| # taz.de -- Merz-Regierung stoppt Familiennachzug: Angriff auf das demokratisch… | |
| > Schwarz-Rot will den Familiennachzug für Geflüchtete aussetzen – und | |
| > greift so tief in das demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik | |
| > ein. | |
| Bild: Eine Familie geht durch die zu einer Massenunterkunft umfunktionierten Me… | |
| Inmitten einer Phase sinkender Asylantragszahlen und zunehmender | |
| gesellschaftlicher Polarisierung plant die Bundesregierung einen | |
| drastischen Eingriff in das Grundrecht auf Familie: Der Familiennachzug für | |
| Hunderttausende subsidiär Schutzberechtigte [1][soll für zwei Jahre | |
| ausgesetzt werden]. Das Bundeskabinett hat dem bereits zugestimmt. Die | |
| Maßnahme trifft nicht nur Menschen – sie greift auch tief in das | |
| demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland ein. | |
| Was hier zur Debatte steht, ist mehr als nur eine migrationspolitische | |
| Maßnahme – es ist ein Verlust demokratischer Werte. Denn obwohl der Schutz | |
| der Familie als universelles Grundrecht gilt, wird er in der Praxis | |
| offenbar nicht für alle gleichermaßen anerkannt. Wer als Geflüchteter nicht | |
| dem „richtigen“ Status zugeordnet ist, dessen familiäre Bindungen gelten | |
| als weniger schützenswert. Damit wird die Gleichwertigkeit der | |
| Lebensverhältnisse – ein zentrales demokratisches Versprechen – | |
| systematisch untergraben. Es entsteht eine Hierarchie der Rechte. | |
| Der Familiennachzug wird so nicht als selbstverständliches Recht behandelt, | |
| sondern als migrationspolitische Stellschraube – eine Variable, die je nach | |
| Stimmungslage und Belastungsrhetorik eingeschränkt werden kann. Die | |
| Forschung zeigt jedoch, dass familiäre Bindungen die Grundlage für | |
| Teilhabe, Sicherheit und Integration bilden. Wer Menschen daran hindert, | |
| ihre Kinder oder Partner*innen nachzuholen, [2][erzeugt Unsicherheit, | |
| Isolation und Entfremdung]. Diese Politik trennt Familien – nicht, weil von | |
| ihnen eine konkrete Gefahr ausgeht, sondern weil ihre Zusammenführung | |
| gezielt eingeschränkt wird, um Migration zu begrenzen. Damit wird das im | |
| Grundgesetz und in internationalen Abkommen verankerte Menschenrecht auf | |
| Schutz der Familie dem Vorbehalt migrationspolitischer Steuerung | |
| unterworfen. | |
| ## Menschenrechte als Verhandlungsgegenstand | |
| Wenn Politik beginnt, [3][Menschenrechte zum Verhandlungsgegenstand zu | |
| machen], entzieht sie sich nicht nur ihrer ethischen Verantwortung – sie | |
| gerät auch in Widerspruch zu den Grundsätzen, auf denen ihre eigene | |
| Legitimation beruht. Denn eine Politik, die systematisch in Kauf nimmt, | |
| dass Kinder von ihren Eltern getrennt werden, dass Schutzbedürftige in | |
| Unsicherheit leben und Teilhabe verhindert wird, bewegt sich an der Grenze | |
| zur Aushöhlung des menschenrechtlichen Fundaments. Dabei geht es längst | |
| nicht mehr um Sicherheit – sondern um einen schleichenden Verlust eines | |
| solidarischen und gerechten Zusammenlebens. | |
| Möglich wird dieser politische Kurs nur in einem gesellschaftlichen Klima, | |
| das Migration zwar als Realität anerkennt, sie jedoch zugleich | |
| problematisiert, kontrollieren und möglichst rückgängig machen will. Dieses | |
| sich verändernde Klima lässt sich als Abschottung beschreiben: eine | |
| Regierungsform, in der der Staat nicht mehr das Leben schützt, sondern sich | |
| gegen jene abschirmt, die als fremd, bedrohlich oder unerwünscht gelten. | |
| Der Soziologe Zygmunt Bauman hat in seiner Analyse „Die Angst vor den | |
| Anderen“ gezeigt, wie gesellschaftliche Verunsicherung auf „die Fremden“ | |
| projiziert wird – nicht, weil sie tatsächlich bedrohlich wären, sondern | |
| weil sie das Unbehagen über politische und soziale Versäumnisse sichtbar | |
| machen. Diese Verschiebung schafft die Grundlage für eine Politik, die | |
| Ängste verstärkt, statt Lösungen zu fördern. Sie wird begleitet von einer | |
| gezielten Bedeutungsverschiebung: Migration wird bewusst mit Illegalität, | |
| Kriminalität, Islamismus und Terror verknüpft. Hier geschieht eine | |
| Diskursverschiebung, die diffuse Ängste in politisch verwertbare | |
| Bedrohungsbilder überführt. | |
| Schließlich entsteht ein Szenario, das nicht der Problemlösung dient, | |
| sondern der politischen Mobilisierung: Es kanalisiert Unsicherheit, | |
| verspricht Kontrolle und vereint die Gesellschaft in einer Abwehrhaltung. | |
| Der Blick auf die tatsächlichen Herausforderungen – etwa in den Bereichen | |
| Wohnen, Bildung oder Gesundheit – wird dadurch verstellt. Migration wird | |
| zur Ursache aller sozialen Probleme erklärt. Diese diskursive Verschiebung | |
| entlastet die Politik, belastet jedoch das gesellschaftliche Klima – und | |
| blockiert jene institutionellen Reformen, die eine plurale Demokratie | |
| eigentlich und dringend bräuchte. | |
| So wird etwa [4][der Wohnungsmangel in Städten] nicht als Ergebnis | |
| jahrzehntelanger verfehlter sozialer Wohnungsbaupolitik, sondern als Folge | |
| zu hoher Zuwanderung umgedeutet. Dabei liegt gerade in der sachlichen, | |
| lösungsorientierten und evidenzbasierten Auseinandersetzung mit Migration | |
| eine demokratische Chance: Der Druck, Institutionen an die Realität einer | |
| vielfältigen Gesellschaft anzupassen, kann zu Reformen öffentlicher | |
| Infrastrukturen und Institutionen führen – Reformen, die nicht nur | |
| Zugewanderten zugutekommen, sondern der gesamten Gesellschaft. | |
| ## Eine Politik, die Unsicherheit produziert | |
| Und doch wird derzeit bevorzugt die Abschottungslogik politisch weiter | |
| vorangetrieben: Die Bundesregierung setzt den Familiennachzug aus. Was wir | |
| brauchen, ist nicht weniger Migration, sondern eine bessere Steuerung, eine | |
| gerechte Ressourcenverteilung und den politischen Willen, Teilhabe wirklich | |
| zu ermöglichen. Den Familiennachzug auszusetzen, bewirkt das Gegenteil: Es | |
| erschwert Integration, weil Menschen ohne ihre Familien kaum im Alltag | |
| ankommen, keine langfristige Perspektive entwickeln und auf dem | |
| Arbeitsmarkt kaum Fuß fassen können. Noch dazu schwächt die familiäre | |
| Trennung die psychische Gesundheit. Und wenn legale Wege blockiert werden, | |
| bleibt vielen nur der unsichere Weg der irregulären Migration. So | |
| produziert diese Politik Unsicherheit – gerade dort, wo sie vorgibt, für | |
| Ordnung zu sorgen. | |
| Deutschland hat sich nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts ein | |
| Fundament gegeben, das Menschenwürde, Schutzverantwortung und | |
| Rechtsstaatlichkeit ins Zentrum rückt. Wer heute beginnt, familiäre | |
| Bindungen politisch zu suspendieren, stellt dieses Fundament infrage. | |
| 13 Jun 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Familie-und-Staatsbuergerschaft/!6090844 | |
| [2] /Studie-zu-Eingewanderten/!6093625 | |
| [3] /Asylrechtsverschaerfungen/!6089926 | |
| [4] /Wohnraumkrise-in-Deutschland/!6084270 | |
| ## AUTOREN | |
| Cihan Sinanoğlu | |
| ## TAGS | |
| Flüchtlinge | |
| Migration | |
| Bundesregierung | |
| Alexander Dobrindt | |
| Social-Auswahl | |
| Geflüchtete | |
| Kanzler Merz | |
| Familiennachzug | |
| Migration | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Fachkräftemangel | |
| Bundesregierung | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Familiennachzug ausgesetzt: „Grausame Symbolpolitik“ | |
| Für zwei Jahre dürfen bestimmte Geflüchtete ihre Familien nicht mehr | |
| nachholen. Die SPD tat sich schwer, aber stimmte am Ende zu – mit zwei | |
| Ausnahmen. | |
| Asylrechtsverschärfungen: „Ich vermisse meine Familie!“ | |
| Union und SPD wollen den Familiennachzug für Schutzsuchende einschränken. | |
| Was macht das mit Menschen, deren Kinder tausende Kilometer entfernt leben? | |
| Studie zu Eingewanderten: Deutschland als Zwischenstopp | |
| Eingewanderte können schnell wieder zu Ausgewanderten werden. Vor allem | |
| soziale Integration kann dem aber entgegenwirken, so eine neue Studie. | |
| Asylrechtsverschärfungen: Mit Anlauf gegen die Wand | |
| Die neue Bundesregierung ignoriert ein eindeutiges Gerichtsurteil – und | |
| auch Bundestag und Bundesrat will sie jetzt zum Zweck der Abschottung | |
| umgehen. | |
| Appell an neue Bundesregierung: Fast 300 Organisationen warnen vor Entrechtung … | |
| Die schwarz-rote Koalition will Asylbewerber*innen an der Grenze | |
| zurückweisen. Hunderte Verbände und Organisationen fordern stattdessen | |
| Menschlichkeit. |