# taz.de -- Trauerfeier für Margot Friedländer: „Nur, wenn wir sie nicht ve… | |
> Margot Friedländer wurde in Berlin beigesetzt. Am Ende ihres Lebens war | |
> die Holocaust-Überlebende verzweifelt über den Judenhass auf deutschen | |
> Straßen. | |
Bild: Margot Friedländer, Zeitzeugin des Holocausts, im Januar 2025 | |
Berlin taz | Eine „Ikone“ wurde Margot Friedländer in einem Nachruf | |
genannt, [1][die am 9. Mai starb]. Noch zwei Tage vor ihrem Tod hatte sie | |
bei der Berliner Gedenkfeier zum 80. Jahrestag des Kriegsendes gesprochen. | |
Der 8. Mai 1945 war für Friedländer ein entscheidendes Datum, an diesem Tag | |
befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Theresienstadt, in das sie | |
1944 deportiert worden war. „Seid Menschen!“, sagte sie dort zum letzten | |
Mal öffentlich, zu diesen zwei Worten hatte sie ihre Botschaft verdichtet. | |
Friedländer war wohl die bekannteste Holocaust-Überlebende in Deutschland. | |
Im Sommer 2024 etwa blickte sie vom Cover der Modezeitschrift Vogue. Sie | |
trug einen roten Mantel, elegant wie immer. Am 5. November 1921 als Anni | |
Margot Bendheim in Berlin geboren, besuchte sie nach ihrer Schulzeit eine | |
Modezeichenschule. Später begann sie eine Schneiderlehre. | |
Am Donnerstag wurde Friedländer, die „kleine große Frau, Jüdin, | |
Berlinerin“, wie der Rabbiner ihrer Gemeinde, Jonah Sievers, sie | |
charakterisierte, neben ihren Großeltern auf dem Friedhof Weißensee der | |
Jüdischen Gemeinde zu Berlin beigesetzt. Zur Trauerfeier kamen der | |
Bundespräsident, der Bundeskanzler, der Regierende Bürgermeister von Berlin | |
und mehrere ihrer Vorgänger, darunter auch Angela Merkel, in deren Amtszeit | |
Friedländer im Alter von 88 Jahren in ihre Geburtsstadt zurückgekehrt war. | |
Neben Rabbiner Sievers sprach auch Rabbiner Yehuda Teichtal von der | |
Chabadgemeinde. Dass ein liberaler und ein orthodoxer Rabbiner ihre | |
Trauerfeier gestalten, war Friedländers Wunsch gewesen. So setzte sie noch | |
in ihrer Trauerfeier ein Zeichen: Wenn es um Leben und Tod geht, kommt es | |
nicht auf die Unterschiede an, sondern auf das Gemeinsame. | |
## „Das was man sich unter einem Menschen vorstellt“ | |
Junge Menschen zu „Zweitzeugen“ zu machen, war ihre Mission. In den | |
vergangenen Jahrzehnten sprach sie zu Tausenden Schülerinnen und Schülern. | |
Sie hoffte, dass diese die Erinnerung an die „Endlösung“ – den Versuch, … | |
Judentum für immer auszulöschen – wach halten würden. Sie hatte einen Draht | |
zu den Jungen. Sie hörten und verstanden ihre universalistische Botschaft: | |
„Es gibt kein jüdisches, kein christliches, kein muslimisches, nur | |
menschliches Blut.“ | |
Für Gideon Joffe, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, der als | |
Erster bei der Trauerfeier sprach, symbolisierte Friedländer „das, was man | |
sich unter einem Menschen vorstellt. Wärme, Nahbarkeit, Mitfühlen“. Direkt | |
an die Verstorbene gewandt, sagte Joffe, sie habe das Unvorstellbare, | |
Verfolgung, Einsamkeit und den Tod ihrer Familie überlebt. „Aus der | |
Vergangenheit heraus sind Sie jemand geworden, der nicht hassen wollte, | |
sondern erinnern, nicht anklagen, sondern erzählen.“ | |
Friedländers Vater entschloss sich erst 1939, nach Belgien zu fliehen. Er | |
wurde 1942 in Auschwitz ermordet. Margot lebte in Berlin mit ihrer Mutter | |
und ihrem jüngeren Bruder zusammen. Sie musste Zwangsarbeit leisten, die | |
Familie wurde in eine sogenannte Judenwohnung in der Skalitzer Straße in | |
Berlin-Kreuzberg eingewiesen. | |
Margot und ihre Mutter Auguste waren nicht zu Hause, als im Januar 1943 die | |
Gestapo Bruder Ralph abholte. Die Mutter wollte den Sohn nicht allein | |
lassen und stellte sich der Polizei. Beide wurden nach Auschwitz deportiert | |
und ermordet. Margots Mutter hatte, bevor sie die Wohnung verließ, einer | |
Nachbarin ihre Handtasche, eine Bernsteinkette, ein Notizbuch und eine | |
Notiz für ihre Tochter übergeben: „Versuche, dein Leben zu machen.“ | |
## Sprechen für die, die es nicht geschafft haben | |
Margot, damals 21 Jahre alt, entschloss sich unterzutauchen. Sie färbte | |
sich die Haare rot und ließ sich später die Nase operieren. 15 Monate lang | |
lebte sie im Untergrund, musste ständig neue Verstecke finden. Später | |
erzählte sie, 16 Berliner hätten ihr dabei geholfen. Nach einem Luftangriff | |
im April 1944 – Luftschutzbunker musste sie als Untergetauchte meiden – | |
fragten auf dem Kurfürstendamm sogenannte Greifer der Gestapo nach ihrem | |
Ausweis, sie wurde wenig später ins [2][KZ Theresienstadt deportiert]. | |
Trotz schwerer Zwangsarbeit und Hunger überlebte sie. | |
Drei Monate nach der Befreiung heiratete sie in einem Lager für Displaced | |
Persons im bayerischen Deggendorf Adolf Friedländer, in den sie sich in | |
Theresienstadt verliebt hatte. 1946 emigrierte das Ehepaar nach New York. | |
1997 starb Friedländers Mann, 2003 besuchte sie erstmals nach dem Krieg | |
Deutschland. | |
Rabbiner Sievers zitierte aus dem 49. Psalm: „Nichts nehmen wir ins Grab, | |
die Ehre folgt einem nicht. Was bleibt, ist der gute Name.“ Im Buch Kohelet | |
heiße es, ein guter Name sei besser als gutes Öl, und Margot Friedländer | |
habe sich einen guten Namen gemacht. Die Gerechten würden selbst im Tod | |
noch lebendig genannt, weil ihre Taten weiterwirkten. „Weil ihre Stimme | |
nicht verstummt, weil sie eine Spur hinterlassen hat – aber nur, wenn wir | |
sie nicht vergessen.“ | |
Rabbiner Yehuda Teichtal schloss daran an: „Du lebst weiter, liebe Margot, | |
wir sind deine Kinder.“ Friedländer habe überlebt in einer Welt, die sie | |
auslöschen wollte, und sich geweigert, ihren Glauben an die Menschlichkeit | |
aufzugeben. Sie habe Berlin in ein „Symbol des Lichts und der Hoffnung“ | |
verwandelt. Danach sang Max Raabe „Irgendwo auf der Welt“, einen Schlager, | |
den der jüdische Komponist Werner Richard Heymann 1932 geschrieben hatte, | |
bevor er ein Jahr später Deutschland verlassen musste: „Irgendwo auf der | |
Welt fängt mein Weg zum Himmel an.“ | |
Die Trauerrede hielt Leeor Engländer, der Friedländer im Jahr 2005 | |
kennengelernt hatte. Er hatte seine Großeltern, die den Holocaust überlebt | |
hatten, aber früh an den Folgen der Verfolgung starben, nie kennengelernt, | |
Friedländer hatte keine Kinder. Die beiden freundeten sich an. Engländer | |
wies auf die Schattenseiten hin, die im Licht der Öffentlichkeit selten | |
wahrgenommen wurden. | |
Den ersten Dokumentarfilm über sie hätten weder die Berlinale noch die | |
überregionalen Fernsehsender zeigen wollen. Ähnlich war es bei ihrer | |
Biografie, es gebe bereits genug Bücher von Überlebenden. Friedländer habe | |
viele Widerstände überwinden müssen, seit sie nach Deutschland | |
zurückgekehrt war, und habe doch ein Lebenswerk geschaffen. | |
Doch jede Rede habe sie sehr viel Kraft gekostet: „Immer wieder aufs Neue | |
plagten dich die Erinnerungen“, sagte Engländer. Am meisten hätten | |
Friedländer die Dankesbriefe der Schülerinnen und Schüler bedeutet. Sie | |
hätten sie mit Hoffnung auf eine bessere Zukunft erfüllt. | |
„Ich spreche für die, die es nicht geschafft haben“, sagte Margot | |
Friedländer über ihre Arbeit mit Jugendlichen. „Was ich jetzt mache, ist | |
für die Jugend. Sie sollen wissen: Was war, das können wir nicht mehr | |
ändern, aber es darf nie wieder geschehen.“ Als sie am Jahrestag des 7. | |
Oktober interviewt wurde, musste sie sich eingestehen, dass es wieder | |
geschehen war. Über den Überfall der Hamas sagte sie: „Es ist eine | |
Wiederholung von dem, was war.“ | |
Der unverhohlene Judenhass auf deutschen Straßen nach dem 7. Oktober habe | |
Friedländer in Verzweiflung gestürzt, sagte Engländer. Sie habe nüchtern | |
analysiert: „So hat es damals bei uns auch begonnen.“ | |
15 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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