvorsitzende des Vereins „Mission Freedom“, der unter | |
anderem „Schutzhäuser“ für ausstiegswillige Prostituierte betreibt. 2013 | |
[12][stellte der Hamburger Senat klar], dass Mission Freedom keine | |
öffentlichen Gelder bekomme, da dessen Arbeit nicht den notwendigen | |
Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen entspreche. | |
Allerdings betreibt der Hamburger Verein mittlerweile über die | |
Tochtergesellschaft „Himmelsstürmer Deutschland“ eine vollstationäre | |
heilpädagogisch-therapeutische E[13][inrichtung im Allgäu], für schwer | |
traumatisierte Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren. Der Staat zahlt also | |
für die Unterbringung von Schutzbefohlenen in einem Heim, dessen Arbeit | |
Fachleute für unprofessionell halten. | |
Dass die Betriebserlaubnis erteilt wurde, habe wohl auch damit zu tun, dass | |
es den Bedarf gebe, sagt Matthias Pöhl, der zu der Einrichtung recherchiert | |
hat. Diese Gruppen könnten mit [14][Spenden von internationalen | |
Gleichgesinnten] den Aufbau von Angeboten finanzieren und so Lücken füllen. | |
„Wenn die dann noch sagen, sie würden sich an christlichen Werten | |
orientieren, klingt das für viele erst mal gut.“ Schließlich, so auch die | |
Broschüre, ist Soziale Arbeit historisch eng mit der Kirche verwoben. | |
Wie rückständig die Arbeit sei, werde auch dadurch verschleiert, dass | |
christlich-fundamentalistische Akteur*innen „zunehmend eine | |
maskierende, modern anmutende Sprache“ nutzten, schreiben die Autor:innen. | |
Den Anstrich der Seriösität verleihe darüber hinaus auch die Mitgliedschaft | |
in Wohlfahrtsverbänden. Seit etwa 13 Jahren gebe es dort eine | |
Aufnahmewelle. | |
Fundiwatch kommt zu dem Schluss, dass es dringend einerseits mehr Forschung | |
zu Strategien und Wirken des christlichen Fundamentalismus brauche und | |
andererseits eine informierende Koordinationsstelle. Angesichts der | |
zahlreichen Beispiele dafür, wie in Europa christliche | |
Fundamentalist:innen teils in enger Verflechtung mit | |
Rechtsextremist:innen Einfluss nehmen auf Gesetzgebungsverfahren oder | |
aktuell auf die [15][Wahl einer deutschen Verfassungsrichterin] ist es in | |
der Tat verwunderlich, dass Verfassungsschützer:innen zwar | |
Erkenntnisse über muslimische Fundamentalist:innen veröffentlichen, | |
[16][nicht aber zugleich über christliche]. | |
Fundiwatch erklärt auch die Attraktivität dieser Gruppen: „In Zeiten | |
gesellschaftlicher Krisen und wachsender Unsicherheitsgefühle und | |
subjektiver Ängste verfangen vereinfachende Angebote, die Komplexität | |
reduzieren.“ Darin unterscheiden sich Fundamentalist:innen von | |
anderen Christ:innen. Letztere bieten keine große Erzählung vom Kampf Jesu | |
und seiner Anhänger:innen gegen den Teufel und alle, die sich von ihm | |
„verführen“ lassen – oder kürzer: von Gut gegen Böse. | |
27 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Unter-dem-Deckmantel-Soziale-Arbeit/!5916170 | |
[2] https://fundiwatch.org/wp-content/uploads/2025/07/Christl_Fundamentalismus_… | |
[3] /Rechte-Hetze-gegen-Brosius-Gersdorf/!6097369 | |
[4] https://sekten-info-nrw.de/information/artikel/fundamentalismus/zur-vereinb… | |
[5] /Christliche-Konversionstherapie/!5976680 | |
[6] /Interview-mit-feministischer-Autorin/!5613711 | |
[7] /Evangelikale-Erziehung/!5723499 | |
[8] https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Eine-zweifelhafte-Schutzei… | |
[9] https://www.blja.bayern.de/beratung-beteiligung-beschwerde/gruppierungen-ko… | |
[10] https://www.schoenblick.de/sites/default/files/2024-06/gegenmenschenhandel… | |
[11] /Preis-fuer-evangelikale-Pastorin/!5048143 | |
[12] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/42702/20_09664_hilfsangeb… | |
[13] https://fundiwatch.org/recherche_mission_freedom_himmelsstuermer_deutschla… | |
[14] /Online-Petitionen-gegen-Abtreibung/!5786746 | |
[15] /Richterinnenwahl/!6099888 | |
[16] https://www.researchgate.net/publication/375407490_Religion_und_Macht_Zum_… | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
## TAGS | |
Christliche Fundamentalisten | |
Fundamentalismus | |
Sozialarbeit | |
Hamburg | |
Abtreibungsgegner | |
Social-Auswahl | |
Reden wir darüber | |
Christentum | |
Bildung in Bremen | |
Bildung in Bremen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausstieg bei den Evangelikalen: Das Tor zurück zur Welt | |
Frau Minze war über zwanzig Jahre lang Mitglied in einer evangelikalen | |
Freikirche. Dank Twitter ist ihr der Ausstieg gelungen. | |
Evangelikale als Aufklärer an Schulen: Senat sieht kein Problem | |
Ein evangelikaler Verein klärt in Bremer Schulen über Abtreibungen auf. Im | |
Landtag erklärt die Bildungssenatorin, sie habe keine Einwände. | |
Evangelikale Schule mobbt Transsexuellen: Mit Gebeten gegen den Dämon | |
Als er sein Coming-out hatte, war ein trans*Mann Schüler an einer | |
evangelikalen Schule in Bremen. Was folgte, war ein Martyrium. |