# taz.de -- Geflüchtete in Berlin: Schuldenfalle Wohnheim | |
> Eine neue Gebührenverordnung für die Unterbringung von Geflüchteten soll | |
> die Verwaltung entlasten. Vom Berliner Flüchtlingsrat kommt massive | |
> Kritik. | |
Bild: Umstrittene Massenunterkunft: Der ehemalige Flughafen Tegel soll bis 2031… | |
Berlin taz | Der Berliner Flüchtlingsrat schlägt Alarm. Seinen Angaben | |
zufolge müssen sich Bewohner von Flüchtlings- und Obdachlosenunterkünften | |
teilweise massiv verschulden – ohne dass sie selbst etwas dafür können. Die | |
Rede ist von fünfstelligen Summen. Der Grund: die sukzessive Einführung | |
einer neuen – Achtung: Wortungetüm – Unterbringungsgebührenverordnung. | |
„Dieses neue System gefährdet Existenzen und lähmt die ohnehin schon | |
überforderte Verwaltung“, warnt Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat. Die | |
Initiative fordert deshalb den Senat auf, „die Verordnung umgehend zu | |
überarbeiten“. | |
Worum geht es genau? Bisher bekamen Bewohner [1][vom Landesamt für | |
Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)] oder vom Bezirk einen | |
Kostenübernahmeschein für ein Wohnheim, den sie dort abgeben mussten. Die | |
Unterkünfte holten sich das Geld anschließend von den Behörden. Seit diesem | |
Jahr ist es umgekehrt. Die Bewohner sollen die Unterkünfte entweder selbst | |
zahlen oder sich mit dem Einzug in eine Unterkunft verschulden – und sich | |
dann hinterher das Geld zurückholen. | |
Die Kosten für die Bewohner sind teils exorbitant: Pro Monat und pro Person | |
bezahlen sie seit der neuen Verordnung einen einheitlichen Satz von 763 pro | |
Monat – selbst, wenn die Übernachtungsmöglichkeit nur aus einem Bett in | |
einer Schlafwabe [2][in der umstrittenen Massenunterkunft Tegel] besteht. | |
Für eine vierköpfige Familie fallen so gut 3.000 Euro im Monat an. Zuvor | |
waren die Kosten in jeder Unterkunft unterschiedlich. | |
## Fehlende Verwaltungsvorschrift | |
Zwar gibt es auch Ermäßigungen, etwa für Flüchtlinge, die arbeiten. Damit | |
sich für sie die Annahme eines Jobs lohnt, zahlen sie „nur“ 305 Euro im | |
Monat. Das klappt allerdings nur in der Theorie. In der Praxis ist die dazu | |
nötige Verwaltungsvorschrift noch nicht fertig, wie Julia Stadtfeld von der | |
Senatsverwaltung für Soziales der taz bestätigt. Die Ermäßigung soll aber | |
rückwirkend geltend gemacht werden können, falls die Bewohner einen | |
entsprechenden Antrag rechtzeitig gestellt haben, sagt Stadtfeld. | |
Die Unterbringungskosten sind so hoch, weil in Wohnheimen anders als in | |
regulären Wohnungen erhebliche Personalkosten anfallen. Etwa für die | |
Essensausgabe, wenn dort nicht selbst gekocht werden kann. Oder für den | |
Wachschutz. Oder die dort geleistete soziale Arbeit. Zudem verlangen | |
Vermieter von den Wohnheimbetreibern oft völlig überteuerte Mieten. Das | |
bekannteste Beispiel hierfür ist die Unterkunft auf dem ehemaligen | |
Flughafen Tegel. | |
Der Flüchtlingsrat befürchtet zudem, dass das neue System viele Flüchtlinge | |
überfordert, vor allem diejenigen, die neu in Deutschland sind und die | |
Behördenabläufe nicht kennen. Aber auch die Behörden selbst seien | |
überlastet. Die Anträge auf Kostenübernahme würden sehr verspätet | |
bearbeitet, und Anträge auf Ermäßigung noch gar nicht, weil die | |
Verwaltungsvorschrift fehlt, sagt Emily Barnickel. Dennoch gingen schon | |
heute Mahnbescheide raus, wenn Bewohner den erhöhten Betrag nicht bezahlt | |
haben, so Barnickel. | |
Julia Stadtfeld von der Sozialverwaltung spricht im Gegenteil von einer | |
Verwaltungsvereinfachung, insbesondere für die Jobcenter. Auch die | |
Heimbetreiber hätten nun weniger Verwaltungsaufwand. Das neue Prozedere sei | |
eingeführt worden, weil „eine Bundesbeteiligung bei den Kosten für die | |
Unterbringung teilweise gefährdet gewesen“ war. | |
## Sozialverwaltung: Verschuldungen nicht bekannt | |
Von einer Verschuldung vieler Bewohner, wie vom Flüchtlingsrat berichtet, | |
sei der Verwaltung von Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) nichts | |
bekannt. Dies könne nur passieren, wenn „der Gebührenbescheid nicht | |
rechtzeitig bei der Leistungsstelle eingereicht wird“, sagt Stadtfeld. | |
Wie die Verwaltung auf die Behauptung kommt, Wohnheimbetreiber würden | |
entlastet, bleibt ihr Geheimnis. Bei der Arbeiterwohlfahrt, [3][die in | |
Berlin mehrere Unterkünfte betreibt], sieht man das jedenfalls anders. | |
Manfred Nowak von der AWO Berlin-Mitte sagt: „Für uns bedeutet das | |
eindeutig und ganz klar ein Mehr an Verwaltungsaufwand.“ Sein Verband sei | |
gerade dabei, eine Position zu der neuen Verordnung zu erarbeiten. | |
Der Flüchtlingsrat sieht ein weiteres Problem: Wenn Bewohner von | |
Flüchtlings- und Obdachlosenunterkünften eine Wohnung finden, benötigen sie | |
eine Mietschuldenfreiheitsbescheinigung. „Aber aufgrund der unklaren | |
Zuständigkeiten und möglicherweise auch angelaufener Schulden weigern sich | |
mittlerweile Betreiber von Unterkünften, diese auszustellen.“ | |
Die Folge: Die gefundene Wohnung kann nicht bezogen werden. Die | |
Senatsverwaltung beteuert zwar, dass das LAF auf Wunsch eine solche | |
Bescheinigung ausstellen würde. Doch dazu, sagt Emily Barnickel vom | |
Flüchtlingsrat, müssten die Betroffenen erst einmal einen Termin in der | |
ohnehin überlasteten Behörde bekommen. Warten die Vermieter von Wohnungen | |
so lange? | |
„Eine sozial gerechte Unterbringung darf nicht zur Schuldenfalle werden“, | |
fordert der Flüchtlingsrat. Viele Bewohner sähen sich außerstande, die | |
Anträge und Nachweisen in den kurzen Fristen einzureichen – insbesondere, | |
wenn die Ämter Bescheide rückwirkend für mehrere Monate ausstellen, sagt | |
Barnickel. Da sei in Berlin mit den ohnehin überforderten Verwaltungen das | |
Chaos programmiert. | |
26 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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