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| > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (222): Feigenwespen | |
| > machen es äußerst kompliziert bei ihrer Symbiose mit Feigen. | |
| Bild: Mann, sind die süß! Gestatten, Feigenwespen in Aktion | |
| Bei den Symbiosen zwischen Pflanzen und Insekten gibt es „die verrücktesten | |
| Formen gegenseitiger Abhängigkeiten“, schreibt das Schweizerische Zentrum | |
| für Bienenforschung: „Auf die Spitze getrieben haben es dabei Feigenwespe | |
| und Feige.“ Bei der Feigenfrucht handelt es sich genau genommen um | |
| Blütenbehälter, es gibt sie an zwei Baumtypen: Die männliche „Bocksfeige“ | |
| entwickelt nur ungenießbare Feigen mit männlichen sowie mit sterilen, | |
| kurzgriffligen weiblichen Blüten. Der weibliche (echte) Feigenbaum bildet | |
| dagegen die „Essfeigen“ mit fruchtbaren, langgriffligen weiblichen Blüten. | |
| Das Weibchen der Feigenwespe „dringt in den engen Eingang der männlichen | |
| Feige ein, oft fallen dabei Flügel- und Fühlerteile ab, und legt seine Eier | |
| in die sterilen kurzgriffligen weiblichen Blüten“. Durch die Eiablage | |
| bilden sich aus den Blüten Gallen. Zuerst schlüpfen die Männchen aus ihnen | |
| – und begatten die jungen Weibchen, „die noch geschützt in den Blüten | |
| harren“, wobei die Männchen die Blütenstände anschließend nicht mehr | |
| verlassen. | |
| Durch die Löcher, die sie in die Feige bohrten, um zu den Weibchen zu | |
| kriechen, gelangen jedoch die befruchteten Weibchen mit Pollen beladen ins | |
| Freie, um die langgriffligen weiblichen Blütenstände der echten Feigen | |
| anzufliegen und zu bestäuben. Zur Eiablage müssen sie dann aber wieder eine | |
| männliche Brutfeige aufsuchen, damit daraus Nachkommen werden können. | |
| „Irrt sich ein Weibchen in einer weiblichen Feige, werden die Blüten zwar | |
| großzügig bestäubt, da die Griffel aber zu lang zur Eiablage sind, bleiben | |
| Nachkommen aus“, schreiben die Schweizer Bienenforscher. Kurzum: Wenn ein | |
| befruchtetes Weibchen eine weibliche Feige anfliegt, wird diese befruchtet, | |
| aus ihren dort eventuell auch noch abgelegten Eiern wird aber nichts. Wenn | |
| es dagegen eine männliche Feige anfliegt, ist es umgekehrt. Macht sie alles | |
| richtig, entstehen daraus neue Feigenwespen und süße Feigen – beliebt bei | |
| Menschen, Vögeln, Eichhörnchen, Affen und Flughunden. | |
| Alfred Brehm schrieb 1884 über diese komplizierte Symbiose: „Es ist | |
| bekannt, daß schon die Alten sich eine Gallwespe zu Nutze machten, um | |
| saftigere und wohlschmeckendere Feigen zu erlangen, und noch heutigen Tages | |
| verwendet man in Griechenland große Sorgfalt darauf, die ‚Kaprifikation‘ | |
| [künstliche Befruchtung] der Feigen an den veredelten Bäumen durch dieses | |
| Thier zu bewirken. Es lebt in den wilden Feigen und ist zu der Zeit, wo | |
| diese noch unreif sind, vollkommen entwickelt, würde auch noch darin | |
| bleiben, wenn man es nicht störte. So aber pflückt man diese Feigen […] und | |
| wirft sie auf die Zweige der edlen Feigenbäume; das Austrocknen und | |
| Zusammenschrumpfen der wilden Feigen veranlaßt die Insekten, aus diesen | |
| herauszukommen, eine (abnorme) zweite Brut zu bilden und die veredelten | |
| Feigen für diese als Wohnung zu wählen. Ehe dieselbe zur Entwickelung | |
| gelangt, werden die Feigen geerntet; sie geht daher zu Grunde, nachdem sie | |
| durch ihre Anwesenheit den Saftreichthum der Frucht vermehrt hat.“ | |
| Georg Wilhelm Friedrich Hegel war bereits 1830 in seiner Vorlesung | |
| „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse“, indem er | |
| auf „Die vegetabilische Natur“ zu sprechen kam, auf die Feige und die | |
| Feigenwespe eingegangen. Über das „Reifen der Frucht“ auf den weiblichen | |
| Feigen meinte er, es käme dabei auf das Verletzen der Frucht, die | |
| Kaprifikation, durch das Insekt an – und nicht auf den von ihm übertragenen | |
| Pollen, denn er ging dabei von der Geschlechtslosigkeit der Pflanzen aus. | |
| Erst der Botaniker Hermann Graf zu Solms-Laubach hat dann 1885 den genauen | |
| Befruchtungsvorgang entdeckt und beschrieben – das „Anstechen“ oder | |
| „Einritzen“ der Frucht war dabei nicht der Punkt. | |
| 2012 kam der israelische Botaniker Daniel Chamovitz in seinem Buch „Was | |
| Pflanzen wissen“ noch einmal darauf zurück: „Die alten Ägypter schlitzten | |
| [vor der Ernte] ein paar Feigen auf, um die Früchte eines ganzen Baumes | |
| reifen zu lassen“, und dies geschah, weil sich dadurch ein Pflanzenhormon, | |
| Ethylen, „das für die Reifung der Früchte zuständig ist“, verbreitet. | |
| Hegel hatte seinerzeit die Feigenschlitztheorie bereits dahingehend | |
| ergänzt, dass „in unseren Gegenden, wo der männliche Baum und das Insekt | |
| fehlen, die Samen der Feigen nicht vollendet werden“. Diese Erfahrung | |
| mussten Obstbauern in Kalifornien später noch einmal machen, als sie | |
| Feigenbäume aus dem Mittelmeerraum einführten. Aus der Ernte wurde nichts, | |
| weil sie die dazugehörige Feigenwespe nicht mit importiert hatten. | |
| Berühmt ist die heilige Indische Feige (Ficus benghalensis, auch | |
| Bengalische Feige genannt): „Die Bäume enthalten sowohl männliche, | |
| weibliche als auch sterile Blüten und bringen die für Feigenbäume | |
| charakteristischen Früchte hervor. Diese Früchte des Bayanbaumes sind | |
| verhältnismäßig klein und unauffällig, aber überraschend süß und | |
| wohlschmeckend“, heißt es auf immerlan.de. Der Baum dient vielerorts als | |
| Dorfmittelpunkt. | |
| Der Banyanbaum wächst laut academic.ru „epiphytisch auf einem beliebigen | |
| Wirtsbaum, der zunächst keinen Schaden nimmt, da der Banyan kein | |
| Schmarotzer ist. Er sendet Luftwurzeln aus, die sich mit der Zeit zu einem | |
| dichten Netz entwickeln. Haben die Wurzeln den Boden erreicht, kommt es zu | |
| einem Wachstumsschub, da die Pflanze nun nicht mehr ausschließlich auf das | |
| Substrat, das sich auf dem Wirtsbaum angesammelt hat, angewiesen ist. Mit | |
| zunehmendem Wachstum wird der Wirtsbaum erdrückt und stirbt ab.“ | |
| Die Bezeichnung Banyan geht auf die Banjan, hinduistische Händler, zurück. | |
| Sie versammelten sich unter diesen Bäumen; ihr Name wurde von Europäern auf | |
| die Bäume übertragen. Dörfliche Widerstandsbewegungen gegen Regierungspläne | |
| (Staudämme zum Beispiel) beginnen in Indien fast immer unter einem | |
| Banyanbaum. Aber die Banyanfeige ist nur eine von vielen indischen | |
| Feigenbaumarten. | |
| Arundhati Roy erwähnt in einem Aufsatz über den Kaschmirkonflikt ihren | |
| heutigen Ex-Ehemann, den Ökologen und Filmemacher Pradip Krishen, der | |
| bereits mehrere Bücher über Bäume veröffentlicht hat: „Er schreibt gerade | |
| ein weiteres. Es gibt darin ein Kapitel über die Befruchtung von Feigen, | |
| jede Feige wird von ihrer spezialisierten Feigenwespe befruchtet. Und es | |
| gibt fast 1.000 verschiedene Arten von Feigenwespen.“ | |
| Die US-Biologin Meg Lowman ist eine Baumkletterin, das heißt, sie | |
| erforscht das Leben in den Baumkronen. Für ihr Buch „Der unentdeckte | |
| Kontinent“ (2022) kletterte sie auch auf Banyanbäume, wo sie oben einige | |
| kleine Fressfeinde der Feigenwespe entdeckte. Die Bäume werden bis zu 30 | |
| Meter hoch, aus ihren Luftwurzeln werden weitere Banyanbäume, die | |
| schließlich einen kleinen Wald bilden. | |
| 14 Jul 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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