# taz.de -- Flüchtlingslager in Eisenhüttenstadt: Drehtür Dublin-Zentrum | |
> Die Zustände in Eisenhüttenstadt sind so katastrophal, dass viele | |
> Geflüchtete abtauchen. Und wer abgeschoben wird, flieht schnell zurück | |
> nach Deutschland. | |
Bild: Blick in ein Zimmer in „Eisen“, wie die Geflüchteten das Lager in Ei… | |
Berlin taz | Das offizielle Ziel, mit dem das Dublin-Zentrum in | |
Eisenhüttenstadt [1][Mitte März eröffnet wurde], war schlicht: | |
„Überstellungen“ von Flüchtlingen in andere EU-Länder sollten deutlich | |
schneller werden, 14 Tage wurden veranschlagt. Zugleich sollten die | |
Dublin-Leute nur noch „Brot, Bett und Seife“ bekommen. Mit der Ankündigung | |
wollte die alte Bundesregierung noch einmal punkten im | |
Überbietungswettbewerb der Parteien um die härteste Antimigrationspolitik. | |
Drei Monate später steht fest: Von schnelleren Abschiebungen kann keine | |
Rede sein. Stattdessen passiert, was Flüchtlings- und | |
Menschenrechtsorganisationen von Beginn an befürchtet hatten – und was | |
womöglich auch der eigentliche Zweck der Dublin-Zentren ist, [2][von denen | |
es ein weiteres in Hamburg gibt]: Geflüchtete werden durch die | |
Herbeiführung menschenunwürdiger Zustände dazu getrieben unterzutauchen. | |
60 Personen wurden seit der Eröffnung in das Zentrum eingewiesen, erklärt | |
das Brandenburger Innenministerium auf taz-Anfrage. „Überstellt“, also | |
abgeschoben, wurden in der Zeit nur drei Menschen – nach Polen. Seit Mitte | |
April wurde niemand mehr weggebracht, denn seither seien alle | |
„Rückführungsversuche“ daran gescheitert, so ein Sprecher, „dass die | |
betroffenen Personen untergetaucht sind oder sich im Kirchenasyl befinden.“ | |
Zum Stichtag 16. Juni lebten laut Ministerium 23 Menschen im | |
Dublin-Zentrum. Weit mehr als die Hälfte ist also aus dem Lager geflohen. | |
Dass die Unterbringungszahlen insgesamt so gering sind, erklärt das | |
Ministerium mit den Grenzkontrollen seit Herbst 2023 sowie den verstärkten | |
Zurückweisungen seit Anfang Mai. | |
## Die Zustände angeprangert | |
Auch Mo und Maria – die Namen sind zu ihrem Schutz geändert – sind raus. | |
Nach drei Monaten in „Eisen“, wie die Flüchtlinge das Lager nennen, haben | |
sie mithilfe von Unterstützern Platz im Kirchenasyl bekommen. Vor ein paar | |
Wochen haben Mo und Maria mit anderen aus dem Dublin-Zentrum [3][in einem | |
offenen Brief die Zustände angeprangert]. In der Hoffnung, dass sich für | |
die Leute, die nach ihnen kommen, etwas verbessert, sagt Mo. | |
Das Medieninteresse sei groß, erzählt Sonkeng Tegouffo vom Brandenburger | |
Flüchtlingsrat. An diesem Tag Mitte Juni sind Mo und Maria nach Berlin | |
gekommen, um mit Arte und der taz zu sprechen. | |
Mo hat eine lange Flucht aus Sudan hinter sich und war zunächst in der | |
Erstaufnahmeeinrichtung von Eisenhüttenstadt auf demselben Gelände | |
untergebracht. Dann kam er in ein Flüchtlingsheim im nahegelegenen | |
Frankfurt an der Oder. Nach vier Monaten wurde er zurückgeschickt – ins neu | |
eingerichtete Dublin-Zentrum. Die Flüchtlinge dort haben ein „D“ auf ihrer | |
Karte, mit der die Anwesenheit im Lager elektronisch erfasst wird. Sie | |
schlafen in gesonderten Gebäuden und haben weniger Rechte. | |
Mo erzählt: „Die Lebensumstände sind schrecklich. Wir bekommen kein Geld, | |
dürfen die Stadt nicht verlassen. Man geht hungrig ins Bett, das Abendessen | |
ist um halb fünf und besteht nur aus 2 Scheiben Brot. Mindestens einmal die | |
Woche kommt die Polizei, um Leute zur Abschiebung zu holen. Niemand kann | |
richtig schlafen aus Angst.“ Maria bestätigt seine Schilderung. „Die ganze | |
Situation zerstört unsere mentale Gesundheit“, sagt sie. | |
## Oft findet die Polizei die Leute nicht | |
Auch Mo hat wahrgenommen, dass die Polizei oft nicht die Leute findet, die | |
sie sucht. Seit Kurzem drohe sie daher mit Strafe, wenn die Leute in der | |
Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr nicht im Heim angetroffen werden. „Sie gaben uns | |
ein Dokument, in dem stand, man lande im Abschiebegefängnis, wenn sie kämen | |
und man sei nicht da.“ Der taz liegt so eine „Nachtzeitverfügung“ in Kop… | |
vor. | |
Doch selbst solche Bedingungen bringen die Menschen nicht dazu, nach Polen | |
(zurück) zu gehen. „Dort ist alles noch schlimmer“, sagt Maria. Sie war | |
dort vier Monate in einem der berüchtigten geschlossenen Lager. „Es ist wie | |
ein Gefängnis“, berichtet sie. Eine Stunde Hofgang, eine Stunde | |
Internetzugang pro Tag, keine Smartphones, mit denen man Fotos machen | |
könnte. | |
Erst nach dem zweiten Selbstmordversuch sei sie rausgekommen, in ein | |
offenes Camp in Warschau, erzählt Maria. Doch trotz Arbeitserlaubnis habe | |
sie keinen Job gefunden – und vom Staat gebe es pro Monat nur 20 Euro | |
Taschengeld. Auch das Essen sei in Polen noch schlechter als in | |
Deutschland, „nur eine Scheibe Brot, ganz kleine Portionen“. | |
Die völlige Perspektivlosigkeit brachte Maria, die allein aus Pakistan nach | |
Europa geflohen ist, nach Deutschland. Beim ersten Mal wurde sie in | |
Frankfurt von der Polizei geschnappt und zurückgeschickt. Nach drei | |
weiteren Monaten im Camp in Warschau wagte sie es erneut und schaffte es | |
bis Berlin, wo sie sich asylsuchend meldete – und in „Eisen“ landete. „… | |
gehe nicht zurück nach Polen, niemals“, sagt sie. | |
## Die Abgeschobenen sind zurück | |
Viele Geflüchtete sehen es wie sie und versuchen nach einer Zurückweisung | |
oder Abschiebung erneut über die Grenze nach Deutschland zu kommen. Auch | |
die drei im April aus dem Dublin-Zentrum Abgeschobenen sind nach | |
taz-Informationen wieder in Deutschland. In der [4][Zentralen | |
Ausländerbehörde in Eisenhüttenstadt] werden solche Geflüchteten | |
„Drehtürfälle“ genannt. | |
Bei der Suche nach Hilfe wenden sich viele der im Dublin-Zentrum | |
Gestrandeten an den Brandenburger Flüchtlingsrat, der regelmäßig Workshops | |
und Beratung in „Eisen“ anbietet, wie Sonkeng Tegouffo berichtet. Einigen | |
wenigen gelingt es, ins Kirchenasyl zu kommen, wie Mo und Maria. Manche | |
sagen, sie würden versuchen, nach Großbritannien zu gehen – [5][eine | |
lebensgefährliche Reise], aber dort gelten die Dublin-Regelungen der EU | |
nicht. „Andere verschwinden einfach“, so Tegouffo. | |
Und genau dies, kritisiert der Flüchtlingsrat, sei das Ziel der | |
Dublin-Zentren: Zustände zu produzieren, die die Menschen nicht mehr | |
aushalten können, sodass sie „freiwillig“ gehen. Nur eben nicht nach Polen, | |
sondern in die Illegalität. | |
Aber womöglich, befürchtet Tegouffo, sind die Dublin-Zentren in | |
Eisenhüttenstadt und Hamburg nur der Anfang. „Meine Vermutung: Sie testen | |
hier, was man mit einer Verschlechterung der Lebensbedingungen so erreichen | |
kann und ob das ‚rechtssicher‘ ist – und dann wenden sie es bei allen | |
geflüchteten Menschen an.“ | |
Der neue Innenminister von Brandenburg, René Wilke (parteilos), lässt | |
derzeit laut einem Sprecher „intensiv prüfen“, wie es mit dem | |
Dublin-Zentrum weitergeht – weil es „seine Funktion nicht erfüllt“. Dies | |
könnte sich bald ändern: Aufgrund eines [6][Urteils des Berliner | |
Verwaltungsgerichts], dass Zurückweisungen an der Grenze unrechtmäßig sind | |
und jeder Einzelfall geprüft werden muss, steht zu befürchten, dass es in | |
„Eisen“ bald voller wird. | |
24 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Abschiebezentren-fuer-Dublin-Fluechtlinge/!6066894 | |
[2] /Urteil-in-Hamburg/!6083203 | |
[3] /Dublin-Zentrum-Eisenhuettenstadt/!6088700 | |
[4] /Erstaufnahmeeinrichtung-Eisenhuettenstadt/!5959279 | |
[5] /Migration-auf-dem-Aermelkanal/!6056304 | |
[6] /Urteil-zu-Asylpolitik/!6088379 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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