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# taz.de -- Sitzplätze bei der Bahn: Fahrt schwarz, ganz legal
> Will die Bahn ihre Sitzplätze nicht nur verteuern, sondern auch
> reduzieren? Die Aufregung ist groß. Höchste Zeit für die Verweigerung der
> Reservierung.
Bild: Platzangst: Die Bahn will mehr als 20.000 Sitzplätze in Zügen streichen
Erst bringt die Bahn halb Deutschland in Rage, [1][weil sie die
vergünstigte Sitzplatzreservierung für Familien abschafft]. Und nun steht
auch noch infrage, ob unser Lieblingstransportunternehmen künftig überhaupt
noch genügend Plätze durch die Republik fährt. Zumindest [2][laut Spiegel]
gibt es ganz geheime Pläne bei der Bahn, nach denen mehr als 20.000
Sitzplätze in Zügen gestrichen werden sollen. Was für eine bahnbrechende
Idee!
Und bevor jetzt einer auf falsche Gedanken kommt: nein, es ist nicht daran
gedacht, sie durch kostengünstige Stehplätze zu ersetzen. Es sollen einfach
weniger und kürzere Züge eingesetzt werden. Damit noch mehr Menschen ihr
Leben in vollen Zügen genießen dürfen?
Die Bahn hat die Spiegel-Kritik zurückgewiesen. [3][Zwar würden tatsächlich
weniger Plätze angeboten, aber für die Fahrgäste sei das von Vorteil.] Doch
der Eindruck bleibt: Die Bahn ist mindestens so genervt von ihrer
Kundschaft wie umgekehrt.
Was da noch bleibt? Widerstand! Fahrt Schwarz! Also nicht komplett. Aber
spart euch die teure Sitzplatzreservierung. Und steigt einfach ohne ein.
Das wäre ein überfälliger Akt, aus mehreren Gründen.
## 1. Sitzplatzreservierungen sind zwecklos
Der offensichtlichste liegt auf der Hand. Da heutzutage eh kaum noch ein
Zug so ankommt, wie es im Fahrplan steht, sind Platzreservierungen für die
Katz. Mal wird ein Anschlusszug nicht erreicht, mal wird ein Ersatzzug
eingesetzt mit komplett anderer Sitzreihung, mal fällt der Zug komplett
aus. Dann wird man vom immer freundlichen Bahnpersonal gebeten, sich selbst
einen Platz zu suchen. Was häufig kein Problem ist, weil viele, die für den
Zug gebucht hatten, ihn nicht erreichen können – und somit ihre Sitze frei
bleiben.
Klar. Man kann sich im Falle eines Falles die Sitzplatzbuchungsgebühr
erstatten lassen. Man kann sie sich aber auch von vornherein sparen.
## 2. Sitzplätze für Familien finden sich immer
Selbst bei Fahrten mit der ganzen Familie ist das Reisen ohne Reservierung
kein Problem. Zugegeben, manchmal kann die heilige Familie dann nicht an
einem Platz sitzen. Aber wer vom Fach ist, weiß: Das kann herrlich
entspannen. Denn wenn Papa mit Kind 1 in Wagen 3 unterkommt, während Mama
mit Kind 2 in Wagen 7 ein Plätzchen findet, dann ist zumindest der sonst
allfällige Streit der Kleinen erstmal vom Tisch.
Und für alle, die doch unbedingt zusammensitzen wollen, hier noch ein
Geheimtipp: Weil die Bahn so gnadenlos behindertenfeindlich ist, [4][dass
Rollifahrern] selbst nach langfristigem und kompliziertem Vorantrag nur mit
Glück ein [5][Zutritt zum Zug] gewährt wird, sind die geräumigen Plätze für
Rollstuhlfahrer:innen meist frei. Da können die Eltern sitzen, während
die Kleinen auf dem Boden ihr Lego ausbreiten. Wunderbar.
## 3. Sitzplatzreservierungen sind unsolidarisch
Sitzplatzreservierungen sind – man muss sich dessen nur bewusst werden –
genauso unsolidarisch wie demonstrativ auf Nachbarsitzen platzierte
Gepäckstücke in rappelvollen Zügen. Oder erst recht: wie alle
[6][Erste-Klasse-Waggons]. Sie dienen nichts anderem als der Ausgrenzung.
Nicht die, die einen Sitzplatz nötig haben, bekommen einen. Sondern die,
die dafür zahlen können.
Früher hing in allen Bussen und Bahnen der vielleicht moralinsaure, aber
dennoch treffende Hinweis: „Ich bin jung und mache gerne Platz“. Heute
steht kein Schwein mehr auf, wenn der Vater mit dem Kleinkind kommt oder
die alte Dame mit dem Krückstock. Platz machen? Wieso denn? Ich hab doch
teuer dafür bezahlt. Und wer zu spät kommt, um eine Reservierung zu
ergattern, den bestraft die Ignoranz der anderen.
## 4. Sitzplatzreservierungen sind das Gegenteil von Flexibilität
Immer wieder ist die Forderung zu hören, dass die Bahn die
Sitzplatzreservierung doch automatisch in den Fahrpreis einkalkulieren
solle. So, wie das bei Flugreisen ist. Und in anderen Ländern ja auch. Aber
Flugreisen sind ja schon qua Ökobilanz unsozial. Und der Sitzplatzzwang in
Nachbarländern degradiert die Bahnen dort zu einem Verkehrsmittel, das man
nur nach monatelanger Vorplanung oder zu exorbitanten Preisen nutzen kann.
Oder eben gar nicht, weil niemand mehr reingelassen wird, wenn alle
Sitzplätze belegt sind.
In diesem Punkt ist die Deutsche Bahn unschlagbar. Weil man mit Flexpreis –
oder der dank Bahnchaos inzwischen schon regelmäßigen Aufhebung der
Zugbindung – in jeden Zug einsteigen kann, der da gerade kommt, bleibt
Bahnfahren ein Akt der Spontanität, wie sie nicht mal Autofahrer:innen
kennen, weil die dauernd im Stau hängen bleiben.
## 5. Eine Sitzplatzreservierungsverweigerung wäre revolutionär
Konsequent wäre es, wenn die Bahn ein Einsehen hätte [7][und die
Platzresevierungen abschaffen würde]. Aber das wird sie natürlich nicht
tun, solange ihre Mitfahrer:innen noch bereit sind, für eine
Selbstverständlichkeit zu blechen. Also Bahnreisende aller Bundesländer:
Sagt Nein! Seid nicht so reserviert! Fahrt ohne Ticket für den Platz! Eins
für den Zug reicht allemal. Das ist recht und billig.
Laut einem Bonmot von Lenin brauchten die Deutschen einst noch eine
Bahnsteigkarte, bevor sie mit revolutionärem Gelüste einen Bahnhof gestürmt
hätten. Heute braucht man für eine kleine Bahnrevolution nur noch keine
Sitzplatzreservierung. Wenn das mal kein Fortschritt ist.
27 Jun 2025
## LINKS
[1] /Abschaffung-der-Familienreservierung/!6095000
[2] https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/deutsche-bahn-db-will-im-fern…
[3] /Klimafreundliche-Mobilitaet/!6096915
[4] /Bahnfahrten-im-Rollstuhl/!5651027
[5] /Petition-der-Woche/!5833595
[6] /Bahnfahrerinnen-im-Rollstuhl/!5889387
[7] /Guenstige-Sitzplaetze-bei-DB/!6092654
## AUTOREN
Gereon Asmuth
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