| # taz.de -- Bundeswehr auf Minensuche: Unruhige See | |
| > Schattenflotten, Sabotage und Datenkabel – die Ostsee ist seit Russlands | |
| > Angriff zum Brennpunkt geworden. Unterwegs mit der deutschen Marine. | |
| Bild: Von Danzig bis Kiel: über die Ostsee auf deutschen Marineschiffen | |
| Um kurz nach 8 Uhr verschwinden wir in den Tarnmodus. Die | |
| Transpondersignale des Minenjagdboots „Pegnitz“ und anderer Boote sind über | |
| das Identifikationssystem AIS nicht mehr aufzuspüren, die Handys müssen | |
| ausgeschaltet, elektronische Geräte im Spind verstaut werden. An Bord des | |
| deutschen Tenders „Mosel“, einem hundert Meter langen Versorgungsschiff, | |
| das dieses Manöver anführt, herrscht Anspannung. | |
| Kommandant Stefan Ladewich steht mit einem halben Dutzend weiterer | |
| Offiziere auf der Nock, dem offenen Ausguckbereich an der Brücke, und | |
| blickt Richtung Bug: über den Kran, die Containerbeladung und die | |
| Bordgeschütze hinweg auf die enge Ausfahrt des Danziger Hafens. An einem | |
| schweren Maschinengewehr neben Ladewich steht ein Soldat mit Sturmhaube, | |
| Ohrenschützern und Schutzweste. Alle sind auf ihren Posten. Das russische | |
| Kaliningrad samt russischer Kriegsmarine ist nur rund 40 Seemeilen | |
| entfernt. Es wird ernst. | |
| Langsam schiebt sich der graue Versorger vorbei an den Container- und | |
| Kreuzfahrtterminals hinaus in die Danziger Bucht in Richtung offene See. Es | |
| ist Anfang April, ein frischer Frühlingstag, und für die „Mosel“ und | |
| weitere Boote des III. Minensuchgeschwaders der Deutschen Marine beginnt | |
| der zweite Teil eines Manövers in der Ostsee, bei dem auch Partner aus | |
| Nato-Staaten wie Norwegen, Estland und Litauen dabei sind – insgesamt zwölf | |
| Einheiten aus acht Nationen. | |
| In fünf Tagen geht es von Danzig nach Kiel. Fünf Tage auf See, die der | |
| Reporter mit über 100 Soldatinnen und Soldaten an Bord der „Mosel“ | |
| verbringt, ohne Netflix, Whatsapp oder Instagram, dafür mit Dieselgeruch in | |
| der Nase und schaukelnden Nächten in einem schmalen Hochbett hinter | |
| wasserdichten Schotten. Und sehr nah dran an der russischen Kriegsmarine, | |
| Tankern der Schattenflotte, Drohnenabwehrgeräten und dem verbliebenen, noch | |
| intakten [1][Pipeline-Strang von Nord Stream 2.] Es werden Tage, in denen | |
| deutlich wird, dass die Bedrohung eines Krieges zwischen der Nato und | |
| Russland nicht nur näher rückt, sondern längst real ist. | |
| ## Die Lage ist angespannt wie seit Jahrzehnten nicht | |
| Dass alle an Bord ihre Handys ausschalten sollen, hat mit der angespannten | |
| geopolitischen Lage zu tun. Seit Beginn des Ukrainekriegs 2022 kommt es | |
| vor, dass der Empfang mitten auf dem Meer plötzlich gut ist. Eine Falle: | |
| Auf zunächst unscheinbaren Booten befinden sich falsche Sendemasten, in die | |
| sich die Mobilgeräte automatisch einwählen. Russland greift so Daten der | |
| Besatzung ab. In der Vergangenheit habe es schon Schockanrufe bei | |
| Angehörigen gegeben, um zu Hause für Verunsicherung zu sorgen, berichtet | |
| Kommandant Ladewich und spricht von „asymmetrischer, [2][hybrider | |
| Kriegsführung]“. | |
| Seit Jahrzehnten war die geopolitische Lage in der Ostsee nicht mehr so | |
| angespannt. Mit [3][dem Beitritt Schwedens] und Finnlands 2024 in die Nato | |
| ist Russland der einzige Nicht-Nato-Staat, der mit der Gegend um St. | |
| Petersburg und der Exklave Kaliningrad an das Meer grenzt. Für die | |
| baltischen Staaten und Finnland ist ein offener Versorgungsweg über See von | |
| elementarer Bedeutung. | |
| Der Auftrag der Marine dreht sich verstärkt um den [4][Schutz kritischer | |
| Infrastruktur] – schon lange häufen sich Nachrichten über Sabotage an | |
| Unterseekabeln und Spionagevorfälle. Putin teste fortlaufend „rote Linien“ | |
| des Westens aus, erklärte [5][BND-Chef Bruno Kahl] Ende Dezember. | |
| Deutschland sei erklärter „Feind“. | |
| Das spürt auch die Besatzung der „Mosel“. Auf dem Hinweg nach Danzig kam es | |
| für den Marineverband Anfang April zu einem ernsten Zwischenfall. Während | |
| russische Kriegsschiffe in der Nähe waren, flogen mehrere Drohnen auf sie | |
| zu. Eine kam gefährlich nahe: zwei Meter Spannweite, kein Freizeitmodell, | |
| Herkunft offiziell unbekannt. „Threat Warning Surface Yellow, Threat | |
| Warning Air Yellow“ hieß es sogleich aus den Lautsprechern an Bord – eine | |
| Warnstufe, die besagt, dass mit einem Angriff auf der Seeoberfläche und aus | |
| dem Luftraum zu rechnen ist. | |
| ## Keine alltägliche Störung | |
| Der Tender „Mosel“ weckte seine Besatzung und rief den Einsatzmarsch aus, | |
| die zweithöchste Alarmstufe, auch Kriegsmarsch genannt. Einem Soldaten | |
| gelang es, eine der Drohnen mit einem elektronischen Abwehrgerät | |
| aufzuhalten. | |
| Für den Reporter macht er das wenige Tage später noch mal vor: Er schultert | |
| das über acht Kilo schwere Gerät, das aussieht wie eine futuristische | |
| Panzerfaust, und zielt damit in Richtung Horizont. Der „Effektor HP-47“, | |
| wie das Gerät bei der Bundeswehr heißt, stört GPS- und Fernsteuerung der | |
| Drohne auch in mehreren Kilometern Entfernung. | |
| Wäre das Anfang April nicht erfolgreich gelungen, hätte Kommandant Ladewich | |
| womöglich befehlen müssen, das fliegende Objekt mit einem der | |
| Maschinengewehre vom Himmel zu holen. Die Drohnen sollten vermutlich | |
| spionieren oder die Nato-Schiffe aus der Reserve locken. Dass sie über das | |
| Boot fliegen, hätte der Kommandant nicht zulassen können. Auch deshalb sind | |
| die Waffen beim Auslaufen aus der Danziger Bucht besetzt. | |
| Nicht der einzige Vorfall bei diesem Manöver. In den Abendstunden des 3. | |
| April fiel beim Einlaufen der Schiffe in der Danziger Bucht großflächig das | |
| GPS-Satellitensystem aus. Über Stunden hatten Handels- und Freizeitschiffe | |
| Schwierigkeiten mit der Navigation. Die Danziger Bucht erstreckt sich in | |
| einem etwa 100 Kilometer breiten Halbkreis von den polnischen Städten | |
| Gdynia und Danzig im Westen bis zur russischen Exklave Kaliningrad im | |
| Osten. | |
| Ein GPS-Ausfall kam hier bereits mehrfach vor, allerdings nicht in diesem | |
| Ausmaß. Forscher der Maritimen Universität von Gdynia und der polnischen | |
| Firma GPSPATRON hatten Ende 2024 Störungen untersucht und herausgefunden, | |
| dass sie vermutlich auf eine „mobile maritime Quelle“ – also auf ein Schi… | |
| – zurückzuführen seien. Ausdehnung, Dauer und Besonderheiten der Störung | |
| ließ die Forscher auf ein „militärtechnisches Gerät“ als Ursache schlie�… | |
| ## War das Russland? | |
| Über [6][Schiffe der russischen Schattenflotte,] die sanktionierte und | |
| verbotene Ware transportieren, weiß man, dass sie teilweise mit | |
| Spionagetechnik bestückt sind, die nicht nur empfangen, sondern auch senden | |
| kann. So etwa der Tanker „Eagle S“, den die finnische Marine Ende Dezember | |
| festgesetzt hat, weil er mit seinem Anker das Stromkabel Estlink 2 zwischen | |
| Finnland und Estland zerstört haben soll. | |
| Bei vergangenen GPS-Unterbrechungen, die im Ostseeraum unter anderem den | |
| Flugverkehr betrafen, hatten sich wiederum Behörden aus Litauen und Estland | |
| festgelegt und erklärt, diese würden in der russischen Exklave Kaliningrad | |
| ausgelöst. | |
| Und der Vorfall Anfang April in der Danziger Bucht? War das Russland? | |
| Spricht man mit Soldatinnen und Soldaten auf dem Tender „Mosel“, ist die | |
| Sache klar. Ganz offiziell festlegen will sich dazu aber niemand. Dafür | |
| sorgen nicht zuletzt auch die Presseoffiziere, die bei vielen Gesprächen | |
| anwesend sind. Sie ermöglichen dem Reporter Einblicke, achten aber auch | |
| darauf, dass sich keiner an Bord zu einer überstürzten Aussage hinreißen | |
| lässt, die am Ende die geopolitische Lage verschlimmern könnte. Russland, | |
| das ist wichtig, ist in dieser Sprachregelung beispielsweise keinesfalls | |
| „der Feind“ sondern immer nur eine „neutrale Nation“. | |
| Scharf auf einen Krieg wirkt an Bord der „Mosel“ jedenfalls niemand. Ein | |
| Offizier erzählt wehmütig, wie sich die Besatzungen russischer und | |
| deutscher Kriegsschiffe bei der Begegnung auf See vor ein paar Jahren noch | |
| respektvoll salutierten – im Sinne einer „guten Seemannschaft“. | |
| Die Marine, das assoziieren viele womöglich mit Männerbündnissen und | |
| unangenehmem Gehabe. Hier an Bord sieht die Realität anders aus: Da sind | |
| zum einen die weiblichen Soldatinnen, die auf der „Mosel“ auf allen Posten | |
| wirken – oder Leute wie Kapitänleutnant Armin, der erste Wachoffizier, der | |
| nach Kommandant Ladewich an Bord das Sagen hat. | |
| ## Frieden ist immer relativ | |
| Kapitänleutnant Armin hat Tätowierungen an beiden Oberarmen, gendert beim | |
| Reden und engagiert sich außerhalb der Marine in der SPD und der | |
| Flüchtlingshilfe. Vor seiner Kammer steht ein Paar Chucks-Turnschuhe, an | |
| der Wand ein feministisches Poster: „Cinnamon rolls not gender rolls“. | |
| Kapitänleutnant Armin sagt druckreife Sätze wie jenen, dass er zur Marine | |
| gegangen sei, weil er das große Privileg genossen habe, „in relativer | |
| Freiheit und Frieden“ aufgewachsen zu sein und er seinem Land etwas | |
| zurückgeben wollte. „Dass der Beruf des Soldaten oder der Soldatin eben | |
| genau auch für diese Situationen da ist, in der eventuell Freiheit und | |
| Frieden bedroht scheinen, das war mir schon damals bewusst.“ | |
| Dass der Frieden relativ ist, wird für den Reporter spätestens am zweiten | |
| Tag an Bord real. Um 7.13 Uhr, kurz nach dem Weckruf, schallt eine | |
| Durchsage vom ersten Wachoffizier Armin durch die Deckenlautsprecher. Zwei | |
| Schiffe sind in der Nähe, die der Schattenflotte zugezählt und von zwei | |
| russischen Kriegsschiffen begleitet werden. | |
| In solchen Situationen wird es etwas hektischer an Bord. Soldaten hechten | |
| dann auf ihre Stationen, Offiziere klettern die Dutzenden Stufen im | |
| zentralen Treppenturm zur Brücke hinauf. | |
| Fregattenkapitän Mario Bewert steht draußen vor der Brücke. Er ist | |
| Kommandeur und leitet das Manöver. Bewert kneift die Augen zusammen und | |
| zeigt an den Horizont. Man muss genau hinschauen. Auf der Linie zwischen | |
| Wasser und Himmel erheben sich die Silhouetten zweier Handelsschiffe, davor | |
| und dahinter zwei Kriegsschiffe, die an ihren markanten Türmen samt | |
| Radargeräten und Antennen zu erkennen sind. Hinter Bewert hängen für genau | |
| diesen Zweck laminierte Fotos neben der Tür: „verdächtiger Fischer“ steht | |
| auf einer der Karten und an der Scheibe darüber zeigt ein Poster rund ein | |
| Dutzend Kähne der russischen Schattenflotte. | |
| Die Schiffe, die an diesem Tag unterwegs sind, heißen „Sparta IV“ und | |
| „General Skobelev“, ein Containerschiff und ein Tanker. Sie sind offiziell | |
| auf dem Weg von St. Petersburg nach Port Said in Ägypten. Beide sind alte | |
| Bekannte: Sie werden auf Fachportalen mit zum sogenannten „Syrien-Express“ | |
| gezählt. Demnach werde die „Sparta IV“ für Waffen- und Munitionstransporte | |
| zwischen Syrien und Russland genutzt. | |
| ## Verdacht auf illegalen Handel | |
| Die „General Skobelev“ wiederum steht im Verdacht, sich am illegalen Handel | |
| mit sanktionierter Fracht zu beteiligen und dabei zu helfen, die | |
| Ölpreisobergrenze zu umgehen. Mehrfach soll das Schiff wegen möglicher | |
| Verstöße gegen Umwelt- und Sicherheitsbestimmungen auffällig geworden sein. | |
| Warum die Deutsche Marine nicht eingreift? „Wir sind in internationalen | |
| Gewässern und die Russen haben das gleiche Recht wie wir, hier | |
| durchzufahren. Wir haben aneinander vorbei navigiert und kein Kontakt | |
| aufgenommen. Aber die Schiffe wurden aufgeklärt.“ Das heißt, ein Soldat hat | |
| mit einem fast ein Meter großen Objektiv einige Fotos gemacht. Ob auch | |
| ausgefeiltere Aufklärungstechnik zum Einsatz kam, darüber erfährt der | |
| Reporter nichts. | |
| Die Schiffe genau zu beobachten, in der Ostsee ein „Lagebild“ zu erstellen | |
| – das gehört zur großen Aufgabe der Deutschen Marine. Seit Januar 2025 | |
| geschieht das im Rahmen der Nato-Mission „Baltic Sentry“, mit der auf die | |
| Sorge um die maritime kritische Infrastruktur in der Ostsee reagiert wird. | |
| Datenkabel, Stromtrassen und Pipelines verlaufen hier kreuz und quer über | |
| den Meeresboden. | |
| Zwar sind für deren Sicherung zunächst die privaten Betreiberfirmen selbst | |
| verantwortlich. Doch spätestens seit der Sprengung dreier der vier Stränge | |
| der Gaspipelines [7][Nord Stream 1 und 2 durch mutmaßlich ukrainische | |
| Spezialkräfte] im September 2022 ist man sich in der Nato bewusst, wie | |
| verwundbar die maritime kritische Infrastruktur ist. Jetzt wird die Ostsee | |
| mit Kriegsschiffen, Drohnen und Flugzeugen stärker überwacht. Doch | |
| Aufnahmen aus der Luft reichen nur bis zur Wasseroberfläche. Darunter wird | |
| es deutlich schwieriger. | |
| Manövern wie jenem im April, bei denen vornehmlich Minenjagdboote wie die | |
| „Pegnitz“ oder die „Weilheim“ beteiligt sind, kommt eine neue Bedeutung… | |
| Die Boote sind mit Sonargeräten und Unterwasserdrohnen darauf | |
| spezialisiert, die Unterwasserwelt zu erkunden. Das 3. Minensuchgeschwader | |
| war deshalb auch an der Aufklärung des Anschlags auf die | |
| Nord-Stream-Pipelines beteiligt. In den vergangenen Jahren kümmerten sich | |
| die Minenjäger dagegen vornehmlich um Altlasten. Hunderttausende Tonnen | |
| Munition und Seeminen aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg befinden sich | |
| auf dem Grund der Ostsee und sind teils noch funktionsfähig. | |
| ## Friedliche Weite für einen Moment | |
| Doch seit drei Jahren kann die Welt beobachten, welche Bedeutung der Kampf | |
| mit Seeminen auch heute noch haben kann: Die Ukraine hielt mit ihnen die | |
| gefürchtete russische Schwarzmeerflotte auf Abstand. Und auch Russland | |
| setzt Seeminen ein. Länder wie Finnland, deren Versorgung fast | |
| ausschließlich auf dem Seeweg über die Ostsee basiert, könnten mit Minen | |
| empfindlich gestört werden. | |
| Für Minenjagdboote kommt nun die Sicherung kritischer Infrastruktur am | |
| Meeresboden hinzu. Wie das aussieht, will sich der Reporter mit zwei | |
| weiteren Journalisten aus der Nähe anschauen. Vom Tender „Mosel“ setzen wir | |
| in einer kleinen Gruppe zum Minenjagdboot „Weilheim“ über. | |
| Für die Fahrt in einem Zodiac-Schlauchboot mit Aluminiumrumpf, das bei der | |
| Marine „Gecko“ heißt, zwängen wir uns in knallrote Überlebensanzüge, | |
| stülpen Rettungswesten und Helme über. Die Ostsee hat hier 6 Grad Celsius | |
| Wassertemperatur, wer ohne Schutzausrüstung reinfällt, überlebt das nicht | |
| lange. Einen Tag zuvor peitschten bei einer Fahrt mit dem Gecko noch die | |
| Wellen gegen den Rumpf und türmten sich fast zwei Meter vor uns auf. Das | |
| Boot sprang mit Vollspeed von 36 Knoten immer wieder hoch, knallte aufs | |
| Wasser und malträtierte die Wirbelsäulen der Journalisten und die Knie der | |
| Bootsführer. | |
| Doch an diesem Tag ist die See ganz ruhig. Rundherum nur der Horizont. Eine | |
| friedliche Weite, zumindest in diesem kurzen Moment. | |
| Nach ein paar Minuten prallt das kleine Boot an der grauen Seitenwand der | |
| „Weilheim“ auf. Wir kraxeln über eine Strickleiter an Bord. Kommandant | |
| Maximilian Hirnstein, ein Mann mit dunklem kurzen Vollbart und schüchternem | |
| Lächeln, erwartet uns. Er trägt drei goldene Streifen auf der Schulter | |
| seiner Jacke und ist vom Rang Korvettenkapitän. Der Mitte-dreißig-Jährige | |
| befehligt die in der Regel 42 Besatzungsmitglieder auf dem 54 Meter langen | |
| und neun Meter breiten Boot. Hirnstein übernahm 2022 das Kommando über die | |
| „Weilheim“ von Beata Król, die danach unter anderem den ständigen | |
| Minenabwehrverband der Nato leitete. | |
| Auf dem Achterdeck warten Soldaten an einem Gerät, das aussieht wie ein | |
| kleiner Torpedo. Es ist der „Seefuchs“, eine Drohne, die an einem Kabel bis | |
| auf den Meeresboden fahren kann. Wie lang das Kabel ist? „Geheim“, sagt | |
| einer der Offiziere. Aber jedenfalls länger als 450 Meter, also die tiefste | |
| Stelle in der Ostsee. | |
| ## Eine „utopische“ Aufgabe | |
| Während wir uns weiter den Weg an Bord bahnen, vorbei an einer Gruppe | |
| Minentauchern, die neben einer Druckausgleichskammer ausharren, und wir | |
| vergeblich versuchen, uns an den niedrigen Schleusentüren nicht den Kopf zu | |
| stoßen, schlummert in der Meerestiefe eine Überraschung. Genau hier, unter | |
| uns am Boden der Ostsee, verläuft der verbliebene intakte Strang der | |
| Gaspipeline Nord Stream 2. | |
| Kommandant Hirnstein klettert von der Brücke über eine steile Metalltreppe | |
| einen Schacht hinunter, der nur durch ein paar Rotlichtröhren beleuchtet | |
| ist. „Restricted Area“ steht an einer Tür – die Operationszentrale. Der | |
| ganze Raum ist als geheim eingestuft. Dass Journalisten hier hineindürfen, | |
| ist selten. In der düsteren Kammer unter der Brücke leuchten Bildschirme | |
| für Sonar und für Radargeräte und Sensoren für elektromagnetische | |
| Strahlung. | |
| Wie tief die Geräte operieren können oder wie weit, welche Möglichkeiten | |
| das Boot hat, welche Technik – all das sollen unfreundliche Armeen nicht so | |
| genau wissen. | |
| Und dann gibt es noch den Seefuchs. An einem kleinen Kran hieven die Männer | |
| und Frauen die Unterwasserdrohne über Bord und lassen sie ins Wasser | |
| gleiten. Das orangene Datenkabel surrt von der Spule, sieben Meter, acht | |
| Meter, dann ist das Gefährt kaum noch zu erkennen. Nur eine kleine Bugwelle | |
| an der Wasseroberfläche zeugt noch von der Richtung, in die der Seefuchs | |
| abtaucht. | |
| Gesteuert wird die Drohne zur gleichen Zeit in der Operationszentrale unter | |
| Deck. Rechts vom Kommandanten Hirnstein sitzt der Drohnenfahrer. Vor ihm | |
| strahlt auf einer blauen Anzeige das Sonar-Bild der Drohne. Nach ein paar | |
| Minuten zieht sich von links nach rechts ein gelb ausfransender Strich wie | |
| ein Faden durch das Bild: Nord Stream 2. | |
| Vor Kommandant Hirnstein erscheint nun ein Videobild. Zunächst sieht man | |
| nicht viel: ein grauer Verlauf, schummerige Schlieren, trübes Wasser. Dann, | |
| plötzlich, erscheint das runde Rohr der Pipeline. Sie liegt zur Hälfte im | |
| Schlick und sieht aus, als wäre sie an ein paar Stellen mit Muscheln | |
| besetzt. Auf den zwei Metern, die man hier erkennt, scheint so weit alles | |
| in Ordnung. | |
| Bleiben weitere 1.223.998 Meter. Wie schwierig es sei, die lückenlos zu | |
| überwachen, fragt der Journalist. „Utopisch“, heißt es hier im Raum. Doch | |
| darum soll es nicht gehen. Sondern um Abschreckung, Aufklärung, verstärkte | |
| internationale Zusammenarbeit. Um die Präsentation der Fähigkeiten und eine | |
| Vorbereitung auf einen möglichen Krieg, von dem alle hier hoffen, dass es | |
| nur bei einem Brodeln bleibt. | |
| 8 Jun 2025 | |
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