# taz.de -- Stärkster Landesverband: NRW-SPD rechnet mit Klingbeil ab | |
> Beim Landesparteitag der nordrhein-westfälischen Genoss:innen muss | |
> sich SPD-Bundeschef Lars Klingbeil harte Kritik anhören. Dennoch will er | |
> die Partei nicht nach links rücken. | |
Bild: Lars Klingbeil, SPD-Parteivorsitzender, spricht während des Landespartei… | |
Duisburg taz | Als Lars Klingbeil am Samstagmorgen um 11:24 Uhr den | |
Parteitag des größten sozialdemokratischen Landesverbands | |
Nordrhein-Westfalen betritt, scheint die Welt noch in Ordnung: Ein | |
übergroßer Teil der 431 anwesenden Delegierten begrüßt den seit Dezember | |
2021 amtierenden SPD-Bundesvorsitzenden in der Duisburger Mercatorhalle mit | |
Standing Ovations – trotz aller Kritik vor allem der Parteilinken am | |
Koalitionsvertrag mit der CDU, trotz Klingbeils eigenem kometenhaften | |
Aufstieg über den Kurzzeit-Bundestagsfraktionsvorsitz zum Finanzminister | |
und Vizekanzler. Wie bestellt erntet der „liebe Lars“, wie die | |
Co-Landesvorsitzende Sarah Philipp Klingbeil nennt, durchaus warmen | |
Applaus. | |
Selbstverständlich ist das nicht. Schließlich hat der NRW-Landesvorstand | |
zum Parteitag einen Leitantrag vorgelegt, der sich wahlweise als | |
schonungslose Analyse oder als Abrechnung mit Klingbeil lesen lässt. Die | |
Bundestagswahl vom 23. Februar bedeute eine „katastrophale Niederlage“, | |
klagt die Landesparteispitze darin. Das historisch schlechte SPD-Ergebnis | |
von 16,4 Prozent stehe für einen „Tiefpunkt der deutschen | |
Sozialdemokratie“. | |
Schon nach dem knappen Wahlsieg von Ex-Kanzler Olaf Scholz 2021 sei es | |
„nicht nur aus heutiger Sicht realitätsfern“ gewesen, auf „den Beginn ei… | |
sozialdemokratischen Jahrzehnts“ gehofft zu haben – eine direkte Spitze | |
gegen Klingbeil, aus dessen Bewerbungsrede für den Bundesvorsitz 2021 das | |
Zitat stammt. | |
„Katastrophal“: Das sei auch insgesamt das Bild gewesen, das Scholz’ Ampel | |
„seit dem sogenannten Heizungsgesetz und spätestens nach dem Urteil des | |
Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds“, welches der | |
SPD-geführten Regierung jeden finanziellen Spielraum nahm und zum | |
Dauerstreit mit der FDP führte, abgegeben habe. Überhaupt, die Ampel: Der | |
„ständige Streit vor allem mit der marktliberalen FDP überdeckte alles“, | |
klagt die Spitze der NRW-SPD um Sarah Philipp und ihren Co-Vorsitzenden | |
Achim Post. | |
Schon die Kanzlerwahl von Scholz 2021 sei „weniger ein Wahlsieg der SPD“ | |
und mehr „eine Niederlage der anderen“ gewesen, heißt es in dem Leitantrag | |
ernüchtert. „Denn tatsächlich befinden wir uns mit dieser einen Ausnahme | |
seit zwei Jahrzehnten in einer Phase der kleinen Aufs und großen Abs“ – und | |
das habe auch Folgen für den mit aktuell 86.000 Mitgliedern noch immer | |
stärksten Landesverband: In NRW drohe eine Entwicklung hin zu einer | |
„Regionalpartei des Ruhrgebiets“. Denn: „Mit wenigen Ausnahmen gewinnen w… | |
nur noch dort Direktmandate.“ | |
Doch Klingbeil kennt die Kritik, die wohl auch der Besänftigung der Wut, | |
der Kanalisierung der Enttäuschung der Delegierten wie der Parteibasis | |
dienen soll – und liefert: Natürlich habe er die Debatte um den Leitantrag | |
verfolgt, natürlich seien große Teile der Analyse richtig. | |
16,4 Prozent – was solle „das denn sonst sein als ein Tiefpunkt in der | |
Geschichte der Sozialdemokratie?“, fragt der Parteichef, dem nicht wenige | |
Genoss:innen vorwerfen, mit Olaf Scholz schlicht auf den falschen | |
Kanzlerkandidaten gesetzt und dem beliebtesten Politiker Deutschlands, | |
Verteidigungsminister Boris Pistorius, nicht ausreichend den Rücken | |
gestärkt zu haben. | |
„Natürlich haben wir, natürlich habe auch ich Fehler gemacht“, räumt der | |
SPD-Chef ein. Zwar nimmt er Pistorius’ Namen nicht in den Mund. Allerdings: | |
Er selbst habe die gerade für die SPD-Klientel wichtige „Industriepolitik | |
vernachlässigt“, übt sich Klingbeil in Selbstkritik. Jetzt aber kämpfe die | |
Partei „um jeden Industriearbeitsplatz“ – nicht umsonst seien „niedrige… | |
Energiepreise, Investitionen, Bürokratieabbau“ im Koalitionsvertrag mit der | |
Union festgeschrieben. | |
„Wenn die Beschäftigten jeden Tag merken, die Sozialdemokratie kämpft für | |
uns, werden wir auch wieder stark“, hofft der Bundesvorsitzende. Auch die | |
Themen Mindestlohn, Tariftreue bei der Vergabe von Staatsaufträgen, die | |
Sicherung des Rentenniveaus sollen bei der SPD einzahlen, wirbt Klingbeil. | |
Doch vor allem jungen Genoss:innen reicht das nicht. Die Partei sei „auf | |
Bundesebene offensichtlich bis zum heutigen Tage nicht in der Lage, eine | |
ernsthafte Aufarbeitung des Niedergangs der SPD zu liefern“, kritisiert die | |
Landesvorsitzende der NRW-Jusos, Nina Gaedike. Viele in der Partei würden | |
die von der Union durchgesetzte Verschärfung des Asylrechts und den harten | |
Kurs gegen Grundsicherungsbezieher:innen, die wieder um jeden Preis in | |
Billig-Jobs vermittelt werden sollen, nicht unterstützen. | |
Überhaupt: „Der Niedergang der Sozialdemokratie setzte ein, als wir Hartz | |
IV einführten und uns von unserem Kampf für einen gerechten und | |
auffangenden Sozialstaat verabschiedet haben“, glaubt die | |
Juso-Landeschefin. | |
Harte Kritik kommt auch von dem Studenten Berat Arifi aus Gelsenkirchen. | |
„Da draußen kämpfen Menschen mit jeder Stromrechnung – und wir reden | |
ernsthaft davon, Leistungen zu kürzen?“, fragt der 26-Jährige. Wer wie | |
Klingbeil „progressive Stimmen rausgekegelt“ habe, klagt Arifi mit Blick | |
auf die ohne Minister:innenamt abservierte Co-Bundesparteichefin | |
Saskia Esken, habe „nicht nur das Gespür für die Partei verloren, sondern | |
auch den moralischen Kompass“. | |
Und Stephie Helder-Notzon, Vorsitzende der SPD-Frauen in der wichtigen | |
Parteiregion Westliches Westfalen, warnt, auch mit dem Ende der Karriere | |
von Ex-Entwicklungsministerin Svenja Schulze gebe die SPD ein | |
„frauenfeindliches Bild“ ab. | |
Klingbeil kontert, er sei zu jeder Diskussion bereit – und komme dazu | |
„gern“ noch einmal nach NRW. Doch den Vorwurf von Juso-Landeschefin | |
Gaedike, er nehme die Parteimitlieder „nicht ernst“, will der SPD-Chef | |
nicht akzeptieren – schließlich hätten 85 Prozent der Genoss:innen für | |
den Koalitionsvertrag gestimmt. Dass die Beteiligung aber nur bei mageren | |
56 Prozent lag, deutet Klingbeil nur verschämt an. | |
Und: Mit ihm werde keine „Kehrtwende in der Programmatik“ geben, werde die | |
SPD nicht „mehr nach links“ rücken. Werben will er stattdessen um „die | |
Mitte der Gesellschaft“, für Menschen, die „fleißig sind, die arbeiten | |
gehen“ – und verschwindet dann schnell in Richtung des Landesparteitags der | |
Genoss.innen in Schleswig-Holstein. | |
Gerade angesichts der erstarkten AfD gebe es eben keine Alternative zur | |
[1][Koalition mit der Union], erklären wie Klingbeil auch die mit gut 82 | |
und knapp 89 Prozent wiedergewählten NRW-Landesvorsitzenden Achim Post und | |
Sarah Philipp. Abgeordnete, die Friedrich Merz im ersten Wahlgang nicht zum | |
Kanzler gewählt hätten, seien „ihrer Verantwortung überhaupt nicht gerecht | |
geworden“, findet Post. | |
Gerade für die im September anstehende Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen | |
hoffen die SPD-Landeschefs auf Unterstützung aus Berlin – vor allem auf das | |
500 Milliarden schwere Investitionsprogramm, dass auch in den rot regierten | |
Städten in NRW für bessere Straßen, pünktlicheren Nahverkehr, sanierte | |
Schulen und mehr Kita-Plätze sorgen soll. Und selbst für die 2027 | |
anstehende Landtagswahl macht sich die Partei, die im einstigen Stammland | |
im Februar nur noch 20 Prozent einfuhr, Mut: CDU Ministerpräsident Hendrik | |
Wüst sei „schlagbar“, erklärte Co-Landeschefin Philipp. | |
Punkten will sie nicht nur mit einer Kampfansage an die vom | |
Verfassungsschutz endlich als „gesichert rechtsextrem“ eingestufte AfD: | |
„Mit Nazis arbeitet man nicht zusammen“, so Philipp unter starkem Applaus �… | |
nötig sei die Prüfung eines Verbotsverfahrens durch die Bundesregierung. | |
Inhaltlich soll Wüsts schwarz-grüne Regierungskoalition dagegen mit den | |
Themen Armutsbekämpfung, Wohnungs- und Lehrer:innenmangel und dem | |
Kampf um Industriearbeitsplätze etwa bei „Thyssenkrupp, BP und Ford“ unter | |
Druck gesetzt werden, forderte Philipp – und klang dabei fast wie | |
Klingbeil. | |
10 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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