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# taz.de -- Buch über den Kampf von Minderheiten: Marginalisierte heißen so, …
> Ein Buch aus der Mitte für die Mitte: Michael Hunklinger beschreibt, wie
> Minderheiten dem Rechtsruck trotzen und warum Identität eine Zumutung
> ist.
Bild: Ein verwittertes Rollstuhlfahrer-Symbol. Menschen mit Behinderung werden …
Fast scheint es, als hätte der Rechtsruck die „culture wars“ schon
entschieden, als hätte der Aufstieg protofaschistischer Parteien und
Bewegungen die Kämpfe um Deutungshoheiten beendet. Nach einigen Jahrzehnten
bürgerrechtlicher Fortschritte kommt nun der Backlash: Trans Personen
sollen aus Toiletten, Schulen und Sportkabinen verbannt werden, das ohnehin
nur rudimentäre Asylrecht wird immer weiter verstümmelt, [1][Ableismus und
Behindertenfeindlichkeit nehmen zu].
Inzwischen regiert ein Bundeskanzler, der sich mehr als einmal rassistisch
geäußert hat. Schließlich äußert sich der – auch in linken und
islamistischen Kreisen verbreitete – Antisemitismus in häufiger Gewalt
gegen jüdische Menschen.
Diese Serie von Niederlagen sind keine politischen, sondern
menschenrechtliche. Denn es handelt sich bei diesem sogenannten
„Kulturkampf“ nicht um die Auseinandersetzung zwischen politischen Lagern,
sondern um den Selbsterhaltungskampf marginalisierter Menschen. Auf diesen
Umstand macht Michael Hunklinger in seinem Essay „Wir werden nicht
verschwinden. Wie Minderheiten dem Rechtsruck trotzen“ immer wieder
aufmerksam.
Sein Ansatz ist ein intersektionaler, es geht ihm also nicht um eine
spezifische marginalisierte Gruppe, sondern um alle, die am Rande stehen.
Dies ist eine der zentralen Botschaften seines Essays: Marginalisierte
heißen nicht so, weil sie in der Minderzahl sind. Sondern weil sie
vereinzelt werden. Denn viele Vereinzelte sind immer noch viele.
## Queere Identitäten werden gefeiert, wenn sie marktfähig sind
Michael Hunklinger verstrickt sich nicht in den Details der Kämpfe der
letzten Jahre, sondern versucht einen großen Bogen zu schlagen. Dabei
stellt er rechtsextreme Gewalt und Repression schlüssig in einen
Zusammenhang mit der systemischen Unterdrückung und Einpflegung
marginalisierter Existenzen im Neoliberalismus, denn: „Auch die neoliberale
Verwertungslogik stellt eine Gefahr dar. Minderheiten werden nur dann
akzeptiert, wenn sie einen ökonomischen Mehrwert bieten. Dies führt zu
einer selektiven Inklusion: Queere Identitäten werden dann gefeiert, wenn
sie marktfähig sind; migrantische Arbeitskräfte sind willkommen, solange
sie wirtschaftlich nützlich sind. So wird Diversität oft nicht als
Selbstzweck, sondern als wirtschaftliches Instrument betrachtet.“
Dogmen – den rechtsextremen wie den neoliberalen – setzt er den simplen
Befund entgegen, dass es jene, die aufgrund bestimmter Merkmale
marginalisiert werden, weiterhin geben wird. Es ist ein Verdienst des
Buches, niemals hinter diese unumstößliche Wahrheit zurückzufallen und sie
auch nicht nur theoretisch zu diskutieren. Stattdessen fängt Hunklinger in
– bisweilen etwas psychologisierenden – Passagen die Lebenswirklichkeit
jener ein, für die Identität nicht nur und nicht vor allem etwas Eigenes
ist, sondern eine Zuschreibung von außen und damit auch eine Zumutung.
Es ist nicht unbedingt ein Buch für Menschen, die sich bereits eingehender
mit Marginalisierung befasst haben. Es ist auch kein Buch für Betroffene.
Es ist ein Buch für alle, die einen Handlauf brauchen, um die Hintergründe
und die Voraussetzungen aktueller Kämpfe zu verstehen. Entsprechend wählt
Michael Hunklinger einen zugänglichen Stil, der bisweilen unterkomplex
erscheinen mag, der aber im Grunde die Stärke des Buches ist: Er macht den
Text zu einer vermittelnden Instanz.
Sein Ziel ist es, Awareness, also Aufmerksamkeit, herzustellen,
Sensibilität für Menschen in prekären gesellschaftlichen Situationen zu
entwickeln. Insofern ist „Wir werden nicht verschwinden“ ein Buch aus der
Mitte für die Mitte. Wie für diese Mitte gekämpft werden soll, welche
Methoden funktionieren und welche nicht, spart Hunklinger allerdings aus;
es bleibt bei einer éducation sentimentale, einer Erziehung der Gefühle.
## Solidarität wieder verankern
Das Buch hebt auf rassifizierte und queere Menschen ab. Menschen mit
Behinderung werden eher subsumiert als eingeschlossen, was sich auch an der
Sprache zeigt. Im Schlusskapitel fordert Hunklinger „die Transformation der
Politik und des öffentlichen Raums zu einem Ort des offenen und inklusiven
Dialogs“. Überschrieben ist der Abschnitt allerdings mit „It’s democracy,
stupid!“. Ableistische Tropen wie diese – „Dummerchen“ – als
Herabwürdigungen zu nutzen, um damit mehr Inklusion zu fordern, unterläuft
Hunklingers Forderung nach einer Öffentlichkeit, die ein Raum für alle ist.
Entsprechend werden die Auseinandersetzungen zwischen marginalisierten
Gruppen auch eher als Randnotiz diskutiert; es geht – anders als der
Untertitel suggeriert – nicht so sehr darum, wie Minderheiten dem
Rechtsruck trotzen, sondern dass sie es tun. Hunklingers Methode folgt
nicht einer Denkschule, sondern einem Ansatz der teilnehmenden Beobachtung.
Empathie und Solidarität wieder als Konzepte im Diskurs zu verankern, ist
sein Vorschlag, um die Demokratie zu retten.
In diesem Sinne ist „Wir werden nicht verschwinden“ gewissermaßen
konservativ: An einer Utopie ist Hunklinger nicht gelegen, es geht ihm um
das Bewahren dessen, was bewahrenswert ist. Das macht sein Buch
anschlussfähig: Obwohl er an seine Leser*innen appelliert, Haltung zu
zeigen und zu bewahren, überfordert er sie nicht. Er hat ein im besten
Sinne nettes Buch geschrieben, das eine Welt anstrebt, in der „nett“ nicht
mehr als Abwertung verstanden werden wird.
26 Oct 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Frédéric Valin
## TAGS
Politisches Buch
Minderheiten
Inklusion
Politisches Buch
Schwerpunkt LGBTQIA
Denkmal der im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti
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