# taz.de -- Erinnerung an Fanny Hensel: Trau’ nicht den Frühlingstagen, der … | |
> Sie musste hinter ihrem Bruder Felix zurückstehen: In einem | |
> Friedhofssalon in Berlin gedenkt man der Komponistin Fanny Hensel, | |
> geborene Mendelssohn. | |
Bild: Fanny Hensel in einem Porträtbild, das im Leipziger Mendelssohn-Haus zu … | |
Ein frischer Maiwind rauscht in den Bäumen der Friedhöfe am Halleschen | |
Tor. Die Sonne schickt schräge Spätnachmittagsstrahlen durch wehende | |
Zweige. Ein wenig verzerrt, aber deutlich tönt Musik über die Gräber; da | |
singt eine Frau, die klingt wie Claire Waldoff. | |
Wirklich, die legendäre Varieté-Sängerin hier auf dem Berliner Friedhof? | |
Hinter der nächsten Mauer offenbart sich die Quelle der Klänge: Menschen | |
sitzen im Rund auf blauen Plastikstühlen, die schön kontrastieren mit dem | |
roten Trichter eines alten Grammophons, das am Rand des Halbkreises | |
aufgebaut ist. Hinzutretende Personen werden freundlich mit einem | |
Programmzettel bedacht. „Leben und Sterben im Mai“ steht in Großbuchstaben | |
darauf und, kleingedruckt: „Friedhofs-Salon an den Ehrengräbern ihrer | |
Familie zum 178. Todestag Fanny Hensels“. | |
Denn Fanny Hensel, die [1][„gleichbegabte“ (schrieb Goethe) Schwester Felix | |
Mendelssohn Bartholdys] starb am 14. Mai 1847, mit gerade einmal 41 Jahren, | |
an einem Schlaganfall. (Ein halbes Jahr später folgte der Bruder ihr nach.) | |
Es war ein Freitag, und Fanny hatte soeben mit einem Ensemble für ihre | |
„Sonntagsmusik“ geprobt, die zwei Tage später stattfinden sollte, als sie | |
sich auf einmal nicht wohl fühlte und sich hinlegen musste. Den Sonntag | |
erlebte sie nicht mehr, und mit den „Sonntagsmusiken“ war nach ihrem Tod | |
Schluss. | |
Fanny, geborene Mendelssohn, verheiratete Hensel, hatte mit diesen | |
Privatkonzerten, die im Saal des elterlichen Anwesens in Berlin in der | |
Leipziger Straße 3 stattfanden, eine beliebte kulturelle Institution und | |
gleichzeitig für sich selbst einen gesellschaftlich akzeptierten Rahmen | |
geschaffen, in dem sie ihre musikalischen Fähigkeiten frei entfalten | |
konnte. | |
Berufsmusikerin zu werden, öffentlich aufzutreten, sich einen Namen in der | |
Welt zu machen, das war für sie undenkbar gewesen. Die Musik könne, wie der | |
Vater seiner erschreckend hochbegabten Tochter mahnend schrieb, als sie | |
fünfzehn war, „für dich stets nur Zierde, niemals Grundbass Deines Seins | |
und Thuns werden“. Bruder Felix stimmte darin mit dem Vater überein. | |
## Texte aus Briefen und Tagebucheinträgen | |
Zu Fannys Lebzeiten wurden nur sehr wenige Stücke aus ihrer Feder | |
veröffentlicht, lange nach dem Tod des Vaters, und erst seit dem | |
ausgehenden 20. Jahrhundert wird ihr reiches kompositorisches Werk nach und | |
nach wirklich entdeckt. | |
Der Friedhofs-Salon zu Ehren ihres Todestags, veranstaltet von der | |
Mendelssohn-Gesellschaft und dem Evangelischen Friedhofsverband Berlin | |
Stadtmitte, geht allerdings einen anderen Weg des Gedenkens. Getreu dem | |
großgedruckten Motto „Leben und Sterben im Mai“ werden Texte aus Briefen | |
und Tagebucheinträgen Fanny Hensels verlesen, die sie über die Jahre | |
hinweg im Monat Mai verfasste. Es enttäuscht etwas, dass darin praktisch | |
nie von Musik die Rede ist, sondern nur von allen möglichen Alltagsdingen | |
und -begebenheiten, daneben auch von privaten Tragödien – unter anderem | |
Tot- und Fehlgeburten. | |
Bei dem allerletzten Brief, der von Fanny Hensel überliefert ist, handelt | |
es sich um eine kurze Notiz an einen Bekannten, den sie dringend | |
auffordert, am Freitag zur Probe für die Sonntagsmusik zu kommen. Es sollte | |
der Freitag sein, an dem sie starb. | |
Während der Lesungen kurbelt Grammophonbesitzer Michael Halfmann, der einen | |
Teil seiner Schellackplattensammlung mitgebracht hat, sachte an seinem | |
Gerät herum, um es für den nächsten Einsatz zu präparieren. Auch die | |
Musiknummern kreisen um das Thema „Mai“ und sind von unterschiedlicher Ton- | |
und sonstiger Qualität, haben aber mit den Mendelssohns nichts zu tun, | |
abgesehen von einem „Lied ohne Worte“ des Fanny-Bruders, das unter dem | |
Titel „May Breeze“ 1925 eingespielt wurde. Ja, aber es ist schon grandios, | |
dass wir, dank unverwüstlicher Grammophontechnik, noch heutzutage eine | |
Aufnahme sogar aus dem Jahr 1910 hören können! Auch wenn der darin vom | |
Nebe-Quartett intonierte Liedtext ziemlich Mai-skeptisch ausfällt: „Trau’ | |
nicht den Frühlingstagen,/ Der lichten Sonne Pracht/ Es schwinden alle | |
Träume/ Dahin in einer Nacht!“ | |
17 May 2025 | |
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[1] /Fanny-Hensel-Ausstellung-in-Leipzig/!5459461 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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