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# taz.de -- Die Wahrheit: Die Bahn mal wieder!
> Alle Welt klagt über das unbewegliche Mobilitäts- und
> Transportunternehmen. Dabei können sich doch in den Zügen gar wundersam
> wilde Dinge zutragen.
Vor 20 Jahren war es ein weit verbreitetes Übel, dass Menschen, die in der
Bahn saßen, bei jeder Kleinigkeit theatralisch „Die Bahn mal wieder!“ durch
den Waggon blökten. Obwohl die Bahn recht gut funktionierte.
Von Letzterem kann heute nicht mehr die Rede sein. Aber noch etwas hat sich
geändert: Es gibt sie praktisch nicht mehr, die in der Bahn sitzenden
Bahnnörgler. Die inzwischen schwarzhumorigen Durchsagen werden nicht mehr
höhnisch, sondern amüsiert verfolgt. Man leidet mit, wenn die Zugchefin
durch die Lautsprecher seufzt: „Irgendwas ist wohl nicht in Ordnung mit den
Gleisen, ich weiß es doch auch nicht.“
Oder wenn die Ansage ins Philosophische abgleitet, weil der Zug
außerplanmäßig an einem Provinzbahnhof hält, aber trotz beträchtlicher
Zeitspanne niemand aussteigen darf, denn: „Der Bahnsteig ist zu kurz für
unseren Zug. Oder der Zug ist zu lang für den Bahnsteig, je nachdem, wie
Sie’s sehen. Denken Sie mal drüber nach.“
Erste größere Gemütsaufwallungen zeigen sich erst, wenn verkündet wird:
„Unsere Verspätung beträgt jetzt 65 Minuten.“ Da brandet Jubel auf. Denn
das bedeutet 25 Prozent Rückerstattung! Nominell sind die Bahnpreise in den
letzten Jahren absurd gestiegen, real halten sie sich auf erstaunlich
stabilem Niveau, man muss nur all die Rückerstattungen einberechnen.
Als ich kürzlich aus Stuttgart spätabends nach Berlin zurückfuhr, kam unser
Zug vor Bitterfeld ganz zum Stehen. Niemand wusste, warum. Es folgte die
übliche Entschuldigungskaskade: erst Wasser, dann Schokolade, schließlich
die Fahrgastrechteformulare. Nach zwei Stunden informierte der
Zugbegleiter: „Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Sie Ihre
Bahnfahrt heute zum halben Preis bekommen.“ Alle lächelten.
Hier und da kursieren die üblichen Legenden aus der Schweiz, Österreich
oder gar China von auf die Minute pünktlichen Zügen, sauberen Wagons,
funktionierenden Kaffeemaschinen. Dabei schimmert auch Stolz durch: Wir
Deutschen sind gar nicht mehr so, so penibel, spießig oder gar pünktlich!
Als nach einer weiteren halben Stunde die Durchsage ertönt: „Ich will jetzt
nichts schönreden, aber ich wollte darauf hinweisen, dass im Speisewagen
noch genug Bier da ist“, da denken wir: Gute Idee eigentlich. So finden
sich nach und nach die Passagiere dort ein, trinken ein Bier, dann noch
eines und noch eines, es wird immer voller und lustiger, man plaudert über
dies und das, lernt sich kennen, und als der Zug gegen vier Uhr morgens
doch noch in Berlin ankommt, wird es schon wieder hell. Zufrieden torkele
ich nach Hause, in den jungen Morgen, nach einer durchzechten Nacht, wie
ich es schon viel zu lange nicht mehr gemacht habe, weil man ja so
vernünftig geworden ist.
Aber diese Nacht wurde uns einfach so geschenkt. Ich fühlte mich um 20
Jahre jünger. Die Bahn mal wieder!
10 Oct 2025
## AUTOREN
Heiko Werning
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Deutsche Bahn
Nachtzüge
Party
Kolumne Die Wahrheit
Afrika
Helmut Höge
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