# taz.de -- Pride-Monat: Doppelte Diskriminierung | |
> Queere Menschen mit Migrationshintergrund werden oft von ihren ethnischen | |
> Gruppen ausgegrenzt. Auch in der LGBTQ-Community gibt es noch Vorurteile. | |
Bild: Im Juni weht sie wieder landesweit in der Bundesrepublik: die Regenbogenf… | |
In diesen Tagen beginnen wieder in vielen Städten Deutschlands die | |
Christopher Street Days. Die Teilnehmenden demonstrieren für die Rechte von | |
sexuellen Minderheiten – in Erinnerung an die [1][Stonewall-Aufstände, bei | |
denen sich am 28. Juni 1969] homosexuelle und trans Personen in der New | |
Yorker Christopher Street gegen polizeiliche Gewalt und Gängelung zur Wehr | |
setzten. Diese Veranstaltungen mögen heutzutage für Außenstehende als | |
kreischend-bunte Partys daherkommen. | |
Tatsächlich aber sind es wichtige politische Demonstrationen, die aktuell | |
wieder relevanter werden: Laut dem [2][Verband der Beratungsstellen für | |
Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e. V]. ist die | |
Zahl der queer- und transfeindlichen Gewalttaten in Deutschland 2024 im | |
Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent gestiegen. Ein Großteil dieses Anstiegs | |
geht auf rechts motivierte Queerfeindlichkeit zurück. | |
In der Konsequenz sind [3][insbesondere in Ostdeutschland] CSD-Paraden | |
häufig nur mit dem Einsatz großer polizeilicher Aufgebote möglich. In einem | |
politischen Umfeld, in dem selbst Parteien der Mitte gegen „Wokeness“ | |
polemisieren, kann das nicht verwundern. Das Eintreten für die Rechte | |
queerer Menschen bleibt also wichtig. Unterbelichtet sind dabei aber häufig | |
die Lebensumstände besonders vulnerabler Gruppen innerhalb der | |
LGBTQI-Community, derjenigen nämlich, die doppelter Diskriminierung und | |
Marginalisierung ausgesetzt sind. | |
## Schwieriges Coming-out | |
Dazu gehören [4][queere Menschen mit Migrationshintergrund]. Sie werden | |
nicht nur aufgrund ihrer sexuellen Identität oder Orientierung, sondern | |
auch wegen der ethnischen Herkunft abgewertet – und das in verschiedenen | |
gesellschaftlichen Sphären. Neben der Diskriminierung durch die | |
„Mehrheitsgesellschaft“ werden sie auch innerhalb der eigenen ethnischen | |
Gemeinschaft ausgegrenzt. | |
Ohne das Bild einer gewaltsamen und rückständigen migrantischen | |
Gesellschaft kultivieren zu wollen, bleibt es doch eine Realität, dass | |
[5][in diesem Umfeld ein Coming-out oft schwierig] oder gar unmöglich ist. | |
Dabei sind die Argumentationsmuster aber keineswegs nur muslimisch, | |
sondern auch christlich. Daneben sehen sich queere Migrant:innen auch | |
innerhalb der LGBTQI-Community Ressentiments, kulturellen | |
Stereotypisierungen und offenem Rassismus ausgesetzt. | |
Sie werden häufig entweder „fetischisiert“ – beispielsweise als | |
unterwürfige Asiat:innen oder arabische Machos – oder aus ähnlichen | |
Gründen offen abgelehnt. Eine nicht repräsentative Befragung der schwulen | |
Datingplattform [6][Planetromeo] im Vorfeld der Bundestagswahlen 2025 | |
ergab, dass 27,9 Prozent der Nutzer beabsichtigten, die AfD zu wählen – | |
weit vor allen anderen Parteien. | |
Dass Menschen mit eigenem Diskriminierungsrisiko ausgerechnet eine | |
nachgewiesen rechtsextreme und ausländerfeindliche Partei präferieren, sagt | |
einiges über den schwierigen Stand von Migrant:innen in der schwulen | |
Community aus. Was für queere Migrant:innen gilt, gilt in besonderer | |
Weise für Geflüchtete. Oft genug ist eben deren sexuelle Identität der | |
Fluchtgrund. Laut den Vereinten Nationen werden in 67 Staaten | |
gleichgeschlechtliche Beziehungen kriminalisiert, in elf Ländern wird die | |
[7][Todesstrafe] verhängt. | |
## Angstraum Sammelunterkunft | |
Skandalös erscheint vor diesem Hintergrund das bis 2022 in Deutschland | |
gültige „[8][Diskretionsgebot]“. Demnach wurde queeren Geflüchteten in | |
Deutschland Asyl mit der Begründung verweigert, ihnen würde in den | |
Herkunftsländern bei diskretem Verhalten keine Verfolgung drohen. Auch wenn | |
diese Praxis beendet ist, bleibt die Situation für queere | |
Asylbewerber:innen schwierig. | |
In Sammelunterkünften sind queere Geflüchtete häufig Anfeindungen | |
ausgesetzt – nicht selten durch Mitbewohner:innen, deren Sozialisation von | |
Intoleranz gegenüber LGBTQI geprägt ist. Für die Betreffenden sind die | |
Unterkünfte damit keine Schutz-, sondern Angsträume, in denen sich die | |
negativen Vorerfahrungen mit Staat und Gesellschaft im Herkunftsland | |
fortsetzen. Ihre Bedürfnisse werden nicht angesprochen, Isolation wird | |
verstärkt – mit negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der | |
Geflüchteten. | |
Die Konsequenz von alledem ist, dass die Betroffenen oft durch alle Raster | |
fallen und weder in der ethnischen noch in der LGBTQI-Community eine Heimat | |
oder einen sicheren Hafen finden. Was aber ist zu tun? Die Betreffenden | |
müssen in ihrer Resilienz gestärkt und empowert werden, zum Beispiel durch | |
Beratungsangebote, geschützte Räume und den Erfahrungsaustausch mit | |
anderen. Dies gilt umso mehr in eher ländlichen Regionen, in denen | |
Anlaufstellen kaum vorhanden und gesellschaftliche Vorurteile häufig noch | |
stärker ausgeprägt sind. | |
Sammelunterkünfte benötigen Schutzkonzepte, die für queere Geflüchtete ein | |
angstfreies Umfeld und die Möglichkeit zur Selbstentfaltung sicherstellen. | |
Es braucht gesellschaftliche Bildungs- und Aufklärungsarbeit, um für | |
unterschiedliche Lebenslagen zu sensibilisieren und Vorbehalte abzubauen. | |
Dazu gehört auch, Mehrfachmarginalisierung und intersektionale | |
Diskriminierung ernst zu nehmen und aktiv dagegen anzugehen. | |
Hierfür braucht es ein klares Bekenntnis des Staats und seiner | |
Institutionen zu einer vielfältigen Gesellschaft, flankiert durch mehr | |
statt weniger Diversitäts- und Demokratieprogramme. Darum engagieren wir | |
uns bei der Robert Bosch Stiftung gezielt für Organisationen und Akteure, | |
die queere Geflüchtete unterstützen – etwa im Rahmen des Projekts | |
„[9][Integration von queeren Geflüchteten und Migrant*innen stärken]“. | |
Denn eine demokratische Gesellschaft muss auch an ihren verletzlichen | |
Rändern solidarisch sein. | |
Die aktuellen Pride-Wochen bieten einen guten Anlass, den Blick über die | |
eigene Lebenswirklichkeit hinaus zu öffnen. Denn: Eine Gesellschaft ist nur | |
so stark wie die, die am meisten Schutz brauchen. | |
10 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /50-Jahre-Stonewall/!5602848 | |
[2] https://verband-brg.de/ | |
[3] /Queere-Spaces-in-Brandenburg/!6075495 | |
[4] /LGBTIQ-und-Migration/!5964993 | |
[5] /Nach-Angriff-auf-Schwulen-Bar-in-Oslo/!5863158 | |
[6] https://www.romeo.com/auth/signup | |
[7] https://www.statista.com/statistics/1227390/number-of-countries-that-crimin… | |
[8] https://www.siegessaeule.de/magazin/diskretionsgebot-endlich-gekippt/ | |
[9] https://www.bosch-stiftung.de/de/projekt/integration-von-queeren-gefluechte… | |
## AUTOREN | |
Ferdinand Mirbach | |
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