# taz.de -- Buch über Rolle der Polizei: Staatsbürger mit Bodycam | |
> Welche Rolle sollte die Polizei in einer vielfältigen Gesellschaft | |
> spielen? Dieser frage geht ein soziologischer Sammelband nach. | |
Bild: Bodycams müssen eingeschaltet werden, Beamte gekennzeichnet: Vorschläge… | |
Da gab es Morddrohungen gegen Linke und Journalisten, [1][unterschrieben | |
mit „NSU 2.0“], für die Polizisten vorher illegal private Daten in | |
Polizeicomputern abgefragt hatten. Es ballten sich [2][Meldungen über | |
rechtsextreme Polizei-Chatgruppen wie „Itiotentreff“], in denen Polizisten | |
Nazi-Nachrichten verschickten – und trotzdem weiter im Dienst sind. 2024 | |
wurden in Deutschland 22 Menschen durch Schüsse von Polizist:innen | |
getötet, so viele wie noch nie seit Beginn der Erfassung 1991. Und | |
überproportional oft trifft es Nicht-Weiße, wie [3][den 21-jährigen Lorenz | |
A. am Ostersonntag in Oldenburg]. | |
Zeigt die Häufung solcher Nachrichten, dass [4][rechtsextreme Haltungen | |
innerhalb der Polizei] zunehmen? Wenn ja: Tun sie das schneller als in der | |
übrigen Gesellschaft? Oder ist es vielleicht so, dass althergebrachte, | |
stabile Einstellungsmuster der Cop Culture heute eher öffentlich bekannt | |
und skandalisiert werden, weil es dafür mehr Problembewusstsein gibt? | |
Solche Fragen werden häufig lapidar mit der Formel abgetan, die Polizei sei | |
eben ein „Spiegel der Gesellschaft“. Weit genauer hin schaut der unter | |
anderem von der Soziologin [5][Sabrina Ellebrecht herausgegebene neue | |
Sammelband „Die Polizei in der offenen Gesellschaft“.] Er präsentiert die | |
Ergebnisse des 2019 gestarteten gleichnamigen Forschungsprojekts von Uni | |
Freiburg, der Deutschen Hochschule der Polizei und dem Max-Planck-Institut | |
zur Erforschung von Kriminalität. Namhafte Autor:innen gehen der Frage | |
nach, wie Polizei in einer sozial vielfältigen Gesellschaft handeln kann, | |
ohne selbst gesellschaftliche Exklusion zu verstärken. | |
Im Buch wird dargestellt, dass es relativierend und kontraproduktiv wirkt, | |
wenn Verantwortliche sich darauf zurückziehen, dass sich | |
„[6][menschenfeindliche Positionen]“ eben „wie in der Gesamtbevölkerung | |
auch in der Polizei“ finden lassen. Dem entgegengehalten wird etwa die | |
Haltung eines ehemaligen baden-württembergischen LKA-Chefs, der sagt: „Das | |
kann nicht unser Anspruch sein. Unser Anspruch muss höher liegen.“ | |
Wie kann dieser höhere Anspruch erfüllbar gemacht werden? Der Band | |
diskutiert dazu unter anderem Konzepte wie institutionellen Rassismus, | |
diskriminierungssensible Polizeiarbeit, Diversitätsmanagement und Community | |
Policing. An einer diverseren Polizei, soviel wird klar, führt kein Weg | |
vorbei. Doch weder können „Quotentürken“ im Team das Problem lösen, noch | |
wäre es legitim, „diversen“ Polizist:innen dafür besondere | |
Verantwortung aufzubürden. | |
Zu den großen Stärken des Bandes zählt, dass sowohl Polizist:innen, | |
Forschende an Polizeihochschulen als auch Vertreter:innen der | |
kritischen Zivilgesellschaft wie die „Kampagne für Opfer rassistischer | |
Polizeigewalt“ zu Wort kommen. Einer ihrer Gründer, der aus Indien | |
stammende [7][Historiker Biplab Basu], verfasste für den Band kurz vor | |
seinem Tod im März 2024 gemeinsam mit dem in Bochum lehrenden | |
Sozialwissenschaftler Karim Fereidooni einen Maßnahmenkatalog, um | |
Polizeiarbeit „rassismuskritisch zu gestalten“. | |
Die darin aufgelisteten Forderungen sind nicht neu, aber dafür Ergebnis | |
umfassender Diskussionen, auch unter Betroffenen. Die Grundannahme ist, | |
dass Diskriminierung nur abgebaut werden kann, wenn die [8][Polizeikultur] | |
verändert wird. So sollen unter anderem verbindliche rassismuskritische | |
Fortbildungen Vorurteile aufbrechen, unabhängige Beschwerdestellen sollen | |
bei Verdacht auf Fehlverhalten ermitteln können, Bodycams verpflichtend | |
eingeschaltet werden müssen, Beamte gekennzeichnet oder „Quittungen“ nach | |
polizeilichen Maßnahmen ausgestellt werden. | |
Rechte Polizeigewerkschafter:innen, Krawallmedien und konservative | |
Innenpolitiker:innen wehren solche Forderungen seit langem als | |
Ausdruck eines unangebrachten Generalverdachts ab und beschwören | |
stattdessen, es brauche mehr „Rückendeckung“ und mehr Rechte für die | |
Polizei. Die eigentliche politische Herausforderung bei dem Thema liegt | |
deshalb wohl in der Frage, wie ein Klima geschaffen werden kann, in dem | |
demokratische Ansprüche an die Polizei offener verhandelt und die bereits | |
beschrittenen Wege konsequenter weiter gegangen werden. Leicht ist das | |
nicht, der Band aber gibt eine Vorstellung davon, wie es gehen könnte. | |
27 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Drohmail-Affaere-NSU-20/!5831543 | |
[2] /Rechtsextreme-Polizeichats-in-Hessen/!6020271 | |
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[5] https://www.transcript-verlag.de/media/pdf/6f/1c/ec/oa9783839468302h8kQzQP4… | |
[6] /Jahresbilanz-2024-der-Beratungsstellen/!6089238 | |
[7] /Aktivist-Biplab-Basu-ist-tot/!5998725 | |
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## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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