# taz.de -- Abschaffung der Familienreservierung: Wie kriegt die Bahn das bloß… | |
> Die DB hat sich selbst ein Aufregerthema ins Nest gelegt: Seit Sonntag | |
> zahlen Familien mehr für reservierte Sitzplätze. Was reisende Eltern dazu | |
> sagen. | |
Bild: „Bitte alle einsteigen“? Für viele Familien fühlt sich Bahnfahren g… | |
Berlin taz | Vor einer der gläsernen Aufzugröhren im Untergeschoss des | |
Berliner Hauptbahnhofs wartet an diesem Sonntag ein Vater, er deutet auf | |
seine zwei Kleinkinder: „Die kann ich nicht einfach im nächsten Waggon | |
parken“, sagt er, während sein Sohn sich den Träger seines Koalarucksacks | |
in den Mund stopft. „Wir sind darauf angewiesen, zusammenzusitzen.“ | |
Für die Sicherheit, zusammensitzen zu können, müssen Familien ab sofort | |
deutlich mehr zahlen. Mit dem Fahrplanwechsel am 15. Juni hat [1][die | |
Deutsche Bahn die sogenannte Familienreservierung abgeschafft]. Bisher | |
konnten Familien mit bis zu fünf Personen für 10,40 Euro Plätze | |
reservieren. Jetzt kostet der sichere Platz für jedes einzelne Kind 5,50 | |
Euro. Eine vierköpfige Familie zahlt also 22 Euro für Sitzplätze statt wie | |
bisher 10,40 Euro. 44 Euro sind das für Hin- und Rückweg – losgefahren ist | |
man für das Geld noch nicht. | |
Vor der Eingangshalle des Bahnhofs schreit ein Amateurmusiker in sein | |
Mikrofon, während am Himmel die Sonne brennt. Um 11 Uhr sind es bereits | |
beinahe 30 Grad, die Fahrgäste eilen ins Innere. Flixtrain plakatiert auf | |
einem Banner: „Janz entspannt reisen mit garantiertem Sitzplatz.“ Beim | |
Deutsche-Bahn-Konkurrenten ist die Reservierung fest ins Ticket | |
eingepreist, ohne irgendwelche Rabatte. | |
Haben die Menschen hier von den Änderungen bei den Familienreservierungen | |
gehört? Eine Gruppe Frauen antwortet mit ratlosen Blicken. „Wo ist die | |
Spree?“, fragen sie stattdessen, sie wollen das Mädelswochenende noch | |
ausklingen lassen. Ein Vater hockt mit seiner Tochter auf dem am Boden | |
liegenden Koffer, von den Änderungen habe er nichts mitbekommen. „Wir | |
nehmen lieber das Auto“, sagt er und guckt, als würde er die Entscheidung, | |
seine Tochter diesmal mit der Bahn vom Sportevent abgeholt zu haben, schon | |
bereuen, ehe er in den Zug gestiegen ist. | |
Der nächste Mann mit Kind an der Hand winkt gleich ab, als er von den | |
Preisänderungen hört. Bahn fahren mit der Familie? „Ganz ehrlich, den | |
Stress würde ich mir nicht antun“, sagt er und zeigt auf die ältere Frau | |
vor sich. „Ich bringe nur meine Tante zur Bahn.“ Man bekommt den Eindruck, | |
der Bahnhof ist voller Leute, die gar nicht hier sein wollen. | |
Eigentlich will die Deutsche Bahn attraktiver werden, neue Fahrgäste | |
gewinnen. Die Auslastung in den ICEs und ICs lag in den ersten vier Monaten | |
des Jahres bei 44 Prozent. Angestrebt sind 50 Prozent. Der Konzern wirbt | |
deshalb mit Rabattaktionen für Jung, Alt oder Geschäftsreisende um neue | |
Kunden. In den letzten Jahren wurde die Bahn immer wieder gezielt als | |
familienfreundliches Verkehrsmittel angepriesen. Auf einem Plakat schmusen | |
Mutter und Tochter innig im ICE. „Diese Zeit gehört Dir“, lautet der | |
Slogan. Auf einem anderen starrt ein Junge aus dem Fenster. „‚Ah!‘ und | |
‚Oh!‘ statt ‚Wann sind wir ’n da?‘“, verspricht die Bahn. Schlecht,… | |
Familien sich jetzt überlegen, lieber das Auto zu nehmen, weil Zugfahren | |
teurer ist als die Tankfüllung. | |
Der Vater am Aufzug des Berliner Hauptbahnhofs fährt mit seinen zwei | |
Kindern zurück nach Hamburg. Er sagt, die ständigen Preissteigerungen auch | |
bei den Tickets könne sich der Konzern nur leisten, weil es keine wirkliche | |
Konkurrenz gebe. „Im Endeffekt ist das mit den Sitzplätzen eine | |
Preiserhöhung für Familien.“ Macht ihn das wütend? Schulterzucken, seine | |
Erwartungen an die Deutsche Bahn seien eh gering. | |
Bei der Familie aus Saarbrücken auf Gleis 5 ist das ähnlich. Sie sitzen | |
noch nicht im Zug, aber machen sich schon Sorgen, dass sie den Anschluss in | |
Mannheim verpassen. „Das ist ein Nadelöhr, wenn da was passiert, läuft im | |
Süden nichts mehr“, sagt der Vater. Beruflich sei er viel mit der Bahn | |
unterwegs, aber mit der Familie nehme er lieber das Auto. An diesem | |
Wochenende sind sie für ein Kinderkonzert mit der Bahn quer durchs Land | |
gefahren. Dikka, ein rappendes Nashorn, ist in Berlin aufgetreten. Mit den | |
neuen Sitzplatzpreisen werden sie jedes Mal abwägen, welches Verkehrsmittel | |
günstiger ist, Bahn oder Auto, sagt er. | |
Die Deutsche Bahn teilt mit, dass sie ihre Angebote angesichts der | |
angespannten Lage wirtschaftlich tragbar gestalten müsse. Kinder und | |
Jugendliche bis 14 Jahren sollen in Begleitung ihrer Eltern weiterhin | |
kostenlos fahren dürfen – aber eben nicht mehr kostenlos sitzen. Fünf | |
Prozent der Gäste im Fernverkehr hätten die Familienreservierung bislang | |
genutzt. Davon seien ein großer Teil Erwachsene, die ohnehin nur mit einem | |
Kind reisen würden. Für sie ändere sich rechnerisch nichts. Laut Bahn | |
treffen die Änderungen also nur eine kleine Gruppe der Reisenden. Kann die | |
Bahn mit der Abschaffung der Familienreservierung dann überhaupt [2][ihre | |
leeren Kassen] auffüllen? Oder haut sie sich mit dieser Sparmaßnahme nur | |
eine weitere Delle in [3][ihr miserables Image]? | |
Familie Manka auf Gleis 5 hat heute Morgen zum ersten Mal den neuen | |
Sitzplatztarif bezahlt. Wie fühlt sich das an? Herr Manka streckt den | |
Daumen in die Luft: „Finden wir super!“ – Er versucht es mit Ironie. Sie | |
seien wegen der Sportwettkämpfe der drei Töchter oft mit der Bahn | |
unterwegs. Auch an diesem Wochenende haben sie ihre älteste Tochter beim | |
Schwimmen in Berlin angefeuert. Fahren sie dann bald mit dem Auto durchs | |
Land? Vater Manka schüttelt den Kopf. Vier Stunden Fahrzeit statt sechs | |
Stunden mit dem Auto. „Da ist die Bahn unschlagbar.“ – „Aber auf dem Hi… | |
hatten wir eine Verspätung“, erinnert ihn seine Frau. | |
Die Bundesregierung [4][reagierte empört auf die Streichung der | |
Familienreservierungen]. Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) | |
nannte die Entscheidung gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland ein | |
„falsches Signal“, gerade in der Haupturlaubszeit und während viel getan | |
werde, um das Bahnfahren attraktiver zu machen. Bundesumweltminister | |
Carsten Schneider (SPD) sagte der Funke Mediengruppe: „Da ist die Bahn | |
völlig falsch abgebogen.“ Für die Umwelt sei es wichtig, dass Bahnfahren | |
attraktiv sei. Er forderte die Bahn auf, den Schritt noch mal zu | |
überdenken. | |
Auf Gleis 5 kommt Unruhe auf, die Sitzplatzreservierungen wurden für den | |
gesamten Zug aufgehoben. Doch die Mankas sind eingespielt. Frau Manka sagt, | |
dass sie sich das Geld zurückholt. Die Tochter klemmt sich ihre Tasche | |
unter den Arm und gibt den Koffer ihrer Mutter, um vorzupreschen, sobald | |
der Zug einfährt und Plätze für ihre Familie zu sichern. | |
Der ökologisch orientierte Verkehrsclub Deutschland hat gegen die | |
Streichung der Familienreservierung [5][eine Petition gestartet]. Die | |
höheren Kosten könnten Familien abschrecken, für die nächste Reise die | |
klimaschonende Bahn zu nehmen. Gerade Familien mit wenig Einkommen träfen | |
die Änderungen besonders hart, heißt es darin. Bis Mittwoch hatten bereits | |
über 100.000 Menschen die Petition unterzeichnet. | |
Dann wird ein spontaner Gleiswechsel angekündigt. Eltern mit Kindern, vorne | |
umgebunden, hinten drangeschnallt, an Händen festgehalten, stürzen die | |
Rolltreppen hoch, Richtung Gleis 7. Ihnen bleiben vier Minuten bis der Zug | |
abfahren soll. | |
19 Jun 2025 | |
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[4] /Union-und-SPD-kritisieren-Bahn/!6093929 | |
[5] https://weact.campact.de/petitions/die-familienreservierung-der-bahn-muss-b… | |
## AUTOREN | |
Sophie Fichtner | |
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