| # taz.de -- Zeitenwende am Arbeitsplatz: Dann eben Panzer | |
| > Waggonbau hat in Görlitz Tradition, jetzt übernimmt ein Rüstungskonzern | |
| > die Fabrik. Krieg möchte hier zwar niemand, Protest gibt es trotzdem | |
| > kaum. | |
| Bild: Industrie mit Tradition: Die Montage von Waggons in Görlitz 1976 | |
| Görlitz taz | Eine rote Lok tuckert laut am Zaun vorbei, um Waggons zu | |
| verfrachten. Von weit hinten schallt metallisches Hämmern über das Gelände, | |
| hier und da stehen Doppelstockwagen im Rot und Weiß der Deutschen Bahn | |
| herum. Seit mehr als 175 Jahren bauen sie dort in Görlitz | |
| Schienenfahrzeuge. Doch das soll nun zu Ende gehen. Der bisherige | |
| Hersteller Alstom verkauft die Fabrik an den Rüstungskonzern KNDS. | |
| Seit die Übernahme bekannt ist, fragen sich einige in Görlitz, der | |
| östlichsten Stadt Deutschlands, ob schon im nächsten Jahr Panzer statt | |
| Waggons über den Hof rollen. Das Ende der alten Waggonbau-Tradition, die | |
| Schienenfahrzeuge abgelöst durch Panzer. Was macht das mit einer | |
| Stadtgesellschaft? Anfangs gab es gegen die Übernahme [1][einzelne Demos], | |
| zuletzt kleine Aktionen vor dem Werk und in der Stadt. Aber der Protest | |
| blieb überschaubar. | |
| Vom Stadtzentrum aus ist das Werkstor zu Fuß keine halbe Stunde entfernt. | |
| Aktuell arbeiten dort etwa 700 Menschen, schweißen Straßenbahnen und | |
| Waggons zusammen – für die strukturschwache Region ganz im Osten Sachsens | |
| ist Alstom ein wichtiger Arbeitgeber. Der französische Konzern gehört | |
| weltweit zu den größten in der Bahntechnik. Doch es hatte sich in den | |
| vergangenen Jahren angedeutet, dass er den Standort in Görlitz loswerden | |
| wollte. Als schließlich im Februar die Verträge zur Übernahme durch KNDS | |
| feierlich unterzeichnet wurden, kamen auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) | |
| und der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). | |
| Mit dabei war auch ein Panzer. KNDS hatte ihn für die Pressefotos ins Werk | |
| gerollt. In Görlitz sollen die Arbeiter:innen laut KNDS Baugruppen | |
| produzieren, die zu den Kettenpanzern „Leopard 2“ und „Puma“ sowie zu | |
| Varianten des Radpanzers „Boxer“ gehören. Mehr als die Hälfte der | |
| Arbeitsplätze soll erhalten bleiben. Andernfalls wären sie wohl | |
| weggefallen. | |
| Währenddessen hatten sich vor der Pforte rund hundert Demonstrant:innen | |
| in getrennten Grüppchen [2][gegen Krieg und Rüstungsindustrie versammelt]. | |
| Neben Linken und dem BSW waren auch Anhänger:innen der rechtsextremen | |
| Parteien AfD und Freie Sachsen dabei. Bei der Bundestagswahl inszenierte | |
| sich die AfD als Partei für Frieden. In Görlitz bekam sie fast die Hälfte | |
| der Zweitstimmen: 46,7 Prozent. Aber dort steht sie nicht geschlossen gegen | |
| den Panzerbau. Aus der AfD-Stadtratsfraktion heißt es: lieber | |
| Rüstungsindustrie in Görlitz als anderswo, das erhalte wenigstens | |
| Arbeitsplätze. | |
| ## Die Stimmung in der Stadt | |
| Doch wie findet der Rest der rund 57.000 Einwohner:innen von Görlitz | |
| die Übernahme? Nachgefragt bei [3][Oberbürgermeister Octavian Ursu (CDU)]. | |
| Das Büro des 57-Jährigen im Rathaus liegt keine 20 Minuten Fußweg entfernt, | |
| entlang der nach dem Gründer des örtlichen Waggonbaus benannte | |
| Christoph-Lüders-Straße und vorbei an der historischen Innenstadt, mit | |
| ihren bunten Häusern. Bis zur polnischen Grenze an der Neiße sind es keine | |
| 300 Meter. | |
| Ursu sitzt an einem dunklen runden Tisch, in der Vitrine ihm gegenüber | |
| stehen zwei kleine Eisenbahnmodelle: eine Straßenbahn und ein weißer | |
| Doppelstockwagen. Für Letztere ist das Werk in Görlitz bekannt. Das Ende | |
| der Tradition seit 1849 sei ein „emotionales Thema“, erzählt Ursu. „Der | |
| Waggonbau gehört einfach zu uns.“ Jede Familie habe ein Mitglied, das daran | |
| beteiligt ist oder war. Früher arbeiteten mal mehrere Tausend Menschen im | |
| Werk. Entsprechend hoch sei das Interesse gewesen, als die ersten Gerüchte | |
| aufkamen, Alstom verhandle mit einem Rüstungsunternehmen, erzählt Ursu. | |
| Mehrfach wurde er im Stadtrat gefragt, wie weit die Verhandlungen seien. | |
| Doch mittlerweile gebe es wenig Diskussionen darüber. | |
| Dass es um Panzerbau gehe, sei nur ein Aspekt, erklärt der | |
| Oberbürgermeister. „In den letzten zehn Jahren gab es ganz oft Probleme.“ | |
| Bis 2021 betrieb noch das kanadische Unternehmen Bombardier die Fabrik. | |
| Doch sowohl bei ihm als auch später bei Alstom blieben Versprechen | |
| unerfüllt. Es gab Höhen mit Neueinstellungen und – und am Ende Tiefen mit | |
| Entlassungen. „Das hat zu Unsicherheit geführt.“ Mit KNDS werde das anders | |
| laufen, ist Ursu sicher. Und die tarifgebundenen Industriearbeitsplätze | |
| seien wichtig für die Stadt. | |
| Er selbst sehe in der Rüstungsindustrie eine „Notwendigkeit, leider“. Die | |
| Bundeswehr habe massiven Nachholbedarf. Von den angekündigten Investitionen | |
| der neuen Bundesregierung könne Görlitz profitieren. Auf dem Werksgelände, | |
| das KNDS nun übernehme, sei genügend Platz, um die bislang geplante | |
| Produktion zu erweitern, glaubt Ursu. | |
| ## Zeitenwende am Arbeitsplatz | |
| [4][Im Parteibüro der Grünen] in Görlitz sitzen heute Stadtverbandschefin | |
| Anja-Christina Carstensen und Monique Hänel, die bei der Bundestagswahl als | |
| Direktkandidatin in Görlitz antrat und 3 Prozent der Stimmen bekam. Hänel | |
| wurde 1985 in Berlin geboren, zog erst vor neun Jahren nach Görlitz. | |
| Trotzdem war auch ein Familienmitglied von ihr im Werk: „Mein Mann hat bei | |
| Bombardier gearbeitet, schon in Berlin“, erzählt sie. Als 2016 in Görlitz | |
| noch mal groß Personal eingestellt wurde, seien sie zusammen nach Sachsen | |
| gezogen. Lange währte seine Anstellung nicht, in Görlitz blieben sie | |
| trotzdem. | |
| Seitdem die KNDS-Übernahme bekannt sei, werde Hänel gefragt, wie jetzt die | |
| Stimmung in Görlitz zu den Panzern sei. „Aber in meinem alltäglichen Leben | |
| begegnet mir dieses Thema gar nicht“, sagt sie energisch. Spreche sie dann | |
| mit Freunden, die bei Alstom arbeiten, komme von denen: „Ich weiß noch | |
| nicht, wie es für mich weitergeht.“ Die interessiere, ob sie bleiben oder | |
| gehen. Aber Straßenbahnen oder Panzer, „für sie ist das kein großes Thema�… | |
| Aber die beiden Grünen haben viel zu erzählen: Über die Abwanderung der | |
| Industrie aus Görlitz nach Tschechien oder Polen, dass es in Görlitz zwar | |
| viele neue Arbeitsbereiche gebe, dass ein Wechsel dorthin für | |
| Arbeiter:innen aus dem Werk kein Selbstläufer sei. | |
| Nach fast einer Stunde Gespräch im Grünen-Parteibüro schneidet | |
| Stadtverbandsprecherin Carstensen die schwierige Frage des Pazifismus an. | |
| Was bedeute der, in Zeiten, in denen der russische Präsident Wladimir Putin | |
| gegen die Ukraine Krieg führt? Wie solle sich die deutsche Gesellschaft | |
| verhalten, wenn es deutliche Hinweise gibt, dass der russische Geheimdienst | |
| in der Bundesrepublik mit Propaganda und Sabotage Stimmung schürt? Für | |
| Carstensen lautet die Antwort: „Ein Frieden, der in Unfreiheit ist, ist | |
| kein Frieden.“ | |
| ## Protestgruppe gegen den Panzerteilebau | |
| Beide Grünen haben mitbekommen, dass sich derzeit eine Protestgruppe gegen | |
| den Panzerteilebau in Görlitz bilde. Jörg Bergstedt, ein Aktivist aus | |
| Hessen, versucht in der Stadt gegen die Übernahme zu mobilisieren. Mit | |
| einer Handvoll Unterstützer:innen versuchte er etwa Ende April vor der | |
| Fabrik ins Gespräch mit den Arbeiter:innen zu kommen. Der MDR, das nd | |
| und die Sächsische Zeitung berichteten darüber, doch viele Gespräche mit | |
| den Werksangehörigen kamen nicht zustande. Für Hänel stehe fest, „dass ich | |
| mich an keiner Aktion gegen dieses Werk beteiligen werde“. | |
| Gleich um die Ecke sitzt Jana Lübeck im Parteibüro der Linken. Sie ist | |
| Vorsitzende der Linksfraktion im Stadtrat und ihr Großonkel arbeitete im | |
| Werk. Wenn es nun um die KNDS-Übernahme geht, betont die Linke, es sei | |
| nicht leicht und man solle es sich auch nicht leicht machen. Lübeck findet | |
| wichtig, zu benennen, was mit den Produkten aus der Rüstungsindustrie | |
| passiert. Gerade in Deutschland wisse man doch, was Krieg bedeute: Vor 80 | |
| Jahren endete der Zweiten Weltkrieg, im Krieg in der Ukraine töten aktuell | |
| täglich Menschen andere Menschen. | |
| Aber als Linke unterstütze sie die Arbeiter:innen des Werks. Jahrelang | |
| habe ihre Partei dafür gekämpft, dass Beschäftigte versorgt waren, wenn die | |
| Treuhand ihre Betriebe nach der Wende abwickelte. „Aber es ist eben nicht | |
| unerheblich, was dort produziert wird“, findet sie. | |
| Die Gruppe um den Aktivisten Bergstedt traf sich schon mehrfach im Büro der | |
| Linken, auch Mitglieder der Partei beteiligen sich an Info-Aktionen. | |
| Weitere sollen folgen, vielleicht wächst ja der Protest. Nach aktuellem | |
| Stand soll die Werksübernahme 2027 abgeschlossen sein. Dass dann Panzer | |
| statt Waggons auf dem Gelände stehen, ist aber unwahrscheinlich. Es geht ja | |
| nur um einzelne Komponenten. | |
| 11 May 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Aktionstage-in-Goerlitz/!6084119 | |
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| [4] /Hass-auf-die-Gruenen-in-Ostdeutschland/!5972510 | |
| ## AUTOREN | |
| David Muschenich | |
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