# taz.de -- Windkraftausbau in Berlin: Eine komplexe Angelegenheit | |
> NaturschützerInnen warnen vor negativen Effekten, die ein Ausbau der | |
> Windenergie in Berlin zur Folge hätte. Dabei ist eine grundlegende Frage | |
> offen. | |
Bild: Windrad zwischen Bäumen: für den Nabu ein No-Go | |
Was wir wissen: Der massive Ausbau der Windkraft in Deutschland erzeugt | |
eine Menge Reibung – nicht nur von der Art, die elektrische Energie | |
erzeugt, sondern gesellschaftliche und politische. Dass viele Menschen in | |
ihrem direkten Lebensumfeld nur ungern von den riesigen Anlagen umstellt | |
sind, ist keine Neuigkeit. Und auch der ernstere, weil ökologische | |
Zielkonflikt ist nicht erst seit gestern bekannt: Windräder haben wohl oder | |
übel negative Auswirkungen auf die Natur, deren Überleben sie ja eigentlich | |
als Element des Klimaschutzes sichern sollen. | |
Verbände wie der Naturschutzbund Nabu warnen schon seit Langem vor den | |
Kollateralschäden der Windernte: Tierindividuen und -arten, die den Rotoren | |
in der Luft zum Opfer fallen, aber auch die Degradierung wertvoller Flächen | |
am Boden. Durch die direkten Standorte der Stahltürme, aber auch durch das | |
Netz der Zufahrtswege, die in Waldgebieten etwa zwangsläufig Rodungen | |
voraussetzen. | |
Da es [1][der Bund mit seinem „Wind-an-Land-Gesetz“] allen Bundesländern | |
zur Pflicht gemacht hat, einen festen Teil ihrer Fläche für Windkraft | |
auszuweisen, hat der [2][Nabu nun auch für Berlin Alarm geschlagen]. In dem | |
Forderungskatalog, den die Organisation an die Politik richtet, fordert sie | |
den völligen Verzicht auf die Ausweisung von Waldflächen und | |
Naturschutzgebieten, ja sogar von Flächen in einem Abstand von bis zu 500 | |
Metern um derart geschützte Gebiete herum. Anderenfalls drohten „massive | |
Verluste von Arten und Natur“. | |
## Wie viele sind es denn nun? | |
Was wir nicht wissen: Wie viele Windräder in Berlin aufgrund der neuen | |
Regelung tatsächlich entstehen könnten. Die vorgegebene Zahl scheint | |
eindeutig zu sein – 0,5 Prozent der Landesfläche bis 2032 hat der | |
Gesetzgeber für die drei Stadtstaaten festgelegt, nur ein Viertel der 2 | |
Prozent, die für die meisten Flächenländer und für die Bundesrepublik im | |
Ganzen gelten. Dass das im Falle Berlins knapp 450 Hektar beziehungsweise | |
4,5 Quadratkilometer sind, lässt sich leicht ausrechnen. Aber wie viele | |
Windkraftanlagen passen darauf? | |
Hier wird es schnell komplexer, als es zuerst aussehen mag. Denn man kann | |
der Kalkulation nicht einfach den tatsächlichen Flächenverbrauch einer | |
durchschnittlichen Windkraftanlage zugrunde legen – täte man es, käme man | |
locker auf Platz für mehr als 400 Windräder. (Notabene: Bislang drehen sich | |
in Berlin, auf Standorten [3][kurz vor der Landesgrenze, exakt sechs | |
Stück].) Tatsächlich brauchen die Anlagen innerhalb eines Windparks aber | |
viel größere Abstände, das gebietet schon die Physik. | |
Die Senatswirtschaftsverwaltung, für Energiefragen zuständig, bezeichnet | |
die Standortfrage als „komplex“ und bekräftigt auf Anfrage, „theoretische | |
Rechenbeispiele“ seien „nicht seriös“. Erst einmal müsse man die | |
Potenzialanalyse abwarten, die derzeit vom Fraunhofer-Institut für | |
Energiewirtschaft und der Bosch GmbH durchgeführt wird. Dennoch stellt auch | |
die Senatsverwaltung eine Zahl in den Raum: Nach einer Berechnung der | |
Fachagentur Wind nähme eine Anlage 21 bis 23 Hektar in Anspruch – das wären | |
theoretisch nur noch 20 Berliner Windräder. | |
Hinzu kommt eine Ausnahme vom Flächenziel im Wind-an-Land-Gesetz: Per | |
Staatsvertrag können Bundesländer sich gegenseitig einen Teil ihrer Pflicht | |
übertragen. Für die Stadtstaaten sind das sogar 75 Prozent der geforderten | |
Fläche. Würde Berlin mit Brandenburg (aktuell: rund 4.000 Windkraftanlagen) | |
geschickt verhandeln und dem Nachbarland in anderen Bereichen | |
entgegenkommen, könnte das im oben erwähnten Minimalfall zur Folge haben, | |
dass in Berlin kein einzige weitere Anlage entstehen müsste. Die | |
NaturschützerInnen könnten tief durchatmen. | |
## Keine Aufweichung in Sicht | |
Klappt das aber nicht, und ist das 20-Windrad-Szenario dann doch zu sehr | |
kleingerechnet, könnte der Bau von Dutzenden Windrädern auf Berlin | |
zukommen. Aktuell deutet jedenfalls nichts darauf hin, dass der Bund, wie | |
der Nabu es fordert, sein Gesetz gleich wieder anpasst und statt eines | |
Flächenziels ein Energiemengenziel vorgibt, das dann etwa durch ein Mehr an | |
Photovoltaik erreicht werden könnte. | |
Dann aber wäre der Zielkonflikt zwischen Klima- und Naturschutz | |
beträchtlich. Um ihn so weit wie möglich auszuräumen, müsste der Senat | |
alles tun, um überall in der Stadt Flächen auszuweisen, wo lediglich das | |
ästhetische Empfinden der Stadtbevölkerung leidet. Aber warum sollte die | |
auch auf Dauer in den Genuss kommen, massiv Energie zu konsumieren und die | |
nicht so schönen Effekte davon ins dünn besiedelte Umland zu verbannen? | |
13 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Wind-an-Land-Gesetz/!5911999 | |
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## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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