# taz.de -- Politisches Erbe von Papst Franziskus: Was heißt hier christlich? | |
> Franziskus stand für Religion, die inspirieren will. Der rechte Zeitgeist | |
> propagiert ein autoritäres Christentum. Was wollen die deutschen | |
> C-Parteien? | |
Bild: Nicht alle Kardinäle feierten seinen Kurs: Der Sarg von Papst Franziskus… | |
Einer der letzten Menschen, die Papst Franziskus lebend gesehen haben, war | |
J. D. Vance. Die kurze Audienz des Vizepräsidenten der USA am Tag vor dem | |
Tod des Papstes führte zwei Vertreter von gegenläufigen Strömungen im | |
Katholizismus zusammen. Der 2019 zur römischen Kirche konvertierte Vance, | |
jung und dominant, steht für [1][Religion als autoritäres System]. Der | |
altersschwache Pontifex aus Lateinamerika stand für Religion, die | |
inspirieren will. | |
Der marxistische Philosoph Ernst Bloch hat im Jahr 1968 die „Religion des | |
Reiches“ von der „Religion des Exodus“ unterschieden. Der biblische Auszug | |
der Israeliten aus dem „Sklavenhaus Ägypten“ war für Bloch, wie für die | |
damals in Lateinamerika aufblühende Befreiungstheologie, eine Geschichte | |
von Unterdrückten, die ihr Schicksal in die eigenen Hände nahmen – durch | |
eine Migrationsbewegung. In dieser Tradition stand Papst Franziskus. | |
Mit dem Begriff der „Religion des Reiches“ beschrieb Ernst Bloch, wie das | |
Christentum zum Herrschaftsinstrument wurde, als es vom verfolgten | |
Sklavenglauben zur Staatsreligion im Römischen Reich aufstieg. Parallel zu | |
diesem Aufstieg des Christentums zur Macht wurde Augustinus von Hippo zum | |
einflussreichen Kirchenvater. Augustinus war [2][ein Bekehrter, der seiner | |
aufstrebenden Kirche nicht nur die Lust- und Homofeindlichkeit einschrieb], | |
sondern auch darüber sinnierte, wie ein Gottesstaat auszusehen habe. Auch | |
J. D. Vance ist ein Bekehrter. Als US-Vizepräsident bringt er nun | |
Versatzstücke von Augustinus’ Lehre gegen Migrant:innen und | |
nichttraditionelle Familien in Stellung. | |
Eine unhistorische Auslegung der Schriften und die Berufung auf eine | |
angeblich gottgegebene Ordnung gehört inzwischen wieder zum Arsenal vieler | |
Rechtspopulisten und Rechtsextremer auf der ganzen Welt. „Postliberal“ | |
nennt etwa Vance sein autoritäres Retrotopia. Die Postfaschistin Giorgia | |
Meloni in Italien – „Ich bin eine Frau, ich bin eine Mutter, ich bin | |
Italienerin, ich bin Christin“ – tut es ihm gleich. Kriegsherr Wladimir | |
Putin hat die russische Orthodoxie wieder zur Reichsreligion gemacht. Und | |
auch der ungarische Premierminister Viktor Orbán nutzt das Christentum als | |
Religion seines kleinen Reiches. | |
## Er hatte und wollte nur die Macht des Inspirierens | |
Und auf Seiten der „Religion des Exodus“? Im Polen der 1980er Jahre zeigte | |
sich die Religion tatsächlich einmal als subversiv-befreiend, auch in der | |
DDR. Doch viele derer, die damals im Raum der Kirchen für Freiheit | |
kämpften, sind heute selbst autoritär gesinnt und lehnen Neuankommende ab. | |
Auch andernorts haben einstmals Unterdrückte gelernt zu unterdrücken. In | |
Lateinamerika und vielen afrikanischen Ländern überzeugt zudem das | |
dominante, individualistische und sexuell rigide „Wohlstands-Evangelium“ | |
der Evangelikalen viel mehr Menschen als der Auszug aus ungerechten | |
Strukturen, wie die Befreiungstheologie ihn predigte. Um im biblischen Bild | |
zu bleiben: die Fleischtöpfe der autoritären Sklaverei scheinen heute | |
vielen verführerischer als eine 40 Jahre dauernde Wüstenwanderung in | |
selbstbestimmte Freiheit. Von der „Religion des Exodus“ sind nur noch | |
Spurenelemente geblieben. | |
Umso prägender war in dieser Situation Papst Franziskus, der 2013 als | |
erster Befreiungstheologe auf den Heiligen Stuhl kam – völlig unzeitgemäß. | |
Worte wie „diese Wirtschaft tötet“ waren zuvor noch keinem Papst über die | |
Lippen gekommen. Als einer, der nur noch die Macht des Inspirierens hatte | |
und wollte, stellte Franziskus sich parteiisch an die Seite der Armen und | |
Ausgegrenzten. Viel schärfer als irgendwelche individuellen prangerte er | |
die strukturellen Sünden an. Javier Milei, der anarchokapitalistische | |
Präsident Argentiniens, nannte den Papst deshalb einen „linken Hurensohn“. | |
Franziskus gab Autoritären wie Milei deutlich Contra, um sie anschließend | |
mit einem entwaffnenden Lächeln im Vatikan zu begrüßen. Liebt eure Feinde, | |
lautet die Logik des Neues Testaments. | |
J. D. Vance’ reichsreligiösen Einlassungen zur Migration entgegnete der | |
Papst noch im Februar: „Ein richtig gebildetes Gewissen kann nicht umhin, | |
seine Ablehnung gegenüber jeder Maßnahme zum Ausdruck zu bringen, die | |
stillschweigend oder ausdrücklich den illegalen Status einiger Migranten | |
mit Kriminalität gleichsetzt.“ Was auf der Grundlage von Gewalt und nicht | |
auf der Wahrheit über die Würde jedes Menschen aufgebaut sei, „beginnt | |
schlimm und wird schlimm enden“. Nachdem er Vance noch einmal direkt in die | |
Augen gesehen hat, ist Papst Franziskus am Ostermontag gestorben. Am | |
Samstag wird er beigesetzt. | |
Ja, sein Nachfolger sollte mutiger vorangehen bei der Aufarbeitung und | |
Prävention von sexualisierter Gewalt und der Rolle von Frauen und queeren | |
Menschen innerhalb der Kirche. Noch wichtiger allerdings ist, dass der | |
Heilige Stuhl weiter der omnipräsenten „Religion des Reiches“ widersteht | |
und sich in einem autoritären Umfeld für die Menschenwürde einsetzt, | |
inklusive des Erhalts der Lebensgrundlagen auf der Erde. Denn, ob man mit | |
dem Christentum und dem Papsttum etwas anfangen kann oder nicht: es hat | |
weiterhin ein Gewicht im politischen Raum. | |
## Die Christ-Konservativen sind orientierungslos | |
Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, heißt es im Neuen Testament, sondern | |
die Kranken. Nicht in erster Linie die Linken sind im politischen Raum auf | |
einen anständigen Papst angewiesen, sondern die wankenden Konservativen. | |
Noch 2016 kritisierte J. D. Vance aus einer konservativen Perspektive | |
Donald Trump als „Betrüger“, als „moralisches Desaster“, als „kultur… | |
Heroin“. Er sprach ihm jegliche Kompetenz ab: „Was Trump anbietet, ist eine | |
einfache Erlösung vom Schmerz. Für jedes komplexe Problem verspricht er | |
eine einfache Lösung. Er bietet nie Einzelheiten dazu an, wie diese Pläne | |
funktionieren werden, weil er es nicht kann.“ Heute betreibt Vance selbst | |
dieses Geschäft, und auch deutsche Konservative drohen mehr und mehr der | |
autoritären Versuchung zu erliegen. | |
Lange orientierten sich die C-Parteien hierzulande an den Kirchen. Norbert | |
Blüm, Alois Glück, Monika Grütters, Heiner Geißler und Klaus Töpfer sind | |
nur einige der Unionspolitiker:innen, die eine Scharnierfunktion zwischen | |
Union und Kirchen innehatten. Spätestens seit dem Sommer der Migration vor | |
10 Jahren ist dieser Allianz aber die Selbstverständlichkeit | |
abhandengekommen. | |
Als CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer begann, von Migration | |
als „Mutter aller Probleme“ zu sprechen, und feierte, dass an seinem 69. | |
Geburtstag 69 Menschen abgeschoben wurden, hielt der Vorsitzende der | |
Deutschen Bischofskonferenz ganz franziskanisch dagegen. „Zu meinen, wir | |
wandern am besten alle nach rechts, weil der Zeitgeist nach rechts wandert | |
– das halte ich für eine falsche Einschätzung“, sagte Kardinal Reinhard | |
Marx damals. Eine Partei, die sich für das C im Namen entschieden habe, | |
gehe eine Verpflichtung ein, mahnte Marx. „Nationalist sein und katholisch | |
sein, das geht nicht.“ | |
## Wie geht es weiter in Rom? | |
2022 legte Andreas Rödder, damals Vorsitzender der | |
CDU-Grundwertekommission, seiner Partei nahe, das C ganz aus dem Namen zu | |
tilgen. Als im jüngsten Bundestagswahlkampf die Berliner | |
Vertreter:innen der Kirchen kritisierten, dass die Union in der | |
Migrationspolitik mit Rechtsaußen flirtete, schimpfte Rödder, und CSU-Chef | |
Markus Söder drohte sogar: „Nicht vergessen, wer am Ende noch an der Seite | |
der Institution Kirche steht. Das sind nämlich wir. [3][Nicht dass | |
irgendwann man ganz plötzlich alleine steht]. | |
Als am vergangenen Ostersonntag die CDU-Bundestagspräsidentin Julia | |
Klöckner auch noch verlauten ließ, die Kirchen sollten sich auf den Kampf | |
gegen Schwangerschaftsabbrüche konzentrieren und keine Stellungnahmen zu | |
tagesaktuellen Fragen abgeben, wurde die Entfremdung der Parteispitze von | |
der Kirche vollends deutlich. | |
Innerhalb der Union stößt das vielen auf. „Ich finde es maximal | |
irritierend, dass wir meinen, wir hätten das Recht, die Kirchen | |
zurechtzuweisen“, sagte der EU-Abgeordnete Dennis Radtke kürzlich der taz. | |
„Die Kernaufgabe von Kirche ist die Verkündigung des Evangeliums und die | |
Lehre von Jesus Christus. Überall da, wo Kirchen der Meinung sind, das | |
kollidiert mit der Politik, hat Kirche natürlich das Recht und auch die | |
Pflicht, sich zu Wort zu melden.“ Es sei nicht die Aufgabe der CDU, diese | |
Kritik eins zu eins zu übernehmen. „Aber unsere Aufgabe ist schon, uns | |
ernsthaft mit dieser Kritik auseinanderzusetzen.“ Orientierungslosigkeit | |
attestierte Radtke seiner Partei. Doch wird Rom jetzt überhaupt noch | |
Orientierung geben können in Sachen Konservatismus mit Anstand? | |
Papst Franziskus hat 80 Prozent der Kardinäle ernannt, die im Mai zum | |
Konklave zusammenkommen. Darunter sind viele außereuropäische Köpfe und | |
viele, die seinem menschenfreundlichen Kurs folgen. Für queere | |
Katholik:innen und Frauen, die in kirchliche Ämter streben, wäre ein | |
Papst wie Fridolin Ambongo, Erzbischof von Kinshasa, allerdings keine gute | |
Nachricht. Neben Ambongo ist der Diplomat und Franziskus-Vertraute Pietro | |
Parolin als Nachfolger im Gespräch, genauso wie der Franziskus-Freund | |
Jean-Marc Aveline, Erzbischof von Marseille. Auch der diplomatisch | |
versierte lateinische Patriarch von Jerusalem, Pierbattista Pizzaballa, | |
gilt als „papabile“. | |
## Orientierung an den Schafen | |
Über Namen kann man bis zum Ende des Konklaves nur spekulieren. Fest steht | |
aber: Den großen Zuspruch, den Franziskus für seine Interpretation des | |
Papstamtes bekam, kann sein Nachfolger nicht einfach ignorieren. Und | |
vielleicht weist dieser Führungsstil auch den orientierungslosen | |
konservativen Politiker:innen den Weg. | |
Franziskus habe die Kirche geführt wie ein eigensinniger Dorfpfarrer, hieß | |
es anerkennend in einem Nachruf. In Rom sagte man über ihn, dass er ein | |
Oberhirte sein wollte, „der nach den Schafen riecht“. | |
Im Sommer der Migration waren es an unzähligen Orten in Deutschland die | |
Dorfgeistlichen, die zusammen mit anständigen Bürger:innen, | |
Bürgermeister:innen und Landrät:innen – auch der Union – anpackten, | |
statt über das „christliche Abendland“ zu theoretisieren, das ja nur ein | |
anderer Ausdruck ist für „Religion des Reiches“. Diese Menschen bauten | |
Unterkünfte, organisierten Patenschaften und Sprachkurse. Sie predigten | |
über die Migrationsgeschichten in der Bibel. Sie versuchten, ohne viel | |
Aufhebens, das Lokale und Globale zu verbinden und Konflikte hart, aber | |
fair auszutragen. | |
Noch tragen die Unionsparteien ein C im Namen. Wenn ihre Spitzenleute am | |
Samstag in Rom neben Christ-Autoritären wie Trump, Milei, Meloni und Orbán | |
am Sarg von Papst Franziskus stehen, hätten sie Gelegenheit, darüber | |
nachzudenken, was dieser Buchstabe in Zukunft bedeuten soll. | |
26 Apr 2025 | |
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Stefan Hunglinger | |
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