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# taz.de -- Theaterstück über Binnenschifffahrt: Fremd und doch so nah
> Die Dokutheater-Truppe Das letzte Kleinod zeigt in ihrem Stück „Reibholz“
> das Leben von Binnenschiffer:innen. Gespielt wird vor Ort in Häfen.
Bild: „Wir haben alle einen an der Waffel“: Andreas Uehlein als Binnenschif…
Wenn die ersten Sonnenstrahlen das Wasser glitzern lassen, steht der
Kapitän schon am Steuer. Bei einer dampfenden Tasse Guten-Morgen-Tee
genießt er, wie sein Schiff flussaufwärts tuckert, und gemächlich zieht die
Landschaft vorbei. Diese aus Büchern und TV-Serien bekannte
Wiederentdeckung der Langsamkeit kommt nicht vor im Dokumentartheaterstück
„Reibholz“ – weil es die Wirklichkeit heutiger Binnenschifffahrt abbilden
will.
Reibholz, so nennt man Holzbalken, die an Tauen außen am Schiffskörper
hängen, damit er nicht gegen die Kaimauer knallt. Gar nicht romantisch sind
auch die Lebens- und Arbeitsweisen der kleinen Crews, die sich Das letzte
Kleinod, dieses Eisenbahntheater aus Geestenseth, zum Thema gewählt hat.
Seinen Zug stellt es seit der Premiere im niedersächsischen Brake an
mehreren Hafenkanten in Nord- und Ostdeutschland ab.
Eingepackte Segelschiffchen schunkelten im Braker Binnenhafen, Kutterpuller
des örtlichen Rudervereins durchfurchten die Wellen. Am gegenüber liegenden
Bahnhof ratterten Güterzüge vorüber – Konkurrenz für die Schiffer:innen:
Rund 20 Prozent des Güterverkehrs erledigt in Deutschland die Bahn, mehr
als 70 Prozent werden von LKWs besorgt, nur knapp sieben Prozent von
Schiffen; vor einem Vierteljahrhundert waren es noch 14 Prozent. Überfüllte
Straßen und Schienen entlasten und die noch reichlich Platz – wenn auch
mitunter [1][nicht mehr genug Pegelstand] – bietenden Flüsse verstärkt
nutzen: Kann das Stück für eine Verkehrswende werben?
15 Interviews mit Binnenschiffer:innen aus Polen, Deutschland und den
Niederlanden hat Autor/Regisseur Jens-Erwin Siemssen geführt und daraus
sechs Monologe generiert. In Arbeitsdress und authentisch schmuddeligen
Warnschutzjacken stellen sich die Darsteller:innen vor und
kommunizieren über Walkie-Talkie ein Anlegemanöver. Auch Streitereien und
Vorurteile kommen zur Sprache. In 20er-Gruppen besucht das Publikum die
Wagons, in denen jeweils ein:e Spieler:in ihre Perspektive auf die
Binnenschifffahrt inszeniert.
Dass kein Satz unbegleitet bleibt von illustrierender Interaktion mit
passenden Alltagsobjekten, ist ja das Kleinod-Markenzeichen. Christian
(Andreas Uehlein) trinkt nach den täglich erlaubten 14 Stunden Fahrt „mal
een, zwee zum Runterkommen“, es können aber auch drei, vier und mehr sein.
Er spielt seine Szene in einem mit Bierkartons gefüllten Container.
Erstmal ordnet er die Kisten neu – wie einst sein Leben, nachdem er mit
seinem Frachter gestrandet ist. Ohne Hilfe kam er wieder frei, weil
auflaufend Wasser war, erzählt Christian – und zieht zwei Bierflaschen vom
Boden in die Höhe. Trotzdem wurde er bestraft: „Waren knapp vier Riesen,
die ich dafür bezahlt habe“, sagt er und hält nun vier Flaschen in den
Händen.
Dann baut er eine enge Schleuse mit Kartons nach und zeigt, wie schwierig
es ist, dort hindurch zu manövrieren. Er spricht vom Druck, Liefertermine
einzuhalten – und zeigt aufs Ablaufdatum auf dem Flaschenetikett. „Wir
haben alle einen an der Waffel. Musst du haben auf Schifffahrt. Du musst
dafür leben.“
Ein Personenwagon ist als Schiffswohnzimmer hergerichtet. Darin erklärt
Coen (Sophia Hahn), dass Kinder bis zur Einschulung an Bord leben und in
einem Käfig an Deck spielen, damit sie nicht über Bord krabbeln. Sie
erzählt auch vom Toben im Schiffsbauch voll Raps oder feiert das
Fußballspielen im leeren Laderaum. Schwimmen lernen? „Wäscheleine um den
Bauch“ und ab ins Flusswasser.
## Ungeschönte Aussagen
So geht es weiter zu Richard Gonlag, Katharina Dunkel, Wojciech Stachura,
Margarita Wiesner in Wagons mit Zellulose, Salz, Holz und Mais.
Eindringlich ihre Malocher-Berichte über die mühsame Reinigung, wenn die
Ladung erst gelöscht ist. Auch um Existenzsorgen geht es, um
Nachwuchsprobleme und darum, wie schwierig es ist mit Familie. Die
ungeschönten O-Ton-Passagen werden unaufdringlich artikuliert, als würden
die Spielenden gerade in einer Kneipe etwas berichten.
Dann wieder geradezu resignierte Empörungssätze über die [2][Infrastruktur
der Wasserstraßen], die nämlich genauso marode sei wie es Schienen und
Straßen sind: Brücken sackten ab, seien zu niedrig, Kanäle zu klein, Wehre
baufällig, Schleusen kaputt. Und daher stünden dann schon mal 100 Schiffe
im Stau.
So funktioniert „Reibholz“ auch als Sanierungsappell. Ist das sinnvoll?
Noch fahren Binnenschiffe umweltverschmutzend mit Diesel, [3][stoßen
deutlich mehr Stickoxide aus, aber deutlich weniger Treibhausgase als
LKWs.] Von denen wiederum kann ein einzelner Kahn je nach Größe bis zu 150
ersetzen.
Und ganz ohne Romantik geht es dann doch auch nicht: „Wenn wir jetzt durch
den Kanal fahren, mit 1.250 Tonnen im Schiff“, dann werde ihnen „immer noch
gewunken, von den Kindern“, hören wir irgendwann. „Wenn 70 LKWs hier durch
donnern, werden die nicht so begrüßt. Das ist der Unterschied.“
4 Jun 2025
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## AUTOREN
Jens Fischer
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