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# taz.de -- Das Tempelhofer Feld in Berlin: Schier endlose Weite
> Hier kann man Italo-Disco hören, Ausdruckstanz üben oder man skated,
> joggt, chillt. Das Tempelhofer Feld ist Berlins Freiraum. Und es ist
> bedroht.
Bild: Entspannen, mitten in der Stadt: Stimmungsbild vom Tempelhofer Feld
Ein DJ legt Discomusik auf, Maikäfer flattern unkoordiniert herum und
kollidieren mit Tanzenden. Über deren Köpfen stemmt sich ein Vogel gegen
den Wind und bleibt sekundenlang in der Luft stehen. Man blinzelt in die
Richtung, in der gerade die Sonne untergeht, und ist einmal mehr erstaunt,
dass man sich hier gerade mitten in Berlin befindet, angeblich ja eine
Großstadt, wovon aber weit und breit nichts zu sehen ist. Stattdessen
blickt man auf eine schier endlose Weite, auf das Tempelhofer Feld, die
größte innerstädtische Freifläche der Welt.
Drei Tage lang geht dort am vergangenen Wochenende das Festival, an dem zig
DJs so Sachen wie Balearic Beats, Italo Disco und Dub auflegen. Von mittags
bis abends, um 22 Uhr ist jedes Mal Schluss, eine Stunde später werden die
Zugänge zum Feld gesperrt, und die Maikäfer können endlich wieder
herumflattern, ohne dabei auf menschliche Hindernisse zu stoßen.
Das Ganze findet statt an einem Ort, [1][der sich Plattenvereinigung nennt]
und Teil eines Projekts der Technischen Universität Berlin ist, das sich
mit Nachhaltigkeit beschäftigt.
Aus alten Plattenbauteilen wurde dafür ein Recyclinggebäude erstellt,
inzwischen ist es von oben bis unten mit Graffiti versehen, und im Inneren
gibt es eine Kunstausstellung.
Die dort gezeigten Bilder sind aber nicht ansatzweise so bunt wie das
Treiben, das draußen auf dem Weg zur Plattenvereinigung auf dem Feld zu
sehen ist. Man kommt vorbei an einer Gruppe, die sich unter Anleitung am
Ausdruckstanz versucht. An Inlineskatern, Fahrradfahrern, Joggern und
Kiffern, die wissen, dass sie überall sonst in der Stadt Probleme mit ihren
Joints bekommen könnten, weil in der Nähe ja eine Schule oder Kita sein
könnte. Hier aber ist weit und breit gar nichts.
Seit 15 Jahren gibt es nun das Tempelhofer Feld. Plötzlich war es da mit
dieser Leere, was davor das Flugfeld des Flughafens Tempelhof war. Den
brauchte man nicht mehr, als sich abzeichnete, dass die Stadt bald einen
neuen bekommen würde.
Schon lange vor der Schließung des Flughafens wurde ausgiebig eruiert, was
jetzt aus dem ehemaligen Flugfeld werden soll. Viele Millionen Euro wurden
versenkt in Planungsbüros und bei Ideenwerkstätten. Die Vorschläge reichten
von einer Seenlandschaft, die hier entstehen könnte, bis hin zu einem
tausend Meter hohen Berg, von dem ein Künstler träumte, dem Mount Tempelhof
oder so.
Am Ende aber hatte eine Berliner Initiative die beste verrückte Vision von
allen: Wir lassen einfach alles mehr oder weniger so, wie es ist. Bei einem
Volksentscheid 2014 konnte sich auch eine Mehrheit der Berliner und
Berlinerinnen für diesen Vorschlag erwärmen, und so kam es, dass bis heute
so gut wie nichts auf dem Feld gebaut wurde. Selbst die Plattenvereinigung
ist ja eher ein Pop-up-Gebäude als ein echtes Bauwerk. Nun hat sich hier in
den letzten Jahren das Acker-Filzkraut ausgebreitet und fühlen sich die
Heidegrashüpfer und Steinschmätzer wohl.
Damit könnte die Geschichte, die fast wie ein kitschiges Märchen klingt,
eigentlich enden. Damit, dass die Berliner Politik den Willen der
Bevölkerung exekutiert und ein Naherholungsgebiet und eine
Begegnungsstätte ermöglicht hat, was es in dieser Form und Dimension
nirgendwo sonst in der Welt gibt.
Aber wir leben eben nicht im Märchen. Bei der SPD und der CDU, die
gemeinsam gerade die Regierung in Berlin stellen, hat es immer schon
gegrummelt wegen des Volksentscheids. Ein wenig, wenigstens an den Rändern
dieser gewaltigen Fläche, müsse es doch möglich sein, ein paar Wohnungen zu
bauen. Und dazu vielleicht noch eine Kita, eine Schule und mal schauen, was
man sonst noch so braucht.
Und nun soll es nach Wunsch der Berliner Regierungskoalition genau so
kommen: Es soll gebaut werden. Aktuell steckt man mittendrin in
Beteiligungsprozessen und Dialogveranstaltungen, man will die Menschen
schließlich irgendwie mitnehmen bei den Plänen. [2][Noch ist nichts
beschlossen], aber es muss damit gerechnet werden, dass diese unendliche
Fläche schon bald geschrumpft wird.
12 Jul 2025
## LINKS
[1] https://www.tempelhoferfeld.de/entdecken-erleben/projekte-buergerschaftlich…
[2] /Zukunft-des-Tempelhofer-Felds/!6092916
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Kolumne Großraumdisco
Tempelhofer Feld
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