# taz.de -- Windkraft-Ausbau in Berlin: Aufziehende Turbulenzen | |
> Der Senat hat acht Flächen bestimmt, auf denen Windräder errichtet werden | |
> könnten. Ob sich dort wirklich bald die Rotorblätter drehen, ist jedoch | |
> offen. | |
Bild: Ein Rotorblatt, mitten in der Stadt – allerdings unbeweglich vorm Deuts… | |
Berlin taz | Viel Wind um Windräder – den gibt es seit Jahren regelmäßig | |
und flächendeckend. Einerseits leistet die Windkraft einen entscheidenden | |
Anteil an der fossilfreien Stromerzeugung, andererseits wächst der | |
Widerstand, aus ästhetischen, aber auch ökologischen Beweggründen. Jetzt | |
kommt die Debatte in die Hauptstadt: Ab diesem Dienstag können alle | |
BerlinerInnen einen Monat lang [1][im Rahmen der | |
Öffentlichkeitsbeteiligung] „Hinweise und Stellungnahmen“ zu vom Senat | |
vorgeschlagenen Windenergiegebieten abgeben. | |
Acht Gebiete will die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung als besonders | |
geeignet für die Aufstellung von Windrädern ausweisen und dafür den | |
Berliner Flächennutzungsplan ändern. Damit soll [2][die gesetzliche | |
Vorgabe] erfüllt werden, nach der alle Bundesländer einen bestimmten Anteil | |
ihrer Fläche für diesen Zweck „planerisch sichern“ müssen. | |
Für die Flächenländer schwankt dieser Anteil zwischen 1,8 und 2,2 Prozent, | |
im Stadtstaat Berlin sind es nur 0,25 Prozent bis Ende 2027 und 0,5 Prozent | |
bis Ende 2032. Das entspricht rund 450 Hektar und damit immerhin den | |
Ausmaßen des ehemaligen Flughafens Tegel. | |
Erst mit der Freischaltung der Daten für die Öffentlichkeitsbeteiligung | |
werden die genauen Umrisse der acht Flächen ersichtlich sein. Seit einigen | |
Wochen steht immerhin grob fest, wo sie sich befinden: etwa am nördlichen | |
Pankower Stadtrand, im Forst nördlich des Müggelsees, auf den Gatower | |
Rieselfeldern in Spandau, am Teufelsberg im Grunewald sowie im Waldgebiet | |
Jungfernheide am Rand des bereits erwähnten Ex-Flughafens. | |
## Umweltverbände warnen vor falschen Weichenstellungen | |
Heißt das, dass sich schon in einigen Jahren riesige Rotorblätter über | |
beliebten Naherholungsgebieten drehen? Dass Lichtungen in den darbenden | |
Berliner Wald geschlagen werden, um den Klimazielen Genüge zu tun? Nein: So | |
schnell [3][mahlen die Mühlen bekanntlich nicht]. Es ist aber auch nicht | |
auszuschließen, dass neben Kiefern und Eichen bald auch Turbinen in den | |
Berliner Forsten wachsen – weshalb Umweltorganisationen schon vor falschen | |
Weichenstellungen warnen. | |
Laut der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die federführend in der | |
Sache ist, hat sich der Senat „zum Ziel gesetzt, die bundesgesetzliche | |
Vorgabe zu erfüllen“ – denn anderenfalls greife „ein im Gesetz verankert… | |
Automatismus, der zukünftig eine sinnvolle räumliche Steuerung der | |
Windenergienutzung schwieriger macht“. Gemeint ist: Wenn ein Bundesland | |
seine Windenergie-Vorranggebiete nicht rechtzeitig definiert, wird der Bau | |
von Windkraftanlagen auf der gesamten Fläche dieses Bundeslandes zulässig. | |
## Berlin hat gar keine Einschränkungen erlassen | |
Genau das haben die Länder in den vergangenen Jahren immer weiter | |
erschwert, insbesondere durch Regelungen zum Mindestabstand von Windparks | |
zur nächstgelegenen Wohnbebauung. Herausragendes Beispiel ist Bayern, wo | |
jahrelang die „10H-Regelung“ galt, nach der, vereinfacht gesagt, ein | |
Windrad mindestens um das 10-Fache seiner Höhe von Wohngebäuden entfernt | |
sein musste. Das würgte den Bau neuer Anlagen praktisch ab. | |
Aber wie der hiesige Landesverband des BUND schon vor einigen Jahren in | |
einem Positionspapier hervorhob, ist dieses Szenario für Berlin nicht | |
wirklich erheblich. Denn als einziges Bundesland hat es gar keine | |
derartigen Einschränkungen für Windenergie aufgestellt. Würde | |
Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) nicht tätig, bliebe | |
einfach der Status quo erhalten. | |
Sind die Vorzugsflächen aber erst einmal ausgewiesen, tritt der von Senator | |
Gaebler erwähnte Automatismus in Kraft: Dann werden alle übrigen Flächen im | |
Land „entprivilegiert“. Das bedeutet zwar nicht, dass die Errichtung von | |
Windrädern an anderen Stellen verboten wäre, aber es bedürfte immer eines | |
bezirklichen Bebauungsplans – eine viel höhere Hürde gegenüber heute. Wobei | |
Gaebler zugleich zu Recht feststellt, dass umgekehrt die Ausweisung der | |
Windenergiegebiete nicht zwangsläufig bedeute, dass dort unmittelbar nach | |
der Änderung des Flächennutzungsplans Windräder errichtet würden. Eine | |
immissionsschutzrechtliche Genehmigung werde auch weiterhin notwendig sein. | |
## Warum nicht auf Gewerbeflächen? | |
Die Berliner Umwelt- und Naturschutzorganisationen arbeiten aktuell noch an | |
einer gemeinsamen Position zum Thema. Einige von ihnen wie der Nabu nahmen | |
in der Vergangenheit eine deutlich kritischere Haltung gegenüber dem | |
Windkraftausbau ein als andere, etwa der BUND. Letzterer pocht immer auch | |
auf die klimapolitische Notwendigkeit der erneuerbaren Energien. | |
Eine Nabu-Sprecherin sagte der taz, man stehe den Plänen der | |
Senatsverwaltung „sehr kritisch“ gegenüber, „denn Vorranggebiete für den | |
Windenergieausbau wurden weitestgehend in Landschaftsschutzgebiete oder | |
Wälder gepackt“. Dagegen seien Industrie- und Gewerbeflächen fast komplett | |
ausgespart worden. Diese müssten stattdessen zur Nutzung für Windkraft | |
umgewidmet werden, bestehende rechtliche Hürden gelte es abzubauen. | |
Dagegen sei Windenergie in Wäldern abzulehnen, denn diese Ökosysteme würden | |
dadurch „massiv in ihrer Funktion gestört“. Das liege nicht nur am | |
Platzbedarf der Windräder selbst, sondern auch an den Zuwegungen und | |
Abstandsflächen, die der Brandschutz erfordere. Das sieht auch der BUND so: | |
Gegen Windräder in Berlins Wäldern sprächen „die damit verbundenen | |
Konflikte mit dem Natur- und Artenschutz“, aber auch die „überragende | |
Bedeutung für die Naherholung“, heißt es im Positionspapier. | |
Nicht nur von den NaturschützerInnen ist Gegenwind für Gaebler zu erwarten. | |
Auch einige der betroffenen Bezirke haben sich schon fehlendes Verständnis | |
signalisiert. So lehnte der Spandauer Umweltstadtrat Thorsten Schatz (CDU) | |
den Standort in den Gatower Rieselfeldern – einem Landschaftsschutzgebiet – | |
kategorisch ab. Das Büro des Stadtrats für Stadtentwicklung von | |
Charlottenburg-Wilmersdorf, Christoph Brzezinski (ebenfalls CDU), teilte | |
der taz auf Anfrage mit, man bewerte den Standort am Teufelsberg im | |
Grunewald „nach wie vor als sehr kritisch“, auch wenn er nach dem jüngsten | |
Planungsschritt nun kleiner ausfalle. | |
Die von Brzezinski vorgebrachten Argumente entsprechen im Prinzip denen von | |
Nabu und BUND: Es seien eine „gravierende Beeinträchtigung der Freiraum- | |
und Erholungsfunktion“ und ein „hoher Erschließungsaufwand des | |
Waldgebietes“ zu befürchten. Auch gebe es angesichts der den Teufelsberg | |
dominierenden historischen Radarstation Konflikte mit dem | |
denkmalrechtlichen Umgebungsschutz. Und: Das Gebiet grenze an ein | |
Vogelschutzgebiet und ein Flora-Fauna-Habitat-Gebiet. | |
## Windräder als Einnahmequelle | |
Eine etwas andere Herangehensweise hat die grüne Bezirksbürgermeisterin von | |
Pankow, Cordelia Koch. Sie hatte vor zwei Wochen nach Bekanntwerden der | |
neuen Flächenplanung zu Bedenken gegeben, dass der Bezirk pro Windrad | |
150.000 Euro Jahrespacht einnehmen könne – ein gewichtiges Pro-Argument. | |
Auf taz-Nachfrage räumt Koch ein, dass mit diesem Betrag nicht pauschal zu | |
rechnen sei, es aber durchaus um ansehnliche Summen gehe. Konkret schwebt | |
ihr die Zahl von vier neuen Anlagen am Standort Buchholz-Nord vor. Dort, | |
unweit des Berliner Rings, drehen sich schon heute einige der wenigen | |
Bestands-Windräder Berlins. | |
Auch der energiepolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Stefan Taschner, | |
findet, es mache am meisten Sinn, Windkraftanlagen zu „clustern“, also | |
bestehenden Exemplaren weitere hinzuzufügen. Das sei in Hinblick auf den | |
Artenschutz vorzuziehen, weil sich Tiere schon an die Anlagen gewöhnt | |
hätten. Das von Gaebler vorgeschlagene Gebiet Wartenberg/Falkenberg, das in | |
den Bezirken Pankow und Lichtenberg liegt, sieht er hingegen kritisch – in | |
der näheren Umgebung nisteten Störche, für die Windräder ein Problem sein | |
könnten. | |
Andererseits, so Taschner, stünden die Grünen „klar auf der Seite von | |
Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey“, die sage, dass Berlin seinen | |
Beitrag zur Windenergienutzung nicht einfach komplett dem umgebenden | |
Bundesland aufhalsen könne. Die Anpassung der Flächenplanung sei „ein | |
wichtiges Zeichen gegenüber den Brandenburgern.“ | |
Im Prinzip hätte Berlin tatsächlich die Möglichkeit gehabt, auf Kosten des | |
Nachbarlands um weitere Windkraft herumzukommen: Stadtstaaten hatten laut | |
Gesetz die Möglichkeit, bis zu 75 Prozent des Areals auf Flächenländer zu | |
übertragen. Diese Überlegung gab es für Berlin – allerdings lief die | |
entsprechende Frist 2024 ab. Offenbar trug auch der vorgezogene | |
Bundestags-Wahlkampf dazu bei, dass dieses Projekt liegenblieb. | |
9 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.berlin.de/sen/stadtentwicklung/planung/flaechennutzungsplanung/… | |
[2] /Deutsche-Vorschriften-fuer-Windenergie/!5901969 | |
[3] /Windkraftausbau-in-Berlin/!5953904 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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