# taz.de -- Nördliches Breitmaulnashorn: Noch nicht ganz ausgestorben | |
> Mit im Labor hergestellten Embryonen und Leihmutterschaft wollen | |
> Forschende eine bedrohte Nashornart retten. Wie viel ist der Natur | |
> damit geholfen? | |
Bild: Najin (rechts) und ihre Tochter Fatu sind die letzten beiden Nördlichen … | |
Mit einer weißen Plane bedeckt Thomas Hildebrandt den staubigen Boden. Dann | |
setzt er sich auf eine gelbe Getränkekiste, die an einem Klapptisch mit | |
Bildschirm steht. Das Team des [1][Leibniz-Institut für Zoo- und | |
Wildtierforschung] hat die Szene aus dem Juli 2021 gefilmt, denn der | |
Veterinärmediziner Hildebrandt bereitet hier einen medizinischen Eingriff | |
vor, der über das Überleben einer Art mit entscheiden könnte. | |
Im kenianischen Naturschutzreservat Ol Pejeta ist die Getränkekiste am | |
Klapptisch damals Hildebrandts provisorischer Arbeitsplatz. Von Soldaten | |
beschützt leben hier im Reservat die letzten beiden weiblichen Nördlichen | |
Breitmaulnashörner, Najin und ihre Tochter Fatu. Thomas Hildebrandt fliegt | |
regelmäßig zehn Stunden aus Berlin hierher. Er leitet die Abteilung für | |
Reproduktionsmanagement am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung | |
und will das Nördliche Breitmaulnashorn noch nicht aufgeben. | |
Als 2018 Sudan starb, der letzte Bulle, ging die Nachricht um die Welt. | |
Weil das Schicksal der Unterart besiegelt schien. Aber auch, [2][weil schon | |
damals Ideen öffentlich wurden, wie Najin und Fatu trotzdem Nachwuchs | |
bekommen könnten]. Obwohl beide zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr in | |
der Lage waren, selbst eine Schwangerschaft auszutragen. Die Hoffnung: | |
moderne Reproduktionsmedizin und Stammzellenforschung. | |
Der Plan geht so: Der Nashornkuh Fatu sollen Eizellen entnommen und diese | |
mit den konservierten Spermien bereits verstorbener männlicher Tiere | |
befruchtet werden. Die im Labor so gezüchteten Embryos sollen dann einem | |
Südlichen Breitmaulnashorn als Leihmutter eingesetzt werden. Die | |
entstandenen Retortenhörner würden letztendlich zu einem den Genpool | |
sichernden Bestand gezüchtet und wieder ausgewildert. | |
## Zwei neue Leihmütter warten bereits | |
Heute, im Juni 2025, wurde Embryo Nummer 37 erfolgreich hergestellt. Viele | |
davon lagern in flüssigem Stickstoff bei minus 196 Grad Celsius in Berlin. | |
Am 30. Juni geht es für Thomas Hildebrandt und sein Team von dort aus | |
wieder nach Kenia. Zwei neue Leihmütter warten bereits. Ihnen sollen | |
Embryos eingesetzt werden. | |
Die Eizellen stammen aus Entnahmen wie der, die auf dem Video aus dem Jahr | |
2021 festgehalten ist. Auf der Plane liegt jetzt die betäubte Nashornkuh | |
Fatu. Thomas Hildebrandt und seine Kollegin Susanne Holtze sitzen hinter | |
ihr. Die Tierärztin Susanne Holtze versucht über eine Spritze, die mit | |
dünnen Schläuchen verbunden ist, Fatus Eizellen abzusaugen. | |
Hildebrandt und Holtze starren konzentriert auf den Monitor. „Fangen wir | |
mit dem Follikel hinten an oder mit dem außen?“, fragt Hildebrandt. Seine | |
Kollegin hat wortlos entschieden, und pumpt ein paar Mal mit der Spritze. | |
Die durchsichtige Flüssigkeit in dem Auffangbehälter färbt sich orangerot. | |
Sie reicht die Flasche einem Kollegen weiter. „Schnell, die muss ins | |
Warme.“ | |
## Ist das sinnvoller Artenschutz? | |
Mit sechs Millionen Euro hatte das Forschungsministerium Thomas | |
Hildebrandts Projekt BioRescue gefördert. Dass das Team seitdem über 30 | |
Embryonen erzeugen könnte, ist wissenschaftlich gesehen eine faszinierende | |
Leistung. Aber ist es auch ein wirklich sinnvoller Beitrag zum Artenschutz? | |
Meteoriten, Fluten und Eiszeiten haben im Laufe der Jahrmilliarden schon | |
fünf große Massensterben von Arten ausgelöst. Die Anzeichen verdichten sich | |
[3][auf ein sechstes, ausgelöst von der Naturkatastrophe Mensch]. | |
Bald jede vierte Säugetierart ist heute vom Aussterben bedroht. Ihre | |
Lebensbedingungen verändern [4][sich schneller, als dass sich die Natur | |
anpassen könnte]. Während in Laboren an wissenschaftlichem Arterhalt | |
geforscht wird, geht anderswo die Zerstörung von Lebensräumen weiter. Von | |
den fünf Nashornarten sind alle gefährdet. „Wir haben über Jahrhunderte | |
bewiesen, wie effektiv wir Natur zerstören können“, sagt Thomas | |
Hildebrandt. „Jetzt zeigen wir, dass Wissenschaft etwas reparieren kann.“ | |
Auch das Südliche Breitmaulnashorn, von dem es mittlerweile wieder 15.000 | |
Tiere gibt, geht auf eine kleine Gruppe von möglicherweise nur etwa 20 | |
Individuen zurück, die Anfang des 20. Jahrhunderts überlebt hatten, als man | |
dachte, die Unterart sei bereits ausgestorben. | |
## Künstliche Eizellen als möglicher Gamechanger | |
BioRescue will mehr sein als ein Beweis, was Wissenschaft alles kann. | |
„Unsere Mission ist es, eine Schlüsseltierart ihrem Lebensraum | |
zurückzubringen“, so Hildebrand. Die komplexe Abhängigkeitskette der | |
Spezies geht etwa so: „Die Nashörner verteilen Pflanzensamen. Der | |
Pillendreher“ – ein Käfer – „verarbeitet den Dung. Insekten schlüpfen… | |
dem Kot, Fledermäuse fressen die Insekten. Antilopen nutzen die | |
ausgetrampelten Wege der Nashörner, um vor ihren Fressfeinden zu flüchten.“ | |
Auch, wenn Najin und Fatu die Entnahmen der Eizellen immer gut weggesteckt | |
haben, stellt sich die ethische Frage: Was darf man den Tieren zumuten? | |
Inwiefern steht der Artenschutz über dem individuellen Tierwohl? Das | |
internationale Konsortium um Thomas Hildebrandt gründete für diese Fragen | |
einen eigenen Ethikrat. Der entschied, der inzwischen 35-jährigen Najin | |
keine Eizellen mehr zu entnehmen. Die Entscheidung halbierte die | |
Erfolgschancen auf einen Embryo zunächst. Bis eine weitere Technik ins | |
Spiel kam. Der mögliche Gamechanger: künstliche Eizellen. | |
[5][Künstliche Eizellen müssen nicht bei einer Operation entnommen werden, | |
sondern werden im Labor aus sogenannten induzierten pluripotenten | |
Stammzellen gezüchtet]. Das wiederum sind Zellen, die in Stammzellen | |
zurückverwandelt wurden. Bis vor wenigen Jahren kannten die Zellen nur eine | |
Richtung: Stammzellen differenzieren sich in spezifische Zelltypen oder | |
Gewebe aus. 2006 gelang es Shin’ya Yamanaka andere Körperzellen in | |
Stammzellen umzuprogrammieren. Dafür erhielt der japanische Forscher einen | |
Nobelpreis. | |
BioRescue ist es gelungen, induzierte pluripotente Stammzellen sowie | |
Urkeimzellen vom Nashorn herzustellen. Der nächste Forschungsschritt ist, | |
diese in Keimzellen zu verwandeln, also in Spermien oder Eizellen. Bei | |
Mäusen hat das schon geklappt, bei Nashörnern noch nicht. Würde es klappen, | |
müssten Fatu keine Eizellen mehr entnommen werden. Außerdem wären mehr | |
Nashörner zurück im Genpool: Neben Nashornoma Najin auch Bullen, von denen | |
Gewebeproben eingefroren wurden. | |
## Gelingt auch der Schutz des Lebensraums? | |
Falls es dem Team gelingen sollte, Nördliche Breitmaulnashörner zu züchten, | |
müssen ihnen andere Nashörner das Leben in der Wildnis beibringen. Dann | |
steht die nächste wesentliche Herausforderung bevor: die Suche und | |
Sicherung des Habitats. Artenschutz bedeutet schließlich nicht, den Genpool | |
der übrigen Tierarten auf Trockeneis zu legen, um sie in besseren Zeiten in | |
einem Jurassic Park wieder aufzutauen. Artenschutz bedeutet vor allem, | |
Lebensraum zu schützen. | |
Und noch eine weitere ethische Ebene zeigt sich in den neuen Möglichkeiten: | |
Die Technologien verschieben ein ums andere Mal unser Verständnis von Leben | |
und Tod. Können wir zum Leben erwecken, wen und was wir wollen? | |
Im März stellten Stammzellenforschende aus den USA ihre neueste Schöpfung | |
aus dem Labor vor: [6][eine Wollhaarmaus, deren goldgelbe Felltextur aus | |
denen von Mammuts stammt]. Im April behauptete [7][ein US-Unternehmen, eine | |
zur Zeit der Mammuts ausgestorbene Wolfsart wiederbelebt zu haben]. | |
Forscher*innen wiesen das als Übertreibung zurück. Das Unternehmen hatte | |
Zellen eines Grauwolfs mit der jahrtausendealten DNS eines Wolfszahns aus | |
einem Museum editiert. Ein Jagdhund diente als Leihmutter. | |
Mit solchen Frankensteinexperimenten hat das Team um Thomas Hildebrandt | |
nichts am Hut. Er zieht die Grenze an einer definitorischen Kernfrage: Hat | |
das Zurückbringen einer Tierart eine ökologische Funktion? „Den Versuch, | |
den Tasmanischen Tiger zurückzuholen, halte ich schon für grenzwertig“, so | |
Hildebrandt. Der Dodo wäre besonders populär, sei aber nicht mehr als eine | |
akademische Übung. | |
## Eine Nashornschwangerschaft gab es schon | |
Auch das Mammut auferstehen zu lassen, sei sinnlos, eben weil es sein | |
ökologisches System nicht mehr gibt. „Daher grenzen wir uns entschieden von | |
diesen Versuchen ab, auch wenn wir die Technologie dafür entwickeln | |
können.“ Bei den Breitmaulnashörnern sei die Lage anders. „Deren Habitate | |
sind noch vorhanden. Und die Habitate brauchen die Nashörner.“ | |
Darum setzt BioRescue die Arbeit an den Tieren fort, die noch leben. Anfang | |
des Jahres verkündete das Leibniz-Institut, weitere Embryonen von Fatu | |
produziert zu haben, die in Leihmüttern zu Nördlichen Breitmaulnashornbabys | |
heranwachsen sollen. Im vergangenen Jahr gab es die erste | |
Nashornschwangerschaft nach einem Embryotransfer. Das Südliche | |
Breitmaulnashorn Curra war 70 Tage lang mit einem im Labor erzeugten Embryo | |
ihrer eigenen Unterart trächtig. Doch dann starb die schwangere Nashornkuh | |
an einer Infektion. | |
Nachdem Thomas Hildebrandt und sein Team Ende Juni in Kenia zwei neuen | |
Leihmüttern hoffentlich Embryos eingesetzt haben, reisen sie nicht zurück | |
nach Berlin. Es geht gleich weiter nach Indonesien. Dort wollen die | |
Forschenden ihr Wissen an Kolleg*innen vor Ort weitergeben, die mit dem | |
Ansatz arbeiten möchten. Denn auch das Java-Nashorn und das Sumatra-Nashorn | |
sind bedroht. | |
29 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.izw-berlin.de/de/biorescue-fortschrittliche-reproduktionstechno… | |
[2] /Aussterben-einer-Tierart/!5490006 | |
[3] /Artensterben/!t5010054 | |
[4] /Welt-Biodiversitaetsrat/!6054385 | |
[5] /Fortpflanzung-via-Stammzellentechnik/!5346042 | |
[6] https://www.zdfheute.de/wissen/wollhaarmaus-mammut-genforschung-100.html | |
[7] https://t3n.de/news/ausgestorbener-schattenwolf-oder-grauwolf-warum-an-20-g… | |
## AUTOREN | |
Philipp Brandstädter | |
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