# taz.de -- Neue Flüchtlingsunterkunft in Kreuzberg: Sie wollen das schaffen | |
> Bei einer Infoveranstaltung zeigen sich die Kreuzberger grundsätzlich | |
> erfreut über eine geplante Flüchtlingsunterkunft – haben aber auch | |
> Kritik. | |
Bild: Das ehemalige Gebäude der deutschen Rentenversicherung an der Hasenheide… | |
Normalerweise gibt es Ärger, wenn eine neue Flüchtlingsunterkunft eröffnen | |
soll. Auf Infoveranstaltungen für Anwohner, die das Landesflüchtlingsamt | |
(LAF) seit einigen Jahren vorab anbietet, geht es oft hoch her. Mal werden | |
Ängste vor steigender Kriminalität geäußert, oft geschürt von rechten | |
Politikern. Oder es gibt Sorgen um eine Überlastung der Spielplätze, Kitas | |
und Schulen in der Umgebung. Oder Beschwerden über wegfallende Parkplätze, | |
wie in der vergangenen Woche in Neukölln im Fall einer Containersiedlung, | |
die am Britzer Garten entstehen soll. | |
In Kreuzberg ist bekanntlich alles anders. Dass der Ruf als weltoffener | |
Multikulti-Stadtteil nicht von ungefähr kommt, zeigte sich am Montagabend | |
in der Aula der Carl-von-Ossietzky-Gemeinschaftsschule, als das LAF über | |
die Erstaufnahmeeinrichtung an der Hasenheide informierte, die Anfang 2027 | |
eröffnen soll. | |
Gleich am Eingang hatte sich das [1][„Willkommensbündnis Hasenheide“] mit | |
Flyern postiert – im März dieses Jahres gegründet, hat es schon jetzt fast | |
50 aktive Mitglieder. | |
Die Stimmung unter den etwa 120 Besuchern war zu Beginn zwar etwas | |
gespannt. Aber grundsätzlich, das wurde im Verlauf des Abends deutlich, | |
stößt das Unterfangen im Kiez auf Zustimmung – zumindest bei jenen, die | |
sich in die Aula bemüht hatten. | |
Kritik gab es trotzdem, vor allem an der „Lagerschule“ mit zwölf | |
Willkommensklassen, die in dem Gebäudekomplex, in dem früher die | |
Rentenversicherung residierte, geplant ist. Das LAF geht davon aus, dass | |
von den 760 Geflüchteten, die dort unterkommen sollen, etwa ein Drittel | |
Kinder und Jugendliche sein werden. | |
Man sorge sich um deren „psychische Gesundheit“, wenn die Kinder nicht | |
einmal zum Schulbesuch das Gebäude und die mutmaßlich beengten | |
Wohnverhältnisse verlassen könnten, sagte eine Vertreterin des | |
Willkommensbündnisses gleich zu Beginn der Fragerunde. Eine andere | |
Anwohnerin fragte, wieso die nahe Reinhardswald-Grundschule geschlossen | |
werden soll, wenn es in anderen Schulen keinen Platz für weitere | |
Willkommensklassen gebe. | |
Friedrichshain-Kreuzbergs Schulstadtrat Andy Hehmke (SPD) erklärte, die | |
Schulschließung sei unumgänglich wegen des „baulich prekären Zustands“. | |
Ansonsten stimmte er – wie auch Sozialstaatssekretär Aziz Bozkurt (SPD) – | |
zu, dass eine Beschulung in dem Flüchtlingsheim schlecht sei. Bozkurt hält | |
das sogar für „grundsätzlich falsch“, dennoch sei eine „Notfall-Schule�… | |
besser als gar keine. Man dürfe auch nicht vergessen, dass die Einrichtung | |
eine Erstaufnahme werde, sagte Bozkurt. Nach sechs Monaten spätestens | |
sollten die Bewohner in eine Gemeinschaftsunterkunft umziehen. | |
Einem weiteren Aufreger versuchte Bozkurt den Wind aus den Segeln zu | |
nehmen, indem er erklärte, ob es die ebenfalls im Gebäude geplante | |
Erstaufnahme- und Clearingstelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge | |
(UMF) mit 163 Plätzen wirklich geben werde, sei derzeit noch offen. Man | |
habe die Kritik daran zur Kenntnis genommen. Der Flüchtlingsrat, das | |
Berliner Netzwerk für besonders Schutzbedürftige (BNS) und andere hatten | |
die gemeinsame Unterbringung von erwachsenen Flüchtlingen und UMF moniert, | |
überhaupt sei eine „Großunterkunft“ nicht für UMF geeignet. | |
Auch Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne) sprach auf der | |
Veranstaltung in diesem Sinne – und bekam dafür viel Applaus. Den | |
„Rückenwind“ durch die Bürger, den Herrmann nach eigener Aussage verspür… | |
nutzte sie geschickt, um ihren Forderungen an den Senat Nachdruck zu | |
verleihen. Zum einen müssten Bezirk und engagierte Zivilgesellschaft | |
„frühzeitig eingebunden“ werden in die weitere Planung, etwa mit Blick auf | |
genügend Aufenthalts- und Spielflächen in und an der Unterkunft. Und: „Wir | |
brauchen 2 Millionen Euro jährlich für Unterstützungsleistungen.“ | |
Damit meint sie Beratungen aller Art, Sprachkurse, aufsuchende Hilfen, | |
Nachbarschaftsangebote, Geld für die bestehende Jugendsozialarbeit im Kiez, | |
die durch die neuen Nachbarn Mehrarbeit bekommen wird. Man dürfe nicht | |
vergessen, so Herrmann, dass der Kiez, die Werner-Düttmann-Siedlung, | |
ohnehin von Armut geprägt sei. Soziale Träger, die deswegen „jetzt schon da | |
sind“, müssten gestärkt werden. Auch dafür gab es viel Applaus. | |
Ob das Geld in den aktuellen Haushaltsverhandlungen bereitgestellt wird? | |
Bozkurt verwies lediglich darauf, dass seine Senatorin Cansel Kiziltepe | |
(SPD) eine „Gemeinschaftspauschale“ möchte, mit der die Bezirke für jeden | |
Flüchtling, den sie unterbringen, zusätzliches Geld für soziale | |
Infrastruktur bekommen. „Eine tolle Idee“, findet er. Ob sie verwirklicht | |
wird, sei aber nicht geklärt. | |
Der Sprecher des LAF, Sascha Langenbach, zeigte sich im Anschluss erfreut | |
über den Verlauf des Abends. Es sei schon etwas besonderes, „dass | |
Geflüchtete grundsätzlich willkommen geheißen werden, dass über Angebote | |
zur Integration gesprochen wird anstelle von pauschaler Ablehnung“, sagte | |
der er taz. | |
Auch das Willkommensbündnis verbuchte die konstruktive Diskussion als | |
positiv. Man sei aufgrund früherer Erfahrungen des LAF mit solchen | |
Informationsveranstaltungen darauf eingestellt gewesen, eventuell auf | |
rechte Störungen reagieren zu müssen. „Wir finden es sehr erfreulich, dass | |
es dazu nicht gekommen ist“, sagte ein Mitglied des Bündnisses der taz. | |
Weniger erfreulich sei jedoch das „Gesamtbild“, das sich aus den bisherigen | |
Informationen ergebe. Vor allem „zeichnet für uns leider ein Bild ab, nach | |
dem über die Mindestversorgung hinaus keine Mittel verfügbar sind und eine | |
Integration erschwert wird“. Neben den nicht abgeschlossenen | |
Haushaltsverhandlungen liege dies wohl auch an der Einstufung der | |
Unterkunft als Erstaufnahme. | |
Die damit verbundene Vorstellung, dass die Menschen jeweils nur wenige | |
Wochen bis zu sechs Monaten an der Hasenheide wohnen werden, entspreche | |
aber nicht den Erfahrungen aus anderen LAF-Standorten, so das | |
Bündnis-Mitglied. Oft blieben die Menschen weit länger. | |
Umso wichtier seien „deutlich über Mindeststandards hinausgehende | |
Bedingungen“ in der Unterkunft sowie finanzielle und organisatorische | |
Unterstützung „der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure in | |
Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln, die sich einbringen wollen“. | |
1 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://willkommen-hasenheide.de/ | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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