# taz.de -- Evangelikale Schule mobbt Transsexuellen: Mit Gebeten gegen den Dä… | |
> Als er sein Coming-out hatte, war ein trans*Mann Schüler an einer | |
> evangelikalen Schule in Bremen. Was folgte, war ein Martyrium. | |
Bild: Gegen die Freie Evangelische Bekenntnisschule ermittelt die Staatsanwalts… | |
BREMEN taz | Oft haben ihn die Lehrkräfte „Es“ genannt. Vor den | |
Mit-schüler*innen, im ganz normalen Unterricht: „Es“. Max, der in | |
Wirklichkeit anders heißt, ist ein trans*Mann, und er [1][war Schüler der | |
Freien Evangelischen Bekenntnisschule Bremen] (FEBB). Fünf Jahre hat es | |
gedauert, bis er den Mut aufbrachte, gegen die evangelikale Privatschule | |
rechtlich vorzugehen. Nach seiner Aussage war er dort von seinem Outing | |
2015 bis zum Abschluss 2016 Mobbing und psychischen Misshandlungen | |
ausgesetzt. „Diese Schule hat meine Zukunft zerstört!“, sagt Max. | |
Eine behördliche Kontrolle, die solche Vorgänge unterbinden könnte, gibt es | |
laut Bildungssenatorin nicht. Jetzt ermitteln Polizei und | |
Staatsanwaltschaft gegen Lehrkräfte und den stellvertretenden Leiter der | |
FEBB – wegen des Verdachts auf Misshandlung Schutzbefohlener. | |
Trans*Mann bedeutet: Ärzte und Familie hatten Max bei der Geburt fälschlich | |
als Frau erkannt und benannt. Mit 15 outete er sich in der Schule als | |
Trans*. Was folgte war, so Max, ein Jahr voller Mobbing und Psychoterror | |
vonseiten der Schule. In einem Gespräch erzählt er, wie der | |
stellvertretende Schulleiter ein Verbot verhängt habe, ihn mit seinem | |
selbst gewählten Namen und dem dazugehörigen Pronomen anzusprechen. | |
Rechtlich kann in Bremen seitens der Schule kein offizielles Zeugnis mit | |
dem selbst gewählten Namen ausgestellt werden, bevor dieser nicht durchs | |
Standesamt bestätigt wurde. Das heißt aber nicht, dass die Lehrkräfte den | |
Geburtsnamen im Schulalltag verwenden müssten. Seitens der Behörde gibt es | |
in den [2][Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren] Expert*innen, | |
die Lehrer*innen für einen gendersensiblen Umgang mit Schüler*innen schulen | |
könnten. Ob die FEBB diese Angebote angenommen hat, ist unklar. | |
In Klausuren bekam Max für die Kennzeichnung der Blätter mit seinem | |
Männernamen Fehler berechnet, immer wieder. Seine Wortmeldungen im | |
Unterricht wurden meist ignoriert. Lehrer*innen übten Druck auf sein | |
soziales Umfeld aus: Sie befragten seine Freunde öffentlich, wie sie sich | |
nach Max’ Outing noch mit ihm abgeben könnten. | |
## Der größte Druck kam aus der Schulleitung | |
Während seiner mündlichen Prüfung wurde er von seinem Politiklehrer | |
durchgehend weiblich angesprochen – „um mich unter Druck zu setzen und aus | |
dem Konzept zu bringen“, vermutet Max. | |
Schlimmer hat er die Gespräche mit dem stellvertretenden Schulleiter in | |
Erinnerung. Die fanden im letzten Jahr fast täglich statt. Unterlegen habe | |
er sich dabei gefühlt, sagt Max der taz. Am Ende sei er oft in Tränen | |
ausgebrochen. Die Klassensprecher*innen, die ihn ins Konrektorenzimmer als | |
Beistand begleiten wollten, seien häufig ausgeschlossen worden. | |
Unterstützung kam von der Klassenlehrerin. Sie habe sich Lektüre zum Thema | |
Transsexualität und Transidentität gekauft, häufig mit Max’ Mutter | |
telefoniert. „Sie war auch diejenige, die am Abschlussball meine Mutter in | |
den Arm nahm, sich entschuldigte und sagte, dass alle einen Maulkorb | |
erhielten, mich nicht Max nennen zu dürfen“, erinnert er sich. | |
Hinter seinem Rücken trafen sich Eltern und Lehrer*innen der Schule in | |
spirituellen Runden, um gemeinsam für ihn und seine Heilung zu beten – | |
sowie gegen den „Dämon“, der von ihm Besitz ergriffen hätte. „Es gab | |
allerdings auch Situationen, in denen ich unter einem Vorwand zu Gesprächen | |
eingeladen wurde – und anschließend nur für mich gebetet wurde“, sagt Max. | |
Per SMS empfehlen ihm Mitschüler den Besuch einer Konversionstherapie. „Wir | |
haben bei uns in der Freien Christengemeinde Bremen Seelsorgeräume, die | |
sich Heilungsräume nennen“, heißt es in einer Kurznachricht. „Jeden Monta… | |
16.00 Uhr“. „Ich sollte endgültig den Teufel ausgetrieben bekommen“, | |
erzählt Max. | |
## Von Konversionstherapien weiß die Christengemeinde nichts | |
Die Gemeinde, die der FEBB nahesteht, ist die Freie Christengemeinde. Sie | |
soll laut Max vor fünf Jahren noch mit Konversionstherapien geworben haben. | |
Heute nennt sie sich Hoop-Kirche, und bei der bestreitet man, derartiges | |
veranstaltet zu haben. | |
„Möglicherweise hat man in Gruppen mit Betroffenen gebetet“, sagt | |
Gemeindemitarbeiterin Sabine Fäsenfeld auf Nachfrage. „Wenn jemand | |
Seelsorge braucht, wüssten wir, wohin wir ihn vermitteln können“, teilt sie | |
mit. Aber ein eigenes Programm, „nein, das kann nicht sein“. | |
Konversionstherapien sind „heilerische“ Interventionen, die darauf | |
abzielen, die sexuelle Orientierung oder selbst empfundene | |
Geschlechtsidentität zu verändern oder gar ganz zu unterdrücken. In | |
Deutschland haben in erster Linie evangelikale Christ*innen durch Berichte | |
über Konversionstherapien von sich reden gemacht. [3][Erst im Mai 2020 hat | |
der Bundestag ein Verbot verabschiedet]: Sie anzubieten oder durchzuführen, | |
soll jetzt mit hohen Geldbußen bestraft werden oder bis zu einem Jahr | |
Freiheitsentzug. | |
Die seelischen Misshandlungen gingen nicht spurlos an Max vorüber. Seine | |
Schulnoten sackten plötzlich ab, er entwickelte Depressionen, | |
selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität und soziale Ängste. Dennoch | |
schaffte er im Sommer 2016 seinen Abschluss an der FEBB. „Seitdem bin ich | |
psychisch, um ehrlich zu sein, ein Wrack“, schildert Max. Er wechselte auf | |
eine andere Schule, doch die Wunden waren zu tief: Max erkrankte schwer und | |
war auf intensive Betreuung angewiesen. | |
Eine Psychologin vom Uniklinikum Hamburg hat Max bescheinigt, durch die | |
Erlebnisse an der FEBB traumatisiert zu sein. Bis zum Sommer 2020 brauchte | |
Max, um seine Erlebnisse beim Ansprechpartner für LSBTI*-Themen der Bremer | |
Polizei anzuzeigen. Die ermittelt nun in Kooperation mit der | |
Staatsanwaltschaft gegen den stellvertretenden Schulleiter und Lehrkräfte | |
der FEBB wegen des Verdachts auf Misshandlung von Schutzbefohlenen. Die | |
wird [4][mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren | |
bestraft]. | |
In einer schriftlichen Stellungnahme bestreitet die FEBB alle Vorwürfe. | |
„Für uns als Schule spielt die sexuelle Orientierung unserer Schüler*innen | |
keine Rolle“, heißt es in dem Schreiben. Allen Menschen und | |
„selbstverständlich auch transsexuellen Schüler*innen“ begegne man stets | |
mit „Respekt, Toleranz und Nächstenliebe“. | |
Den Kontakt zu Max hatte der [5][Bremer Christopher-Street-Day-Verein | |
hergestellt.] Der unterstützt ihn in seinem Kampf. „Ende Juli haben wir die | |
Schulaufsichtsbehörde zu einer Stellungname zum Fall Max aufgefordert“, | |
erklärt CSD-Vorstand Robert Dadanski. Man habe wissen wollen, „welche | |
Maßnahmen in den letzten zehn Jahren unternommen wurden, damit queere | |
Jugendliche an Schulen nicht diskriminiert werden“. | |
## Kontrollen sind „nicht üblich“ | |
Die Antwort liegt inzwischen vor. Dadanski findet sie empörend: [6][Die | |
Behörde] beteuert nur, dass es bisher „keine bekannten Fälle“ wie den von | |
Max und daher auch keine Überprüfung gegeben habe. Anlasslose Kontrollen | |
seien in der Schulaufsicht „nicht üblich“. Mittlerweile habe Schulsenatorin | |
Claudia Bogedan (SPD) die FEBB zu einer Stellungnahme aufgefordert. | |
„Das geht überhaupt nicht!“, so Dadanski. „Wie kann Bremen | |
[7][Bildungsverträge mit privaten Trägern] schließen und dann darauf | |
hoffen, dass die Verträge eingehalten werden, ohne irgendwelche | |
Kontrollen?“ Genauso wäre es wenn man nicht auf Corona testen würde: „Dann | |
gibt es auch keine Coronafälle“, so der CSD-Vorstand. „Das kann so nicht | |
bleiben und wir werden dem weiter nachgehen!“ | |
Für sich selbst hofft Max, durch das Verfahren endlich mit dem Thema Schule | |
abschließen zu können. Momentan macht er eine Ausbildung im Bereich Garten- | |
und Landschaftsbau. Bald vollendet er seine Geschlechtsangleichung. | |
„Mir ist wichtig, dass andere Leute, Menschen wie ich, nicht dasselbe | |
durchmachen müssen, und dass sich meine Geschichte auf keinen Fall | |
wiederholt“, sagt er. Es sei für ihn nicht nachzuvollziehen, wie Pädagogen | |
so agieren können – „vor allem, wenn man täglich gepredigt bekommt, dass | |
Gott jeden Menschen liebt“. | |
12 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.freie-evangelische-bekenntnisschule.de/ueber-uns/traeger/leitbi… | |
[2] https://www.rebuz.bremen.de/startseite-1459 | |
[3] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/konversionstherapienverbot.html | |
[4] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__225.html | |
[5] https://www.csd-bremen.org/2020/ | |
[6] https://www.bildung.bremen.de/start-251714 | |
[7] https://www.bildung.bremen.de/privatschulen-3829 | |
## AUTOREN | |
Cornelius Runtsch | |
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