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# taz.de -- Nachruf auf Margot Friedländer: Sie wird fehlen
> Mit Margot Friedländer ist eine Jahrhundert-Persönlichkeit gestorben.
> Unser Autor verabschiedet eine Frau, die in Erinnerung bleiben wird.
Bild: Nicht zu ersetzen: Die stets stilsichere Margot Friedländer wird vielen …
Die Katze streifte über den Schreibtisch, Margot saß davor und beantwortete
E-Mails. Als ich sie das letzte Mal besucht habe, saß sie in ihrer Wohnung
in einer Seniorenresidenz am Ku'damm und beantwortete alle möglichen
Anfragen.
Das tat sie nämlich selbst, für eine damals 100-Jährige äußerst
ungewöhnlich. Doch ihr war es wichtig, auf alles zu antworten, immer
weiterzumachen, ihre Geschichte weiterzugeben.
„Seid Menschen“ wiederholte sie immer wieder, auf jeder Veranstaltung. Es
gebe kein jüdisches, kein christliches, kein muslimisches, nur menschliches
Blut. Ich habe sie das oft sagen hören, die Wirkung verfehlte es nie.
## „Versuche, dein Leben zu machen“
Es war sowieso ein Wunder, wie diese Frau wirkte. Margot war eine kleine,
zierliche Frau, stets gut gekleidet, sie hatte eine Lehre zur Schneiderin
gemacht. So gelang es ihr, auf jeder Veranstaltung die Person mit dem
stilsichersten Outfit zu sein. Und sie schaffte es stets, die Säle, egal in
welcher Größe, in ihren Bann zu ziehen.
[1][Ihre Lebensgeschichte wird nun in unzähligen Nachrufen erzählt], es ist
ein Jahrhundertleben. Das Überleben im Versteck in Berlin und im KZ
Theresienstadt während des Holocaust, der Verlust ihres Bruders Ralph, den
die Nazis umbrachten. Der Abschiedsgruß ihrer später ebenso ermordeten
Mutter, sie solle versuchen, ihr Leben zu machen. Und ihre späte Rückkehr
nach Berlin.
Ich habe sie auf einer Lesung kennengelernt, später eine [2][Veranstaltung
mit ihr organisiert], gelegentlich besucht und bei der [3][Verleihung der
Ehrendoktorwürde an der Freien Universität Berlin] stellvertretend für all
die jungen Menschen gesprochen, denen sie ihre Geschichte erzählt hat. Für
all diejenigen, die ihre Appelle an das Menschsein nie vergessen haben und
nie vergessen werden.
## Ihren Blick richtete sie nach vorne
Dass sie nun gestorben ist, reißt eine große Lücke. Sie war eine der
Letzten, die uns das Grauen des [4][Nationalsozialismus] und die Verbrechen
unserer Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern vor Augen führte. Dabei war
sie nie verbittert oder wütend, obwohl sie dazu jedes Recht gehabt hätte.
Doch ihren Blick richtete sie immer nach vorne. „Was geschehen ist, ist
geschehen, das können wir nicht mehr ändern“, noch so ein Satz, der sich in
meine Erinnerung gebrannt hat. Doch wir müssten dafür sorgen, dass es nicht
wieder geschieht. Das sagte Margot immer und immer wieder.
Nach der Verleihung der Ehrendoktorwürde gab es ein Festessen zu ihren
Ehren, mehrere Gänge, Wein und Würdigungen. Als sich die Gäste nach und
nach verabschiedeten, war Margot ganz überrascht. Sie war wacher und fitter
als der Rest der Feiergesellschaft. Jetzt schon nach Hause gehen?
Unmöglich.
So war sie und so werde ich sie in Erinnerung behalten. Eine wache Hüterin
der Erinnerung. Eine Frau, die viele nicht vergessen werden. Und ein
„Mensch“, im jiddischen Sinn, die trotz allem Erlebten noch an das Gute im
Gegenüber glaubt. Schwer zu glauben, dass wir jetzt ohne sie auskommen
müssen.
Mach's gut, Margot, du wirst hier fehlen.
10 May 2025
## LINKS
[1] /Margot-Friedlaender-verstorben/!5996883
[2] https://www.fu-berlin.de/campusleben/campus/2019/190822-Margot-Friedlaender…
[3] https://www.fu-berlin.de/campusleben/campus/2022/220527-margot-friedlaender…
[4] /Schwerpunkt-Nationalsozialismus/!t5007882
## AUTOREN
Vincent Bruckmann
## TAGS
Holocaust
Berlin
Erinnerungskultur
GNS
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Shoa
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Holocaustüberlebende
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