# taz.de -- Militär und Migration: Von Aufrüstung und technokratischer Migrat… | |
> Feindbilder und Abschottung drängen verstärkt auf die Agenda der Politik. | |
> Moderne Technik gehört zur Aufrüstung der Armeen und der Grenzkontrollen. | |
An deutschen Grenzübergängen geschieht dieser Tage, was an dystopische | |
Science-Fiction erinnert: Binnen Sekunden erkennt ein Detektor, von | |
Polizeibeamten an der Außenwand eines Transporters befestigt, ob sich im | |
Frachtraum weitere Personen verbergen. Der Sensor soll Schleusungsversuche | |
aufdecken und illegale Grenzübertritte verhindern. So weit, so | |
technoautoritär, ganz im Einklang mit einer Regierung, die gern hätte, dass | |
alles, was sich verdächtig nähert, geräuschlos von Deutschlands digital | |
gepanzerter Karosserie abperlt. | |
Im Vergleich zum sonstigen Waffenarsenal der Polizei klingt ein kleiner | |
gelber Kasten erst einmal harmlos – zumal die Behörden nicht müde werden zu | |
betonen, die Kontrollen dienten auch dem Schutz der Geflüchteten. Immer | |
häufiger kämen diese ums Leben, wenn Schleuser mit hoher Geschwindigkeit | |
vor der Polizei fliehen und ihre eng gedrängten Passagiere mit in den Tod | |
reißen. Bei der Vorführung des Personendetektors im Februar 2024 meldete | |
die bayerische Polizei sieben Tote bei einem verunglückten Fluchtauto. | |
Grenzschutz als Außen- und Sicherheitspolitik im Namen eines | |
„[1][gemeinsamen Horizonts von Werten]“ Deutschlands und Europas – um die | |
Regierungserklärung von Friedrich Merz zu zitieren. Diese Werte treten | |
jedoch nur noch als Munition in Erscheinung: an der Grenze und in der | |
Aufrüstungspolitik. Der Migrantendetektor erkennt einzig den Herzschlag von | |
Menschen, nicht ihren Schutzbedarf, die Ursache ihrer Flucht oder ihren | |
rechtlichen Status. | |
Was der Kasten misst, ist der Puls als biometrisches Signal einer | |
illegalisierten Existenz. Sobald auf dem Monitor die schematisierte | |
Strichzeichnung eines Körpers erscheint, bleibt von dem, was kurz zuvor | |
noch ein Mensch war, nur noch ein maschinell erfasstes Zielobjekt. Dass der | |
Migrantendetektor ursprünglich als Häftlingsmonitor zur Verhinderung von | |
Gefängnisausbrüchen entwickelt wurde, passt ins Bild. | |
## Der Scanner-Staat | |
Staatliche Macht materialisiert sich in einem präzisen Frühwarnsystem, rund | |
um die Uhr im Empfangsmodus, wenn es um die Ortung kriminalisierter Körper | |
geht. Der Polizeirausch an der Grenze ist auch ein Waffenrausch – und damit | |
Ausdruck einer neuen Politik der Wehrhaftigkeit, die auf maximale | |
Risikoabwehr zielt, innen- wie außenpolitisch. Dabei weicht das Ethos des | |
Asyls einer militärischen Logik der Sichtbarmachung, die auf die | |
biometrische Identifizierung von Feinden abzielt. | |
Der „wehrhafte Grenzstaat“, um den es in diesem Text geht, bezeichnet eine | |
grotesk überinszenierte Waffenvernarrtheit, ein ideologisches Projekt der | |
autoritären Machtsicherung, ein biopolitisches Dispositiv zur Abwehr | |
potenzieller „Risiken“ – und nicht zuletzt ein nationales Selbstbild, das | |
sich zunehmend über Kampfbereitschaft und männliche Härte definiert. | |
Die Sicherheitspraxis an den deutschen und EU-Außengrenzen entwickelt sich | |
zusehends zum Labor wehrhafter Außenpolitik. Die Merz-Regierung hat eine | |
Agenda geschmiedet, die Ausrüstung und Grenzschutzoffensive machtpolitisch | |
miteinander verschränkt. Dass diese militarisierte [2][Antiasylpolitik] | |
selbst innerhalb der EU auf Irritation stößt, bleibt weitgehend | |
unkommentiert – obwohl sie die europäische Einigkeit gegenüber Russlands | |
expansionistischem Machtstreben massiv untergräbt. | |
Dass Kriegsrhetorik mit dem Stoppen einer latenten Grenzinvasion | |
verschwimmt, wird dabei gern übersehen. Dabei wächst in Europa schon seit | |
Jahren die Schnittmenge zwischen militärischer Verteidigung und | |
Migrationskontrolle. Seit 2021 testet [3][Frontex] Überwachungssysteme, die | |
mit bewaffnungsfähigen israelischen Drohnen, Wärmebildkameras und | |
biometrischen Scans operieren. In griechischen Lagern wird diese Technik | |
mit der digitalisierten Verwaltung von Geflüchteten als Risikoobjekte | |
kombiniert. | |
## Feindbilder und Abschottung | |
Was sich hier abzeichnet, ist mehr als bloße Effizienzsteigerung. An den | |
Rändern der EU – und zunehmend auch an deutschen Übergängen – vollzieht | |
sich eine ideologische Annäherung an ein Grenzkrieg-Denken: genährt vom | |
Vokabular des Nato-Flankenschutzes, im Kern jedoch zurückzuführen auf ein | |
Konfliktverständnis, das autoritäre Staaten prägt, die sich in permanenter | |
Konfrontation mit benachbarten Feinden sehen – allen voran die USA, Israel | |
und Russland. | |
In diesem Kalkül verschmelzen Grenze und Krieg zu einer Strategie des | |
stabilisierenden Ausnahmezustands. Donald Trump, Benjamin Netanjahu, | |
Wladimir Putin: Ihre Macht stützt sich auf Feindbilder und Abschottung, um | |
das Eindringen auf eigenes Territorium zu verhindern, was maximale | |
Undurchdringlichkeit rechtfertigt. Gehört Merz bald auch in diese Reihe? | |
Die Ausweitung militärischer Abwehrmechanismen wird unter dem Schlagwort | |
„[4][hybride Bedrohungen]“ verhandelt, gemeint sind informationsbasierte | |
Formen der Demokratiesabotage, die nicht auf militärische Hardware wie | |
Panzer oder Kampfjets zielen, sondern auf soziale Software – auf das | |
Vertrauen in Parlamente, auf die Integrität politischer Prozesse und auf | |
die Stabilität europäischer Strukturen insgesamt. | |
Der [5][Anschlag von Magdeburg] im Dezember 2024 etwa wurde in sozialen | |
Netzwerken von rechtsextremen deutschen wie ausländischen Akteuren | |
aufgegriffen, um dem Täter islamistische Motive zu unterstellen und | |
gleichzeitig das Narrativ von einer drohenden Islamisierung Deutschlands zu | |
befeuern – obwohl der saudische Einwanderer [6][militante islamkritische | |
Inhalte] verbreitet und AfD-Sympathien geäußert hatte. Diese Vorstellung | |
vom muslimischen Mann als einer tickenden Zeitbombe prägt inzwischen den | |
Ton der Grenzpolitik. | |
## Biometrisierung des Lebens | |
Wer Fluchtbewegungen nicht mehr als humanitäre Herausforderung gelten | |
lässt, sondern als unkonventionelle Kriegsstrategie, und Asylsuchende als | |
verschleierte Kombattanten sieht, hält es womöglich auch für legitim, an | |
den Grenzen Polizeieinheiten, Sensoren und Drohnen scharfzumachen. Es ist | |
aber nicht nur so, dass Grenzen wie Frontlinien aufgerüstet werden, der | |
Krieg selbst sammelt sich an den Peripherien. | |
Grenzregionen wie das Mittelmeer, Litauen – wo inzwischen auch eine | |
deutsche Brigade stationiert ist – und selbst die Ukraine als möglicher | |
Nato-Ostrand wandeln sich zu militärischen Pufferzonen, die dazu dienen, | |
geopolitische Spannungen abzuschirmen. Was wir derzeit erleben, ist eine | |
Art technologische Immunisierung entlang der nationalen, europäischen und | |
Nato-Außengrenzen, wo strategisch platzierte „Antikörper“ in Gestalt von | |
Sicherheitskräften, Sensorik und Drohnenmauern verhindern sollen, dass die | |
Konfliktzone weiter westwärts vordringt. | |
Deutschland investiert derweil in stationäre Verteidigungsarchitekturen wie | |
Brücken und Bahntrassen, aber auch in mobile Infrastrukturen. Die | |
Bundeswehr hat sogenannte loitering munitions beschafft: mit Sprengstoff | |
beladene Drohnen, die kreisend in der Luft verharren, bis ein Ziel am Boden | |
ausgemacht ist, auf das sie sich im entscheidenden Moment herabstürzen. | |
Es handelt sich um eine neue Form des Luftkriegs: geduldig, maschinell, | |
entpersonalisiert. Dazu passt auch der geplante „[7][Drohnenwall“ entlang | |
der Nato-Ostflanke] – ein „intelligentes“ Schutzsystem, das bei jeder | |
Bewegung zuschnappt. Währenddessen wächst in den Kultur- und | |
Geisteswissenschaften seit Jahren der Widerstand gegen die technologische | |
Verflachung und Biometrisierung des Lebens. | |
## Wehrhafter Staat und wehrloser Mensch | |
Philosophen wie Roberto Esposito und [8][Giorgio Agamben] haben darauf | |
hingewiesen, dass da, wo der Körper sichtbar, vermessbar und kontrollierbar | |
wird, eine neue Spielart biopolitischer Macht am Werk ist. Gemeint ist eine | |
Macht, die über das Leben selbst entscheidet: darüber, wer dazugehört und | |
wer nicht, wer leben darf und wer sterben muss. Wie der | |
Kulturwissenschaftler Joseph Pugliese argumentiert, beruhen biometrische | |
Grenztechnologien – von Gesichtserkennung bis Lügendetektor – letztlich | |
auf strukturellen Machtverhältnissen. | |
Die Frage „Wer bist du?“ sei dabei stets von einer anderen überlagert: „… | |
bist du?“ – also von einer Kategorisierung, der eine soziale Hierarchie | |
vorausgeht. Nichtweiße Asylsuchende verfangen sich besonders tief in dieser | |
weißen Infrastruktur des Verdachts, die ihre Identität als potenziellen | |
Betrug konstruiert. Und zu allem Überfluss endet die biometrische Grenze | |
nicht am Zaun. Deutschland ist das einzige Land weltweit, das in | |
Asylverfahren [9][automatisierte Dialekterkennung] einsetzt, um | |
Herkunftsangaben zu überprüfen; das BAMF spricht dabei von | |
„Sprachbiometrie“. | |
Die realen und digitalen Projektile, mit denen Deutschland verteidigungs- | |
wie migrationspolitisch hantiert, treffen erstaunlich zielsicher auch nach | |
innen. Eine militärromantische Testosteronpolitik trifft auf ohnehin | |
schon gewaltgeladene Geschlechterbilder und rechten Revanchismus in Teilen | |
der männlichen Bevölkerung. Denn neben der militärischen steht auch eine | |
sittliche Ertüchtigung auf dem Plan. | |
Der Vorschlag von Verteidigungsminister Boris Pistorius, junge Männer per | |
Fragebogen nach körperlicher und geistiger Diensttauglichkeit zu screenen, | |
illustriert, dass deutsche Bürger ebenfalls als Daten emittierende Körper | |
verfügbar gemacht werden für einen Krieg, der in der Ferne liegt – und | |
dennoch schon jetzt männliche Lebensläufe und Selbstbilder auf | |
Verwertbarkeit im Verteidigungsapparat hin zu normieren beginnt. | |
Mag Aufrüstung auch alternativlos erscheinen: Die eigentliche | |
Gewissensfrage unserer Zeit lautet, wie sich die schleichende Erosion der | |
einstigen Alternativlosigkeit europäischer Werte aufhalten lässt. Was | |
fehlt, ist nicht die Bereitschaft zur Abwehr, sondern die Idee, wofür | |
überhaupt noch gekämpft werden soll. Die automatisierten Messinstrumente | |
der Grenzpolizei wie auch KI-gesteuerte Einsätze an den EU-Außengrenzen und | |
im Ukrainekrieg sind auf ganzer Linie würdevergessen. Was bleibt zu | |
verteidigen, wenn der Staat wehrhaft wird – und der Mensch dabei wehrlos? | |
22 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/newsletter-und-abos/bulletin… | |
[2] /Merz-Regierung-stoppt-Familiennachzug/!6090385 | |
[3] https://www.frontex.europa.eu/ | |
[4] /Hybride-Kriegsfuehrung/!6049672 | |
[5] /Anschlag-in-Magdeburg/!t6058126 | |
[6] /Anschlag-in-Magdeburg/!6055399 | |
[7] https://www.deutschlandfunk.de/ruestungsunternehmen-helsing-drohnenwall-an-… | |
[8] https://www.youtube.com/watch?v=skJueZ52948 | |
[9] /BAMF-und-die-Technik/!5562236 | |
## AUTOREN | |
Georgiana Banita | |
## TAGS | |
Grenzkontrollen | |
Kanzler Merz | |
Asylpolitik | |
Aufrüstung | |
USA | |
wochentaz | |
Johann Wadephul | |
Migration | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Justiz in den USA: Supreme Court erlaubt Abschiebungen in Drittstaaten | |
Ein Vietnamese soll aus den USA in den Südsudan abgeschoben werden. Ein | |
Richter stoppte das zunächst, doch nun können Abschiebungen vorerst | |
stattfinden. | |
Verschärfte Asylpolitik: Eine Show an der Grenze | |
Die Union will ihre Wahlkampfversprechen wahr machen und Asylsuchende in | |
großem Stil zurückweisen. Rechtsbrüche sind eingepreist. | |
Fünf Prozent für die NATO: Ein Blankoscheck für die Rüstungsindustrie | |
Die Zahlenspielchen der Union sind ein weiterer Tiefpunkt der neuen | |
Bundesregierung. Für die SPD sollten fünf Prozent NATO-Ausgaben untragbar | |
sein. | |
Wissenschaftliche Debatte um Migration: Menschenrechte, aber nicht für alle | |
Der Diskurs über Geflüchtete wird feindseliger – auch Forscher wie Daniel | |
Thym tragen zur Erosion des menschenrechtlichen Konsenses bei. Eine Replik. |