# taz.de -- Abwehr von Flüchtlingen: Wie Tunesien für Europa die Drecksarbeit… | |
> Zu Tausenden werden afrikanische Migranten gewaltsam an der Reise nach | |
> Europa gehindert und stattdessen nach Algerien gekarrt. Die EU begrüßt | |
> es. | |
Bild: Ein Migrant aus Subsahara-Afrika sieht zu, wie ein behelfsmäßiges Lager… | |
Tunis taz | Mit der [1][Räumung weiterer informeller Lager] rund um die | |
Hafenstadt Sfax setzen Tunesiens Polizei und Nationalgarde ihre Mitte April | |
gestartete Kampagne gegen „illegale Migration“ aus Afrika nach Europa fort. | |
Nach Angaben des Innenministeriums vom Wochenende wurden in privaten | |
Olivenhainen mittlerweile Zelte von 7.000 aus Subsahara-Afrika kommenden | |
Menschen mit Planierraupen und Baggern zerstört. Staatliche Medien zeigen | |
Aufnahmen von brennenden Holzlatten und Plastikplanen, aus denen bis zu | |
30.000 Migrant:innen in den vergangenen zwei Jahren bis zu zwanzig | |
informelle Camps errichtet hatten. | |
Nach Schätzungen tunesischer Menschenrechtsaktivisten leben bis zu 100.000 | |
Westafrikaner und Sudanesen als Flüchtlinge in Tunesien. Bis zu einer Rede | |
von Präsident Kais Saied im Februar 2023, in der er die afrikanischen | |
Migrant:innen als Teil einer Verschwörung gegen die arabische Identität | |
Nordafrikas bezeichnete, waren viele als Tagelöhner in Cafés oder in der | |
Landwirtschaft beschäftigt. Doch heute dürfen Tunesier „die Afrikaner“ | |
weder anstellen noch an sie Wohnungen vermieten. Ihnen bleibt nur noch die | |
Flucht nach vorn – Richtung Europa. | |
„Da ich in Sierra Leone weder die Aussicht auf Arbeit habe, noch ein | |
sicheres Leben führen kann, warte ich auf die Gelegenheit, nach Europa zu | |
gelangen“, sagt Abubakr Bangura, der zusammen mit acht Landsleuten in einem | |
Zelt lebt. Fünfmal wurde der 28-Jährige zusammen mit seiner Frau und seiner | |
3-jährigen Tochter von der tunesischen Nationalgarde aus einem | |
schrottreifen Metallboot auf [2][dem Mittelmeer geholt.] „Wir sind während | |
der Polizeirazzien einfach tiefer in die Olivenhaine geflohen“, sagt | |
Bangura und bekräftigt seinen Plan, die Überfahrt nach Lampedusa so oft zu | |
wagen, bis es klappt. | |
Er hat Glück, dass er die „Rettung“ auf hoher See überlebt hat. Mehrere | |
Gerettete berichten der taz, dass die Besatzungen der tunesischen | |
Patrouillenboote die Außenbordmotoren der mit bis zu 45 Menschen beladenen | |
8-Meter-Boote gleich bei ihrem Auffinden konfiszieren, aber die Insassen | |
erst nach Stunden des bangen Wartens wieder an Land bringen. | |
## Zurück an die algerische Grenze | |
„Die Frauen und Kinder wurden im Hafen von Sfax ausgeladen“, sagt Keba, ein | |
21-jähriger Senegalese, am Telefon über eine solche Aktion. „Die Männer an | |
Bord mussten die letzten Kilometer schwimmen.“ Ob alle an Bord es bis zum | |
rettenden Ufer schafften, weiß er nicht. Im Hafen von Sfax wurden die | |
Geretteten in Busse verladen und an die algerische Grenze gefahren. | |
„Im Niemandsland nahe der Stadt Tebessa lauerten uns bewaffnete Männer | |
auf.“ Die Unbekannten übergaben Keba und seine Gruppe in einem Waldstück | |
nahe der Grenze zu Tunesien an die algerische Armee, von dort dann ging es | |
weiter in die Wüstenstadt Assamaka in Niger. Heute lebt Keba in der Stadt | |
Agadez in einem Auffanglager der UN-Migrationsorganisation IOM | |
(Internationale Organisation für Migration), aus dem heraus er der taz von | |
seinem Schicksal berichtet. | |
„Viele der aus den Camps bei Sfax Deportierten irren im Grenzgebiet herum, | |
ohne Geld, Lebensmittel oder ausreichend Wasser“, berichtet Ibrahim | |
Foufana, ein Arzt aus Sierra Leone, der in mehreren Camps provisorische | |
Feldkliniken aufgebaut hat. „Doch nach mehreren Wochen kommen sie über | |
Agadez oder die Schleichpfade an der algerischen Grenze wieder zurück.“ Das | |
Freiwilligenteam des 28-Jährigen behandelt Verletzungen, die sich die | |
Camp-Bewohner bei den Gewaltmärschen und Räumungsaktionen zugezogen haben. | |
Da weder tunesische Hilfsorganisationen, IOM oder das | |
UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR der Vereinten Nationen Zugang haben, sterben | |
jede Woche Patienten an Infektionen oder Schwäche. „Selbst für die | |
Behandlung von Platzwunden durch Schlagstöcke haben wir nicht genügend | |
Verbandsmaterial oder Desinfektionsmittel“, sagt Foufana, „wir erhalten | |
Lebensmittelspenden von tunesischen Nachbarn und halten als Gemeinschaft | |
eng zusammen. Obwohl hier Menschen aus zwölf Ländern zusammenleben, ohne | |
Hilfe von außen.“ | |
## Inhumane Lage in Camps | |
Die zähe Selbstorganisation der Migrant:innen durchkreuzt die zwischen | |
Brüssel und Tunis koordinierte Abschreckungsstrategie. Nur die inhumane | |
Lage in den Camps würde weitere Menschen davon abhalten, sich aus | |
Westafrika nach Europa auf den Weg zu machen, so ein EU-Diplomat gegenüber | |
der taz im vergangenen Herbst. Italiens Innenminister Matteo Piantedosi | |
bezeichnete die Kooperation mit Tunesien und Libyen noch Anfang April als | |
Erfolgsmodell. | |
Doch in der letzten Aprilwoche kamen 1.800 Menschen per Boot aus Tunesien | |
auf Lampedusa an, im gesamten Monat ist die Zahl im Vergleich zum Vorjahr | |
um 30 Prozent gestiegen. Ibrahim Foufana hat eine einfache Erklärung dafür: | |
„Die tagtäglichen Gefahren in ihrer Heimat sind abschreckender als das, was | |
sie auf der Reise nach Europa erleben. Ich verstehe nicht, warum man uns | |
nicht zumindest wie Menschen behandelt.“ | |
6 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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