# taz.de -- Die Wahrheit: Gutes Essen für Aborigines | |
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (223): Die als spießig | |
> geltenden Wellensittiche wurden in der DDR sorgsam gepflegt. | |
Bild: Leben von der Hand in den Schnabel: Sittiche | |
Diese kleinen australischen Schwarmvögel, die zu den „eigentlichen | |
Papageien“ zählen, wurden 1846 erstmalig in Frankreich gezüchtet, in | |
Deutschland neun Jahre später von der Ballettfigurantin Gräfin Christiane | |
Louise von Schwerin, geborene Ebel. Bereits 1840 hatte der Ornithologe John | |
Gould das erste lebende Exemplar nach England gebracht, und schon bald | |
wollte jeder Reiche solch einen Vogel besitzen. Sie zahlten so gut, dass | |
die Australier sie zu Zigtausenden fingen und nach Europa verschifften, die | |
meisten Wellensittiche starben unterwegs. | |
Anfänglich wollte es den hiesigen Händlern und Besitzern nicht gelingen, | |
sie zu züchten, da sie wie bei den bereits im 15. Jahrhundert importierten | |
Kanarienvögeln davon ausgingen, dass auch die Wellensittiche in offenen | |
Nestern brüten; sie sind jedoch Höhlenbrüter. Die Gräfin von Schwerin ließ | |
eine Kokosnuss für sie aushöhlen. Vier Jahre nach ihrem Zuchterfolg, 1859, | |
veröffentlichte der Naturforscher Carl August Bolle im Journal für | |
Ornithologie eine Studie über das Paarverhalten dieser Stubenvögel. Es | |
folgten „Vererbungsstudien“ von Hans Steiner (1932), eine Studie über die | |
„Keimdrüsenentwicklung unter verschiedenen Lichtbedingungen“ und über „… | |
sexuelle Entwicklung männlicher Wellensittiche“ von Gunvor Pohl-Apel und | |
Roland Sossinka (1975/1980). | |
Trotz der Zuchterfolge in Europa war in Australien die Jagd auf frei | |
lebende Wellensittiche nachfragebedingt weitergegangen, sodass sich die | |
australische Regierung 1894 gezwungen sah, ein Ausfuhrverbot für sie zu | |
erlassen. Es gilt bis heute. Jetzt bekommt man diese Vögel, die es | |
inzwischen in vielen Farben gibt, allerdings schon für weniger als 10 Euro, | |
sodass sich auch die ärmsten Schlucker einen oder mehrere Wellensittiche | |
leisten können – und ihre Käfig- oder Volierenhaltung deswegen unter den | |
Reichen mit hohen ästhetischen Ansprüchen als „spießig“ gilt. | |
Der Ostberliner Tierpark hält etwa 50 in einer Voliere. Seltsamerweise | |
bleiben mehr Besucher davor stehen, die zu Hause Wellensittiche haben, als | |
solche, die keine haben. Und die, die stehen bleiben, sind mehrheitlich | |
Ostler. Im Zoo Eberswalde ist die Wellensittichvoliere wie eine Pagode | |
gebaut. Die Vögel sind dort scheints noch etwas Besonderes. Im Leipziger | |
Zoo kann man ihre Voliere betreten. | |
## Vogelverein | |
Die Anschaffung und Pflege eines Wellensittichs war zu DDR-Zeiten nicht | |
leicht: Zunächst musste man einem „Vogelverein“ beitreten, wo der Vogelwart | |
einem das Futter (Hirse) zuteilte – für maximal zehn Vögel, mehr bekam man | |
nicht. Wellensittichzüchter mussten zudem Mitglied im Verband der | |
Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter (VKSK) sein, dann konnten sie | |
das ihnen zugewiesene Futter bei der bäuerlichen Handelsgenossenschaft | |
(BHG) beziehen. | |
Ein solcher Züchter, Maik, schreibt auf wellensittich-infoportal.de: „Alte | |
Vereinsmitglieder sprechen gerne von den ‚Goldenen Zeiten‘, denn | |
Vogelausstellungen waren für viele Menschen eine sehr bunte Abwechslung im | |
grauen Alltag. Zu hunderten standen die Menschen Schlange, um einen Blick | |
auf die exotischen Vögel zu werfen und mit den Züchtern ins Gespräch oder | |
in Verhandlung zu kommen. Die Wende war für etliche Vereine ein Schock: | |
Nicht nur dass viele Vereinsmitglieder sich eine neue Arbeit suchen mußten | |
oder wegzogen, auch die Nachwuchsförderung der Vogelvereine stand auf der | |
Kippe.“ | |
Der Vorteil dieses umständlichen DDR-Systems lag bei den Wellensittichen: | |
Ihre Pflege und Zucht geschah verantwortungsvoller, man sorgte sich mehr um | |
ihr Wohlbefinden als heute, da man diese nun „zu prollig“ gewordenen Vögel | |
samt allem Zubehör und Futter leicht nachkaufen kann. Das gilt laut dem | |
taz-Amphibienexperten Heiko Werning auch für viele andere Tiere, die in der | |
DDR privat gezüchtet wurden. | |
Aber es gibt Ausnahmen: Der Tiersitter Markus Huth, der in vielen Ländern | |
Tiere betreute, deren Halter verreisen mussten, berichtet in seinem Buch | |
„Als Tiersitter auf Reisen“ (2019), dass er auf Gomera im Haus eines | |
Westdeutschen einen Wellensittich namens Wasabi für einige Wochen versorgen | |
musste – gegen Kost und Logis. | |
Letztens | |
Die Wellensittichforscher fanden letztens heraus, dass bei diesen sozial | |
lebenden Vögeln das Gähnen ebenso ansteckend wirkt wie bei den Menschen und | |
Hunden. Diese Meldung ging jedoch schnell unter. Anders ein darwinistisches | |
US-Experiment: Dabei wurden einem Weibchen durch Glas abgetrennt einige | |
Männchen vorgeführt. Sie sollten eine kleine Kiste öffnen, die mit Futter | |
gefüllt war. Von dem Weibchen wurden stets die „cleveren Männchen | |
bevorzugt“. | |
Alle deutschen Massenmedien veröffentlichten diesen Wellensittichbefund. | |
Aber das Ergebnis des Gattenwahlexperiments ergibt ja auch einen gewissen | |
(anthropozentrischen) Sinn in wirtschaftlicher Hinsicht: Ein „cleveres“ | |
Männchen ist eher in der Lage, ein Weibchen und seine Brut zu ernähren, als | |
ein Volltrottel. | |
In Australien hält man bei den Wellensittichen, die sich mitunter zu | |
riesigen Schwärmen zusammenfinden, um neue Futterquellen zu finden, ein | |
ganz anderes Wissen für sinnvoll. Sie heißen dort budgerigars, kurz | |
budgies, ein Wort, das von den Aborigines kommt, die sie betcherrygah | |
nennen, was „gutes Essen“ heißt. Die NGO Bush Heritage fragt sich auf ihrer | |
Internetseite: Ist damit nun gemeint, dass man die Wellensittiche gut essen | |
kann oder dass man ihren Schwärmen folgen soll, weil sie gute Plätze mit | |
vielen Samenpflanzen aufsuchen? | |
Man müsste die Aborigines fragen. Die Wissenschaft fragt sich bei den | |
Wellensittichen anderes, das begann mit dem Mönch Gregor Mendel in Brünn, | |
der mit ihnen seine genetische Vererbungslehre vertiefte. Genetisch, so | |
Bush Heritage, ist der Wellensittich am nächsten mit dem Nachtpapagei | |
verwandt. Man dachte lange Zeit, dieser sei ausgestorben, der letzte sei | |
1912 von Wissenschaftlern getötet worden, aber nach seiner Wiederentdeckung | |
2013 lebt er nun geschützt im Pullen Pullen Reserve von Queensland, das | |
dem Nachtpapagei nun „eine Zukunft gibt“. | |
Beide Papageienarten leben wild nur in Australien. Allerdings gibt es auch | |
noch eine Kolonie von Wellensittichen in Florida, diese entstand jedoch aus | |
der Gefangenschaft entkommenen Wellensittichen. In Berlin haben solche | |
flüchtigen Wellensittiche, sofern sie nicht wieder eingefangen werden | |
konnten, die Winter und die Attacken der einheimischen Vögel lange Zeit | |
nicht überlebt, erst ab Mitte der achtziger Jahre soll es ihnen gelungen | |
sein, sich zu einem wehrhaften Schwarm zusammenzufinden und in den | |
Ostberliner Rieselfeldern zu überleben. | |
28 Jul 2025 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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Helmut Höge | |
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