| # taz.de -- Performance bei Festival in Hannover: Die beste aller möglichen We… | |
| > Bei den Kunstfestspielen Herrenhausen flaniert man mit Leibniz. Mit der | |
| > Performance „Habitat“ war Headbangen und viel Nacktes zu erleben. | |
| Bild: Einfach die nackten Tatsachen: die Performance „Habitat / Herrenhausen�… | |
| Einst Lustgarten der Welfen-Sommerresidenz, heute Touristenattraktion. In | |
| strahlend reinem Weiß kontrastieren Statuen die satt rasengrünen Rechtecke | |
| zwischen ihren Sockeln. Abgezirkelte Beete, Rabatten, Buchsbaumornamente | |
| und streng rasierte Hainbuchenhecken werden von hellem Kies, Schredderholz | |
| und schwarzer Erde umspielt, hier mal ein Pavillon, dort Wasserspiele. | |
| Barocke Pracht, in Muster gezwungen und geometrisch geordnet, ja, eine | |
| geradezu göttliche, alles Böse vermeintlich kontrollierende Harmonie | |
| repräsentierend, wie Herr Leibniz vielleicht gedacht haben mag, als er dort | |
| mit Sophie von der Pfalz, Kurfürstin von Hannover, [1][philosophierend | |
| herumflanierte.] | |
| Und so empfangen die Herrenhäuser Gärten ihre Gäste zum jetzt 350. | |
| Geburtstag mit seinem als Lichtinstallation (von Tim Etchells) | |
| präsentierten Postulat, dass wir nach Leibniz in „The best of all possible | |
| worlds“ leben, weil ein allmächtiger, -wissender und -gütiger Gott ja gar | |
| nicht anders kann, als die beste aller möglichen Welten zu erschaffen. | |
| Dass mit ihr natürlich pfleglich umzugehen und sie weiter zu entwickeln | |
| ist, wird beim Bespötteln dieser Argumentation gern vergessen. So wie auch | |
| die 50 Hektar große Anlage pfleglich begärtnert und jährlich mit großen | |
| Festen, Feuerwerken und auch den [2][Kunstfestspielen Herrenhausen] für die | |
| Zukunft aufgestellt werden muss. | |
| Am ersten Festspielwochenende lud Choreografin Doris Uhlich zu einem | |
| Spaziergang, der den Garten in einer Tanzperformance als „Habitat“ der | |
| Nacktmenschen entdecken ließ, die abends ihre Verstecke verlassen. Statt in | |
| Abendgarderobe schmissen sich dafür annähernd 400 Menschen in | |
| Outdoorkleidung, denn der Wind verbog die Palmen hinterm Schloss, zum | |
| Bibbern runtergekühlt war die Temperatur. | |
| In höflichem Abstand knäulten sich die Neugierigen vor vier sanft | |
| plätschernden Kaskaden, und wie aus dem Nichts tauchten 50 | |
| Performer:innen unterschiedlichen Alters und vielfältiger | |
| Gewichtsklassen auf, einige im Rollstuhl, andere mit OP-Narben. Alle nackt. | |
| Ungeschützt schrieben sie so ihre Haut- in die historischen | |
| Gartenlandschaften ein. Schmiegten sich hüllenlos an Balustraden, zeigten | |
| Tanzposen, wiegten händchenhaltend hin und her, hopsten sich warm, ließen | |
| Penisse schwingen, Brüste hüpfen, erstarrten zu Skulpturen und | |
| dialogisierten in choreografischen Miniaturen mit der Architektur. Aus | |
| einem Ort toter Steine wurden Tableaux vivants. | |
| Das Publikum fremdelte mit der ungenierten Nacktheit. Anfassen verboten, | |
| klar. Aber auch Angucken ist für strikt antisexistische Gegenwartsmenschen | |
| nicht unbeschwert möglich. Um sich von der Objektifizierung unbekleideter | |
| Körper zu emanzipieren, wurde beiläufiges Stieren und betont abgeklärtes | |
| Kommentieren versucht. „In der Sauna sehe ich das auch alles.“ | |
| Aber die Irritation verlief sich bald, da die naturbelassenen Körper mit | |
| schönster Selbstverständlichkeit durchs verschwenderisch inszenierte | |
| Ambiente bummelten. Im Gartentheater aber, zwischen pyramidalen Bäumchen | |
| und vergoldeten Bleifiguren, klatschten sie ringkämpfend aneinander und zum | |
| Leiberturm aufeinander. Eine Ode an die Opulenz des Barocks, die sich ja | |
| auch im Schönheitsideal der Weichheit einer üppigen Fleischlichkeit zeigte. | |
| Entsprechend versetzten Performer:innen mit zuckenden Muskelpartien ihr | |
| Fettgewebe in schwabbeliges Vibrieren, so dass Bewegungswellen über die | |
| Körper liefen. Statt schamvollem Applaus nun jubelnde Zustimmung zum | |
| vermeintlichen Statement: Wir sind alle anders, alle schön, lasst unsere | |
| diversen körperlichen Ausformulierungen tanzen. | |
| Diesen Befreiungsgestus setzte die Uhlich-Kunst mit mächtigem Techno-Wumms | |
| und wilder Physis gegen die zurechtgestutzte und so als beherrschbar | |
| illusionierte Natur. Zu erleben war auch Headbangen mit barocken Perücken | |
| und ekstatische Entblößungsmotorik, als mal kurz Reifrockskelette | |
| übergestreift wurden. Final wurde auf einer Freifläche zum Rave gebeten. | |
| Der formalisierte Barockgarten hatte sich der Leibniz’schen Freiheit zum | |
| Individuellen geöffnet und war daher an diesem Abend die beste aller | |
| möglichen Welten. | |
| 31 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jens Fischer | |
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