# taz.de -- Hitzewellen sind das neue „Normal“: Werde cooler, Deutschland | |
> Bis zu 40 Grad in Deutschland, doch noch immer ist das Land schlecht auf | |
> solche Temperaturen vorbereitet. Schon jetzt gibt es mehr Hitze- als | |
> Verkehrstote. | |
Bild: Deutschland ist eine Baustelle, gerne auch im Sommer. Doch auch für Stra… | |
Berlin taz | Die Hitzewelle in Deutschland erreicht am Mittwoch ihren | |
Höhepunkt. Laut dem Deutschen Wetterdienst (DWD) hat sich eine sehr heiße | |
Luftmasse aus Südwesteuropa über Deutschland breitgemacht und heizt sich | |
vor Ort weiter auf. „Am Mittwoch erreicht die Hitze ihre maximale | |
Ausprägung mit verbreitet Höchstwerten von 33 bis 40 Grad“, sagt der | |
Meteorologe Marco Manitta. | |
Die Klimaerhitzung hat Hitzewellen in Europa in den letzten Jahrzehnten | |
bereits verstärkt. Auch die weitere Entwicklung ist gut belegt: | |
Klimamodelle sagen voraus, dass Hitzewellen wie dieser Tage in der zweiten | |
Hälfte unseres Jahrhunderts das neue „Normal“ in Deutschland werden. Und | |
damit auch die bei diesen Temperaturen einhergehenden Gesundheitsgefahren. | |
„27 Wege, auf denen dich eine Hitzewelle töten kann“, [1][titelte ein | |
vielbeachteter Aufsatz, den US-Mediziner 2017 veröffentlichten]. Darin | |
zählen sie jene physiologischen Mechanismen auf, durch die hohe | |
Temperaturen zur tödlichen Falle werden. „Der Mensch ist anfälliger für | |
Hitze, als die meisten Leute denken“, erklärte Hauptautor Camilo Mora von | |
der University of Hawaii. | |
Besonders gefährdet seien Kranke, Alte und Kinder – doch auch junge, | |
gesunde Menschen könnten bei extremer Hitze in Lebensgefahr geraten. | |
Angesichts dessen, so Mora, „ist es bemerkenswert, welche Gleichgültigkeit | |
die Menschheit gegenüber den Gefahren eines fortschreitenden Klimawandels | |
an den Tag legt“. | |
## Bei Luftfeuchtigkeit hilft selbst Trinken nicht | |
Tatsächlich gibt es in Deutschland bereits heute mehr Hitzetote als Opfer | |
im Straßenverkehr: [2][Das Robert-Koch-Institut schätzte ihre Zahl in den | |
vergangenen zwei Jahren auf jeweils etwa 3.000], während Verkehrsunfälle im | |
letzten Jahr 2.780 Menschen das Leben kosteten. | |
Ob wir laufen, nachdenken oder schlafen: Wir Menschen sind Wärmemaschinen, | |
unser Stoffwechsel erzeugt Energie, die wir ab 30 Grad Außentemperatur nur | |
durch Schwitzen abführen können: Dafür braucht es ein funktionierendes | |
Herz-Kreislauf-System, gesunde Nieren, eine intakte Lunge und viel Wasser. | |
Ein gesunder Mensch kann bis zu einem Liter Flüssigkeit pro Stunde | |
verlieren. Ohne Nachschub verdickt das Blut, das Gehirn wird schlechter | |
durchblutet, Schwindel, Sprachstörungen und unsicherer Gang folgen. Bleibt | |
der Wassermangel bestehen, versagen die Nieren, der Körper vergiftet sich – | |
der Tod ist unausweichlich. | |
Doch selbst Trinken hilft nicht, wenn die Luft feucht ist: Bei hoher | |
Luftfeuchte ist unsere Umgebung bereits mit Wasser gesättigt, sie kann kaum | |
noch weiteres aufnehmen. Der Schweiß auf der Körperoberfläche verdunstet | |
nicht mehr, die Notkühlung versagt. Hitzekrämpfe, Hitzeerschöpfung, | |
Hitzekollaps, Hitzschlag drohen. „Gegen Hitze bin ich machtlos“, sagt | |
Andreas Matzarakis, der bis März 2024 das Zentrum für | |
Medizin-Meteorologische Forschung des Deutschen Wetterdiensts in Freiburg | |
leitete. | |
Seit 1951 hat sich die Zahl der Tage mit über 30 Grad in Deutschland um 170 | |
Prozent erhöht. Auch tropische Nächte, in denen die Temperatur nicht unter | |
20 Grad sinkt, nehmen zu. Laut Deutschem Wetterdienst ist Deutschland heute | |
2,5 Grad wärmer als vor der Industrialisierung. Selbst bei einem sofortigen | |
Stopp aller Treibhausgasemissionen werden Hitzewellen in Europa häufiger, | |
wie eine Studie der Universität Hamburg gerade ergab. | |
## In Frankreich können sich Bedürftige registrieren lassen | |
„Es fehlt das Problembewusstsein“, urteilt Henny Annette Grewe vom Public | |
Health Zentrum Fulda. 2003 starben in Mittel- und Westeuropa etwa 70.000 | |
Menschen durch eine Hitzewelle. Doch Deutschland habe daraus kaum | |
Konsequenzen gezogen. „Im Prinzip ist bekannt, was zu tun ist“, sagt Grewe. | |
Gebrechliche, orientierungslose oder demente Menschen bräuchten Betreuung | |
und ausreichend Flüssigkeit. Bettlägerige können – ganz profan – über j… | |
Teil der Körperfläche, der auf der Matratze liegt, keine Hitze abführen. | |
Auch leben alte Menschen nicht selten allein, und soziale Isolation hat | |
sich in vielen Studien als besonderer Risikofaktor bei Hitze | |
herausgestellt. | |
In Frankreich können sich Alte und Kranke registrieren lassen, damit man | |
sie während Hitzewellen betreut. In Deutschland gibt es solche Angebote nur | |
vereinzelt, etwa Telefonservices in Kassel und Köln. „Menschen, die in | |
überhitzten Wohnungen leben müssen, sollten zumindest stundenweise an | |
kühlen Orten Erholung finden können“, sagt Grewe. Doch das erfordert | |
Personal und Geld. „Zwar gibt es mittlerweile in vielen Kommunen | |
Hitzenotfallpläne, oft fehlt es aber im Ernstfall am Geld.“ | |
Langfristig müsse man Städte umbauen, erklärt Grewe. Immer noch würden | |
riesige Glasfassaden gebaut, die dafür sorgen, dass sich Gebäude besonders | |
stark aufheizen können. „Wir brauchen mehr Grün, vor allem in dicht | |
versiegelten Gebieten. Wir brauchen Frischluftschneisen, die die Städte mit | |
kühlerer Luft von außen versorgen. Wir brauchen eine andere Architektur, es | |
wird noch viel zu oft mit den Erfahrungen der kalten Winter gebaut.“ | |
Doch nicht nur Alte und Kranke sind betroffen. [3][Bei der | |
Leichtathletik-WM 2019 in Katar brachen 28 Marathonläuferinnen zusammen] – | |
ein Drittel des Starterfelds. Es herrschten 32,7 Grad bei 73,3 Prozent | |
Luftfeuchtigkeit. Eine Studie aus Frankfurt am Main zeigte, dass | |
Rettungseinsätze in heißen Sommern um bis zu 17 Prozent steigen. | |
Für ganze Berufsgruppen wird die Hitze zur Tortur. „Es ist leichter, sich | |
vor Kälte zu schützen als vor Hitze“, sagt der Kölner Dachdeckermeister | |
Martin Weihsweiler. In den Hitzesommern 2018 und 2019 musste er seine | |
Mitarbeiter mittags nach Hause schicken – die schwarzen Bitumendächer | |
hatten sich auf 70 Grad aufgeheizt. Unter solchen Bedingungen leidet nicht | |
nur die Gesundheit, auch Baumaterialien lassen sich kaum noch verarbeiten. | |
Früher waren Winter die schwierigste Zeit für das Bauhandwerk, heute | |
fordert die Fachgemeinschaft Bau Berlin-Brandenburg, das | |
Saison-Kurzarbeitergeld auf die Sommermonate auszuweiten. Auch Kranführer, | |
Straßenarbeiter, Polizisten oder Feuerwehrleute werden die kommenden Tage | |
leiden: Letztere können ihre isolierende Schutzkleidung ja schlecht | |
ablegen, wenn sie im Einsatz sind. (mit dpa) | |
1 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ahajournals.org/doi/10.1161/circoutcomes.117.004233 | |
[2] https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/12682/EB-19-2025_10-25646-13135… | |
[3] /Zusammenbrueche-bei-Katar-Marathon/!5630588 | |
## AUTOREN | |
Nick Reimer | |
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